Er erzählte dies alles mit wichtiger Miene seinem Gast und versicherte ihm, daß er vor dem Drang der Geschäfte nicht wisse, wo ihm der Kopf stehe. Doch Georg hatte nur für eines Sinn; er durfte hoffen, Marie zu sehen und zu sprechen, und darum hätte er gerne Herrn Dietrich für seine gute Botschaft an das freudig pochende Herz gedrückt.
"Ich sehe es Euch an", sagte dieser, "die Nachricht macht Euch Freude, und die Tanzlust leuchtet Euch schon aus den Augen. Doch Ihr sollt ein Paar Tänzerinnen haben, wie Ihr sie nur wünschen könnt; mit meinen Bäschen sollt Ihr mir tanzen, denn ich bin ihr Führer bei solchen Gelegenheiten und werde es schon zu machen wissen, daß Ihr und kein anderer zuerst sie aufziehen sollt; und wie werden sie sich freuen, wenn ich ihnen einen so flinken Tänzer verspreche!" Damit wünschte er seinem Gast einen guten Morgen und ermahnte ihn, wenn er ausgehe, sein Haus zu merken und das Mittagessen nicht zu versäumen.
Herr Dietrich hatte als sehr naher Verwandter schon früh am Tag Zutritt im Hause des Herrn von Besserer, besonders heute, da ihn seine vielen Geschäfte bei diesem Morgenbesuch entschuldigten.
Er fand die Mädchen noch beim Frühstück.
"Ich sehe Dir es an, Vetter", begann Berta, "Du möchtest gar zu gerne von unserer Suppe kosten, weil Dir Deine Amme heute einen Kinderbrei vorgesetzt hat; aber schlage Dir diese Gedanken nur gleich aus dem Sinn; Du hast Strafe verdient und mußt fasten—."
"Ach, wie wir so sehnlich auf Euch gewartet haben", unterbrach sie Marie.
"Jawohl", fiel ihr Berta in die Rede, "aber bilde Dir nur nicht ein, daß wir eigentlich Dich erwarteten; nein, ganz allein Deine Neuigkeiten."
Der Ratsschreiber war schon gewohnt, von Berta so empfangen zu werden, er wollte daher, um sie zu versöhnen, daß er nicht gestern abend noch ihre Neugierde befriedigt habe, seine Nachrichten in desto längerem Strom geben; aber Berta unterbrach ihn. "Wir kennen", sagte sie, "Deine breiten Erzählungen, und haben auch das meiste vom Erker aus selbst mit angesehen; von Eurem Trinkgelage, wo es arg genug hergegangen sein soll, will ich auch nichts wissen, darum antworte mir auf meine Frage." Sie stellte sich mit komischem Ernst vor ihn hin und fuhr fort: "Dietrich von Kraft, Schreiber eines wohledlen Rates, habt Ihr unter den Bündischen keinen jungen, überaus höflichen Herrn gesehen, mit langem, hellbraunem Haar, einem Gesicht, nicht so milchweiß wie das Eure, aber doch nicht minder hübsch, kleinem Bart, nicht so zierlich wie der Eure, aber dennoch schöner, hellblauer Schärpe mit Silber…"
"Ach, das ist kein anderer als mein Gast!" rief Herr Dietrich. "Er ritt einen großen Braunen, trug ein blaues Wams, an den Schultern geschlitzt und mit Hellblau ausgelegt?"
"Ja, ja, nur weiter!" rief Berta. "Wir haben unsere eigenen Ursachen, uns nach ihm zu erkundigen."
Marie stand auf und suchte ihr Nähzeug in dem Kasten, indem sie beiden den Rücken zukehrte; aber die Röte, die alle Augenblicke auf ihren Wangen wechselte, ließ ahnen, daß sie kein Wort von Herrn Dietrichs Erzählung verlor.
"Nun, das ist Georg von Sturmfeder", fuhr der Ratsschreiber fort, "ein schöner, lieber Junge. Sonderbar, auch Ihr seid ihm gleich beim Einzug aufgefallen."—und nun erzählte er, was am Gastmahl vorgegangen sei, wie ihm der hohe Wuchs, das Gebietende und Anziehende in des Jünglings Mienen gleich anfangs aufgefallen, wie ihn der Zufall zu seinem Nachbar gemacht, wie er ihn immer lieber gewonnen und endlich in sein Haus geführt habe.
"Nun, das ist schön von Dir, Vetter", sagte Berta, als er geendet hatte, und reichte ihm freundlich die Hand, "ich glaube, es ist das erste Mal, daß Du es wagst, Gäste zu haben. Aber das Gesicht der alten Sabine hätte ich sehen mögen, als Junker Dieter so spät noch einen Gast brachte."
