„Natürlich von den mitzuführenden Nahrungsmitteln, von Konserven und andern guten Sachen, auch besten Neckarwein nicht zu vergessen,“ antwortete schmunzelnd der mit einem hübschen Bäuchlein ausgestattete, eß- und trinkfeste Mathematiker.
„Den Wein vergessen wir auch nicht, sei unbesorgt, Schnabel. Aber von was lebt denn sonst noch der Mensch außer von Speise und Trank?“
„Nun, von Luft!“ entgegnete Schnabel etwas gereizt über diese Frage.
„Gewiß! Nur sage mir, woher wir denn die Luft auf unserer Reise beziehen sollen. Im Ätherraume gibt es bekanntlich keine, und die vom Cannstatter Wasen in der Gondel mitgenommene Heimatluft hält leider auch nicht lange vor.“
„O zum Kuckuck! Es ist die Anlage für die feste Luft, die ich vergaß anbringen zu lassen.“
„So ist es! Mache deinen Fehler so rasch als möglich gut. Blieder soll dir dabei helfen. Ob die Anlage feste Luft enthält, werde ich dann selbst noch prüfen; denn du wärest imstande, sogar die Füllung zu vergessen. Wie ich dir gestern mittag schon sagte, ist auch die ganze Steuerungsanlage fehlerhaft. An Stelle der Vermittlung durch die Welle hast du unbegreiflicherweise die lebendige Kraft des elektrischen Stromes unmittelbar auf die Aluminiumschraube übertragen.“
„Laut mathematischer Berechnung das einzig Richtige!“ brummte Schnabel.
„Bleib mir hier mit deiner Mathematik vom Leibe, wenn sie solch offenkundigen Unsinn zeitigt!“ entgegnete zornig Professor Stiller. „Ich trage die Verantwortung für die gewagte Expedition. Alles, was ihre Gefahr irgendwie vermehren kann, muß ich nachdrücklich zurückweisen, alles dagegen willkommen heißen, was zu ihrer Sicherheit und zum möglichen Gelingen beizutragen vermag.“
„Als ob wir, Blieder und ich, nicht alles getan hätten, was du von uns verlangtest! Aber natürlich, euch Allerhöchsten von der Universität ist selten etwas recht zu machen.“
„So scheint es wirklich zu sein,“ bestätigte seufzend Blieder.
„Darüber will ich mich mit euch nicht streiten, denn dies wäre eine höchst zwecklose Sache. Sorgt lieber dafür, daß der Weltensegler nächste Woche segelfertig ist. Höchste Zeit dafür ist es, soll die Reise überhaupt gelingen. Seit Tagen schon drängen mich deshalb meine Kollegen in Tübingen, denen ich als Zeit des Aufstieges die ersten Tage des Dezembers angegeben hatte, und zwar als äußersten Zeitpunkt. Nun entsteht wieder eine Verzögerung. Die Sache muß rasch zu Ende gebracht werden. Abgesehen von der allgemeinen Lächerlichkeit, der wir uns aussetzen würden, wenn die Abreise immer von neuem wieder verschoben wird, laufen wir überhaupt Gefahr, die uns gebotenen günstigen Konjunkturen nicht voll und ganz ausnützen zu können. Also sputet euch! Ich bitte dringend darum.“
„Wie lange wird die Reise dauern?“ fragte Schnabel neugierig und bestrebt, der ihm unangenehmen Unterhaltung eine freundlichere Wendung zu geben.
„Das hängt von jedem Tage, ja von jeder Stunde ab, die wir früher fahren können,“ entgegnete Professor Stiller. „Die für die Verbesserung der gerügten Fehler eingeräumten weiteren vier Tage bedeuten für uns eine höchst unliebsame Verlängerung der Reise. Mars hat jetzt das Maximum seiner Annäherung an die Erde erreicht und entfernt sich nun von ihr wieder mit jeder Minute. Wie lange unter diesen Umständen die Reise im Ätherraume dauern wird, läßt sich nur ahnen, genau aber nicht sagen. Sobald wir glücklich aus dem Anziehungskreise der Erde und des Mondes herausgekommen und in den des Mars gelangt sind, wird die Reise außerordentlich rasch vonstatten gehen trotz der gewaltigen Entfernungen, die wir zurückzulegen haben. Dank der mächtigen, vom Mars ausgehenden elektromagnetischen Strömungen der Anziehung werden wir diesem Planeten mit ganz fabelhafter Schnelligkeit zufliegen, mit einer Schnelligkeit, die mindestens täglich auf zwei Millionen Kilometer einzuschätzen ist. Immerhin rechne ich auch im günstigsten Falle auf eine Reisedauer von mehreren Wochen. Der Vorsicht halber nehmen wir aber für drei Monate Proviant mit uns.“
„Und wenn ihr den Mars nicht erreicht, wenn die ganze Reise mißlingt, was dann?“ forschte Schnabel.
