Märchen im neuen Gewand
ebook: Märchen im neuen Gewand
Text/Illustrationen: © Dagmar Herrmann
Cover/Illustrationen: © Miriam Esdohr
daher verlag 28237 Bremen 2019
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Inhalt
Die sich langweilende Prinzessin
Der Rattenfänger – Geschichte mit einer Moral
Der Froschkönig
Cinderella – Wenn Märchen wahr werden
Einführung
Die Brüder Grimm oder H.C. Andersen hätten sich bestimmt nicht gedacht, dass ihre Märchen einmal als Vorlage für Dagmar Hermann dienen und im 21. Jahrhundert spielen.
Da haben wir zunächst den Kaiser Kokolores und seine neue Kleider. Er herrschte im Land mit Namen Wirsindwer, was mitten in Europa liegt. Die sich langweilende Prinzessin Rosemunde aus dem Schloss im Reiche Klumperdeick ist ganze süße siebzehn, jeder Wunsch wird ihr von den Augen abgelesen und sie langeweilt sich ständig.
Der Rattenfänger – Geschichte mit einer Moral. In dem verschlafenen Städtchen, in dem die Zeiger der Uhr stehengeblieben zu sein schienen. Es erschienen nämlich viele Ratten und Valentin. Was dann geschah …
Im Märchen „Der Froschkönig“ sind wir im Königreich Platafundien angelangt. Dort trug sich eine tollen Geschichte zu, demzufolge sich die Angelegenheit wie ein Lauffeuer in alle Winde verbreitete.
Dann haben wir noch Cinderella – Wenn Märchen wahr werden. In einem würdevollen, dem Tudorstil nachempfundenen Herrenhaus, inmitten urwüchsiger Schwarzwälder, wurde die britische Lebensart hochgehalten. Mit dem Einzug von Frau Wachtel trat das Unglück über die Schwelle, im Gefolge von zwei Töchtern, die schon früh Halbwaisen geworden waren. Frau Wachtel war eine stattliche Frau von hohem Wuchs und gebieterischem Auftreten, was einer Wirtschafterin zugute gehalten werden könnte. Im Nu hatte sie alles im Griff, was die Haushalts- und Betriebsführung anging. Alles tanzte nach ihrer Pfeife. Wie konnte das gut ausgehen?
Gunter Pirntke, freier Dozent, Autor und Verleger, Dresden
Kaiser Kokolores neue Kleider
Es war einmal ein nicht unbedeutendes Land mit Namen Wirsindwer mitten in Europa. Dort herrschte der Kaiser Kokolores, der, wie wir im Folgenden hören werden, sich die allergrößte Mühe gab, seinem etwas lächerlich anmutenden Namen alle Ehre zu machen.
Zum Leidwesen seiner geplagten Untertanen war er ein verschwenderischer, genusssüchtiger Mann, dem an nichts mehr als an seinem eigenen Wohlergehen gelegen war. Er pflegte die unter schwersten Bedingungen erarbeiteten Steuergroschen der Bürger mit vollen Händen für kostbare Kleider aus dem Fenster zu werfen – über goldene Knöpfe und edelsteinbesetzte Roben konnte er vor Freude in Tränen ausbrechen. Er widmete sich mit Inbrunst nicht nur seinem eigenen Äußeren, sondern war ebenfalls davon besessen, sein Schloss immer nach dem letzten Schrei sowie seiner Vorstellung von „Schöner Wohnen“ mindestens einmal im Jahr neu auszustatten. Aus allen Teilen der Welt wurden die teuersten Stoffe, die prunkvollsten Ein-richtungsgegenstände und Dekorationen herbeigeschafft, Vorhänge aus kostbaren Stoffen, Teppiche aus dem Orient, eigens entworfene Designer-Möbel. Dem König schwebte vor, dass sein Schloss es eines Tages an Glanz und Prunk mit dem von Versailles aufnehmen, wenn nicht gar übertrumpfen könnte. Um die bald folgenden Geschehnisse richtig einordnen zu können, muss unumwunden und ohne Beschönigung ausdrücklich festgehalten werden: Das Herrscherhaus war ein kostspieliges Vergnügen, an dem nur der Monarch und seine Hofschranzen Freude hatten.