"Oh, sie war wie der Lindwurm gegen St. Georg; aber als ich ihr ganz unverblümt zu verstehen gab, es könne wohl geschehen, daß ich bald eine meiner schönen Basen heimführen würde…"
"Ach, geh doch!" entgegnete Berta, indem sie ihm hocherrötend ihre Hand entreißen wollte; aber Herr Dietrich, dem sein Mühmchen noch nie so hübsch als in diesem Augenblick geschienen hatte, drückte die weiche Hand fester, und Mariens ernsteres Bild verlor von Sekunde zu Sekunde an Gehalt, und die Waagschale der fröhlichen Berta, die jetzt in holder Verschämtheit vor ihm saß, stieg hoch in den Augen des glücklichen Ratsschreibers.
Doch nun fiel ihm der Grund seines Besuches wieder ein, den er während des Gespräches ganz vergessen hatte. Berta sprang mit einem Schrei der Freude auf, als ihr der Vetter die Nachricht von dem Abendtanz mitteilte.
"Marie, Marie", rief sie in hellen Tönen, daß die Gerufene bestürzt herbeieilte. "Marie, ein Abendtanz auf dem Rathaus!" rief die beglückte Berta.
Auch diese schien freudig überrascht von dieser Nachricht. "Wann? Kommen auch die Fremden dazu?" waren ihre schnellen Fragen, indem ein hohes Rot ihre Wangen färbte, und aus dem ernsten Auge, das die kaum geweinten Tränen nicht verbergen konnte, ein Strahl der Freude drang.
Berta und der Vetter waren erstaunt über den schnellen Wechsel von Schmerz und Freude, und der letztere konnte die Bemerkung nicht unterdrücken, daß Marie eine leidenschaftliche Tänzerin sein müsse. Doch wir glauben, er habe sich hierin nicht weniger geirrt, als wenn er Georg für einen Weinkenner hielt.
Als der Ratsschreiber sah, daß er jetzt, wo die Mädchen sich in eine wichtige Beratung über ihren Anzug verwickelten, eine überflüssige Rolle spiele, empfahl er sich, um seinen wichtigeren Geschäften nachzugehen. Er beeilte sich, seine Anordnungen zu treffen, und die hohen Gäste und die angesehensten Häuser zu laden. Überall erschien er als ein Bote des Heils, denn wie die Sage erzählt, ist die Freude am Tanzen nicht erst heute über die Mädchen gekommen.
Doch nicht seine Anordnungen allein waren dem Ratsschreiber gelungen, er hatte nebenbei auch manche geheime Nachricht erspäht, die bis jetzt nur der engere Ausschuß des Rates mit den Bundesobersten teilte.
Zufrieden mit dem Erfolg seiner vielen Geschäfte kam er gegen Mittag nach Hause, und sein erster Gang war, nach seinem Gast zu sehen. Er traf ihn bei einer sonderbaren Arbeit. Georg hatte lange in einem schöngeschriebenen Chronikbuch, das er in seinem Zimmer gefunden hatte, geblättert. Die reinlich gemalten Bilder, womit die Anfangsbuchstaben der Kapitel unterlegt waren, die Triumphzüge und Schlachtenstücke, welche mit kühnen Zügen entworfen, mit besonderem Fleiß ausgemalt, hin und wieder den Text unterbrachen, unterhielten ihn geraume Zeit. Dann fing er an, erfüllt von den kriegerischen Bildern, die er angeschaut hatte, seinen Helm und Harnisch und das vom Vater ererbte Schwert zu reinigen und blank zu machen, indem er zum großem Ärgernis der Frau Sabine bald lustige, bald ernstere Weisen dazu sang.
So traf ihn sein Gastfreund. Schon unten an der Treppe hatte er die angenehme Stimme des Singenden vernommen Er konnte sich nicht enthalten, noch einige Zeit an der Tür zu lauschen, ehe er den Gesang unterbrach.
Der Sänger begann von neuem:
"Kaum gedacht,
War der Lust ein End' gemacht,
Gestern noch auf stolzen Rossen,
Heute durch die Brust geschossen,
Morgen in das kühle Grab.
Doch was ist
Aller Erden Freud' und Lüst'!
Prahlst du gleich mit deinen Wangen,
Die wie Milch und Purpur prangen,
Sieh', die Rosen welken all'.
Darum still
Geb' ich mich, wie Gott es will:
Und wird die Trompete blasen,
Und muß ich mein Leben lassen,
Stirbt ein braver Reitersmann."
"Wahrlich, Ihr habt eine schöne Stimme", sagte Herr von Kraft, als er