„Dann, mein Lieber, geht es uns, wie es schon so manchem Forscher vor uns gegangen ist und nach uns noch gehen wird: wir sind die Opfer, die Märtyrer der Wissenschaft. Mit diesem Fall haben wir aber auch schon gerechnet, als wir beschlossen, die kühne Fahrt zu unternehmen. Glücklicherweise sind sämtliche übrigen Teilnehmer gleich mir keine Familienväter, sondern der Mehrzahl nach jüngere Männer, die diesen Schritt in das Ungewisse, Geheimnisvolle wagen und vor ihrem Gewissen verantworten können. Ich persönlich rechne mit aller Sicherheit auf das Gelingen der Reise, auf den Triumph der Wissenschaft.“
„Mit staunender Bewunderung sieht heute die ganze Kulturwelt auf uns und unser Neckartal, wo so kühne Pläne vor ihrer Verwirklichung stehen, und kommt ihr einst mit dem Weltensegler glücklich wieder zurück, so werdet ihr in einer Weise empfangen und gefeiert werden, wie es noch niemals Menschen vor euch geschah,“ warf Blieder ein.
„Zuerst müssen wir nach dem Mars gekommen sein, bevor wir überhaupt an eine Rückkehr denken können,“ entgegnete Professor Stiller lächelnd. „Einige Jahre dürfte unsere Abwesenheit von hier schon dauern; denn eine solche ungeheure Reise erfordert begreiflicherweise auch außergewöhnliche Zeitdauer. Und das interessanteste Studienobjekt ist der Mensch selbst, der auf jenem fernen Weltkörper haust. Wie ihr wißt, beweisen uns unsere teleskopischen Beobachtungen, daß es ganz besonders hochstehende Wesen sein müssen, die dort wohnen. Wer weiß, ob sie uns nicht geistig wie körperlich weit überragen.“
„Oder uns gegenüber noch sehr minderwertig sind, was auch nicht unmöglich wäre,“ bemerkte Schnabel hochmütig. „Auf keinen Fall möchte ich mit.“
„Du bleibst auch besser unten auf der Erde,“ entgegnete Professor Stiller. „Und nun haben wir genug geschwatzt. Eilt an eure Arbeit! In vier Tagen werde ich auf den Wasen kommen und mich überzeugen, ob die gerügten Anstände in Ordnung gebracht sind. Nächste Woche muß die Abreise des Weltenseglers unbedingt stattfinden; ich betone dies nochmals mit allem Nachdruck. Jeder weitere Tag des Wartens bedeutet für mich und mein an sich schon aufgeregtes Nervensystem eine fürchterliche Qual. Sie zu vermindern, liegt in eurer Hand. Ihr habt mir oft und viel Verdruß bereitet, macht also, daß ich ohne allzu großen Groll von euch und dieser Erde scheiden kann.“ Mit diesen Worten entließ der Professor seine Besucher.
Zweites Kapitel
Die Abreise der Weltensegler
Für Professor Stiller und seine Gefährten vergingen die folgenden Tage in fieberhafter Tätigkeit mit den Vorbereitungen zur Reise. Auch auf dem Cannstatter Wasen in der Werkstätte des Weltenseglers herrschte wieder regste Tätigkeit. Das Luftschiff war aus der gewaltigen Halle heraus auf den großen, freien Platz davor gebracht und hier fest verankert worden. Nun erst konnte man die riesigen Formen des Ballons richtig erkennen. Er hatte eine länglich ovale Gestalt, ebenso die an ihm befestigte geschlossene Gondel. Infolge dieser Ähnlichkeit machte die Gondel den Eindruck, als befinde sich ein zweiter kleinerer Ballon unterhalb des großen, gewissermaßen wie Mutter und Kind.
Die Länge des Luftschiffes betrug, von einer Spitze zur andern gemessen, zweihundert Meter, die mittlere Höhe zwanzig Meter.
Das innere Gerippe des Ballons bestand aus einem Netzwerk von luftleer gemachten, sehr dünnen, aber außerordentlich starken Metallblechröhren. Darüber legte sich ein zweites, gleich konstruiertes Gerippe und über dieses ein drittes. Wohl waren die drei Lagen unter sich verbunden, aber doch so, daß auch jede einzelne für sich allein tätig sein und die Gondel tragen konnte. Es war sozusagen ein dreifach übereinander gestülpter Ballon.
Zur Anfertigung der Metallröhren wurde die von Professor Samuel Schwab in Tübingen neu entdeckte Metallmischung, Suevit genannt, verwendet. Diese Mischung zeichnete sich durch außerordentliche Leichtigkeit, fabelhafte Widerstandsfähigkeit und gewaltige Tragkraft aus und stellte alle bis jetzt in dieser Richtung bekannten Metallpräparate in den Schatten. Suevit bestand der Hauptsache nach aus Aluminium, dem aber in bestimmtem prozentualem Verhältnisse