Zu allem Überfluss liebte er auch noch das gute und reichliche Essen, wobei Kaiser Kokolores unter gutem Essen fette und schwere Kost verstand. Dieser fatalen Schwäche gab er sich gleich mehrere Male am Tage hemmungslos hin. Sein Lieblingsgericht war bekanntermaßen Saumagen mit Leberknödeln. Ebenso schätzte er einen guten Tropfen sehr, seinem Lieblingswein, dem Pfälzer Grauburgunder, sprach er in überreichlichem Maße zu, was sich zusammengenommen naturgemäß auf seinen Leibesumfang auswirkte. Er trug bereits einen gewaltigen Bauch vor sich her, der ihm beim Laufen erhebliche Probleme bereitete, damit nicht genug, den Anschein erweckte, als könne er jeden Moment wie ein aufgeblähter Ballon auseinanderplatzen.
Einzig und allein der Umstand, dass er seine Gemahlin schon früh verloren hatte, kann zu seiner Entschuldigung angeführt werden. Die Kaiserin war eine kluge und besonnene Frau gewesen, die ihren zügellosen, zu Wutausbrüchen neigenden Mann mit mäßigem Erfolg im Zaum zu halten versucht hatte.
Nachdem wir uns solchermaßen ein ungefähres Bild über die unhaltbaren Zustände in jenem Land verschaffen konnten, darf ohne Übertreibung behauptet werden, der Kaiser war ein eitler Fant und ein dummer noch dazu. Obwohl sich etliche Lehrmeister redlich bemüht hatten, einen halbwegs gebildeten Mann aus ihm zu machen, fehlte es ihm an jedwedem gesundem Menschenverstand, und mangelte es ihm in ebensolchem Maße an Fingerspitzengefühl, ansonsten hätte er sehr wohl die Zeichen der Zeit erkennen müssen, denn sie standen auf Sturm.
Obwohl Revolutionen und Aufstände in diesen Breitengraden vollkommen aus der Mode gekommen waren, brodelte es mittlerweile an allen Ecken und Enden. In den Straßen, unter den Torbögen und Hauseingängen bildeten sich immer öfter Grüppchen von unzufriedenen Bürgern und Bürgerinnen, die, zwar noch vorsichtig und verhalten, kopfschüttelnd leise murmelten: So kann es nicht weitergehen. Die Taschen waren leer, die Untertanen ächzten unter der Abgabenlast, die Schatzkammern des Reiches so gut wie geplündert, und manch einer der Verwalter hatte sich bereits, das nahe Ende kommen sehend, mit gefülltem Beutelchen aus dem Staube gemacht. Denn dem Kaiser die nackte Wahrheit ins Gesicht sagen, das traute sich keiner. Wie das in Monarchien gang und gäbe ist, wird der Hofstaat zu einem Sammelbecken von Jasagern und Speichelleckern, im gemeinen Volk ist ein noch viel deftigeres Wort gebräuchlich, aber das verschweigt der Erzählerin Höflichkeit.
Da das Kaiserpaar kinderlos geblieben war, bot sich in dieser verzwickten Lage auch keine patente, auf dem Teppich gebliebene junge Prinzessin an, die das Schlimmste möglicherweise noch hätte verhindern können, indem sie einen stattlichen, vernunftbegabten Mann aus dem Volke ehelichte, oder zumindest aus dem Bürgertum, welches allerdings dahinschwächelte. Das soll nicht heißen, dass es bereits im Stadium der vollkommenen geistigen Verblödung gewesen wäre, nein, das ginge möglicherweise zu weit; jemand aus diesen Kreisen hätte vielleicht noch das einfache Kopfrechnen beherrscht und die Pleite vorhersehen, wenn auch nicht vollständig abwenden können.
So nahm das Schicksal dergestalt seinen Lauf, indem es dort ansetzte, wo der unbedarfte, selbstverliebte Herrscher immer mehr und immerfort zusetzte, bei seinem Leibesumfang. Wie sagt schon der Volksmund: Dummheit und Arroganz gehen oft Hand in Hand. Eines Tages war er so aufgegangen, dass er aus allen Nähten platzte und seine Garderobe einer grundlegenden Erneuerung hätte unterzogen werden müssen. Dieser Tag fiel mit dem traurigen Umstand zusammen, dass die Schatzkämmerer verkünden mussten, die Schatzkammer sei endgültig leer und für derlei Firlefanz stünde keine einzige Golddukate mehr zur Verfügung. Kurz gesagt, man war pleite. An Kleidung von der Stange war, wie man sich ohne große Anstrengung denken kann, nicht zu denken. Das ließ den Kaiser Kokolores in eine grenzenlose Traurigkeit verfallen, so dass nun auch noch die einfachsten Amtsgeschäfte nicht mehr erledigt werden konnten. Er verließ tagelang nicht mehr sein in rotem und blauem Samt ausgeschlagenes Schlafgemach und jammerte und klagte ununterbrochen vor sich hin.
In Zeiten der modernen Kommunikationsmedien