Der Freigeist. Gotthold Ephraim Lessing. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gotthold Ephraim Lessing
Издательство: Public Domain
Серия:
Жанр произведения: Драматургия
Год издания: 0
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Muß sie auf einen so kindischen Fuß mit mir umgehen? Sahe sie mich nicht dadurch für ein kleines spielendes Mädchen an, das zu ihr gesagt hätte: Deine Puppe ist die schönste; und dem sie also, um es nicht böse zu machen, antworten müßte: Nein, deine ist die schönste?

      Lisette. Nun hat sie recht!

      Henriette. Oh! geh, du bist eine artige Richterin. Hast du schon vergessen, daß du mir heute angehörst?

      Lisette. Desto schärfer eben werde ich gegen Sie sein, damit ich nicht parteiisch lasse.

      Juliane. Glaube mir nur, daß ich bessere Eigenschaften an einer Mannsperson zu schätzen weiß, als seine Gestalt. Und es ist genug, daß ich diese bessern Eigenschaften an dem Theophan finde. Sein Geist- -

      Henriette. Von dem ist ja nicht die Rede. Jetzt kömmt es auf den

      Körper an, und dieser ist an dem Theophan schöner, du magst sagen, was

      du willst. Adrast ist besser gewachsen: gut; er hat einen schönern

      Fuß: ich habe nichts dawider. Aber laß uns auf das Gesicht kommen.—

      Juliane. So stückweise habe ich mich nicht eingelassen.

      Henriette. Das ist eben dein Fehler.—Was für ein Stolz, was für eine Verachtung aller andern blickt nicht dem Adrast aus jeder Miene! Du wirst es Adel nennen; aber machst du es dadurch schön? Umsonst sind seine Gesichtszüge noch so regelmäßig: sein Eigensinn, seine Lust zum Spotten hat eine gewisse Falte hineingebracht, die ihm in meinen Augen recht häßlich läßt. Aber ich will sie ihm gewiß herausbringen: laß nur die Flitterwochen erst vorbei sein.—Dein Theophan hingegen hat das liebenswürdigste Gesicht von der Welt. Es herrscht eine Freundlichkeit darin, die sich niemals verleugnet.—

      Juliane. Sage mir doch nur nichts, was ich ebensogut bemerkt habe, als du. Allein eben diese seine Freundlichkeit ist nicht sowohl das Eigentum seines Gesichts, als die Folge seiner innern Ruhe. Die Schönheit der Seele bringt auch in einen ungestalteten Körper Reize; so wie ihre Häßlichkeit dem vortrefflichsten Baue und den schönsten Gliedern desselben, ich weiß nicht was eindrückt, das einen unzuerklärenden Verdruß erwecket. Wenn Adrast eben der fromme Mann wäre, der Theophan ist; wenn seine Seele von ebenso göttlichen Strahlen der Wahrheit, die er sich mit Gewalt zu verkennen bestrebet, erleuchtet wäre: so würde er ein Engel unter den Menschen sein; da er jetzt kaum ein Mensch unter den Menschen ist. Zürne nicht, Henriette, daß ich so verächtlich von ihm rede. Wenn er in gute Hände fällt, kann er noch alles das werden, was er jetzt nicht ist, weil er es nie hat sein wollen. Seine Begriffe von der Ehre, von der natürlichen Billigkeit sind vortrefflich.—

      Henriette (spöttisch). Oh! du machst ihn auch gar zu sehr herunter.– Aber im Ernste, kann ich nicht sagen, daß du mich nunmehr für das kleine spielende Mädchen ansiehst? Ich mag ja nicht von dir seinetwegen zufriedengestellt sein. Er ist, wie er ist, und lange gut für mich. Du sprachst von guten Händen, in die er fallen müßte, wenn noch was aus ihm werden sollte. Da er in meine nunmehr gefallen ist, wird er wohl nicht anders werden. Mich nach ihm zu richten, wird mein einziger Kunstgriff sein, uns das Leben erträglich zu machen. Nur die verdrießlichen Gesichter muß er ablegen; und da werde ich ihm die Gesichter deines Theophans zum Muster vorschlagen.

      Juliane. Schon wieder Theophan, und seine freundlichen Gesichter?

      Lisette. Stille! Mamsell—

      Zweiter Auftritt

      Theophan. Juliane. Henriette. Lisette.

      Henriette (springt dem Theophan entgegen). Kommen Sie doch, Theophan, kommen Sie!—Können Sie wohl glauben, daß ich Ihre Partei gegen meine Schwester habe halten müssen? Bewundern Sie meine Uneigennützigkeit. Ich habe Sie bis in den Himmel erhoben, da ich doch weiß, daß ich Sie nicht bekomme, sondern daß Sie für meine Schwester bestimmt sind, die Ihren Wert nicht kennet. Denken Sie nur, sie behauptet, daß Sie keine so schöne Person vorstellten, als Adrast. Ich weiß nicht, wie sie das behaupten kann. Ich sehe doch den Adrast mit den Augen einer Verliebten an, das ist, ich mache mir ihn noch zehnmal schöner, als er ist, und gleichwohl geben Sie ihm, meines Bedünkens, nichts nach. Sie spricht zwar, auf der Seite des Geistes hätten Sie mehr Vorzüge; aber was wissen wir Frauenzimmer denn vom Geiste?

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