Die Ströme des Namenlos. Emma Waiblinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Emma Waiblinger
Издательство: Public Domain
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
isbn:
Скачать книгу
Geiste vor mir stehen, und alle Kraft von vorhin wandelte sich in einen lähmenden Zauber; ich spürte ihn süß und schmerzhaft und wurde willenlos und unsäglich müd davon. Auf dem Grab des Namenlos hockte ich stundenlang, kaute geistesabwesend an einem Schnittlauchhalm, träumte und spürte meine Liebe wie ein schweres, dunkles, warmes Blut meinen Leib durchrinnen.

      Mit der Margret bekam ich in dieser Zeit einmal böse Händel, die uns für immer auseinanderbrachten. Sie hatte wohl gemerkt, wie es mit mir stand und spottete in ihrer frischen Art, die alle Schwärmerei haßte und verabscheute, darüber. Das konnte ich nicht ertragen, einmal im Zorn schlug ich sie, wir prügelten uns und ich blieb heulend am Boden liegen, in dem erbärmlichen Gefühl der Niederlage und dem Schmerz um etwas Stilles und Heimliches, das mir entrissen, entweiht und verzerrt war. Ich verschloß meine Liebe tiefer in mir. Aber ich fühlte, daß sie stärker und heißer wurde.

      Ich war nun freilich um den Trost gekommen, mich nächtlicherweile von der Margret liebhaben und streicheln zu lassen, ein bitteres Gefühl der Vereinsamung kam oft über mich, wenn ich nachts wachlag und in all meiner Bedrängnis wußte, daß ich ihr nichts davon sagen durfte.

      Auch in meine Freundschaft mit Elsbeth Gräther war eine unerklärliche Fremdheit gekommen; wir sahen uns selten außer den Schulstunden. Einmal sagte ich auf dem Heimweg vergnügt zu ihr: »Ich muß dich bald wieder einmal besuchen, wir waren so lang nimmer beieinander, gelt? Soll ich morgen Nachmittag kommen?«

      »Ach, lieber nicht,« sagte sie gequält. »Diese Hitze macht mich ganz krank; ich bin am liebsten allein gegenwärtig.«

      Ich spürte, daß ich rot wurde, ich hatte mich wahrhaftig nicht aufdrängen wollen. Und ich wunderte mich, daß Elsbeth, die sonst so feinfühlig und herzlich war, gar nicht zu merken schien, daß sie mich verletzt hatte.

      Es war seltsam; vielleicht war sie krank und wollte es mir nicht sagen. Aber es ließ mir keine Ruhe; am andern Tag, als ich schweigend hinter ihr her trottete auf dem Heimweg von der Schule, fragte ich sie darum. Sie drehte sich rasch um.

      »Ja, gelt, ich bin gräßlich ungenießbar, ach, ich weiß es ja selber.«

      Sie bot mir mit einem hilflosen Lächeln die Hand hin. »Verzeih,« sprach sie traurig. »Ja, ich glaube, es ist mir nicht recht gut gegenwärtig, ich habe oft Kopfweh. Man kann es nicht so recht sagen.«

      Als ich dann allein weiterging, faßte ich einen Entschluß. Ich wollte nun, da ich gesehen hatte, daß ihr meine Gesellschaft und meine Fragen unlieb waren, ganz für mich bleiben und so weh es auch tat, ihre liebe Nähe meiden, bis sie über diese böse Zeit hinüber und wieder mit sich zurecht gekommen war. Elsbeth selber hatte mir ja gezeigt, wie man das in einer feinen, zarten Weise tun könne, und wie so ein stilles Zurücktreten ein schweres, aber schönes Opfer sei.

      In diesen Tagen, als ich einmal auf dem Grab des Namenlos lag, mußte ich plötzlich denken: vielleicht soll es so sein und ist eine Einrichtung von Gott, daß, wenn man eine Liebe trägt, alles andere von einem abfällt, sich zurückzieht und einen allein läßt. Vielleicht muß man erst so recht hilflos und einsam werden, um die ganze Kraft und Seligkeit dieses Wunders zu spüren; man wird alles, was einen vorher beglückt und erfüllt hat, wegtun müssen; nur ganz still in sich hineinhorchen auf das Rauschen der göttlichen Flut.

      Ich wurde froh und still bei diesem Gedanken und meinte, den lieben Gott und seine Weltregierung wieder einmal recht verstanden zu haben.

      So allmählich war nun der Sommer gekommen; ich ging den alten Weg durch die Wiesen zur Schule hinab; er war jeden Tag voller Sonne. Ich dachte immer nur an ihn, Worte hingen mir im Kopf, und Verse lagen mir auf den Lippen. Manchmal streckte ich mich ins Heu, machte die Augen zu und dachte, jetzt müsse er kommen und mich küssen. Ich empfand ein starkes, süßes Grauen bei diesem Gedanken; es war mir etwas Unheimliches dabei, bei der Liebe überhaupt, ich verstand es nicht, aber ich ahnte es dunkel.

      Wohl war ich nun einsam und es wurmte mich manchmal, daß kein Mensch mein Freund sein wollte; aber ich wußte, daß ich nun ein bewußtes, eigenes Leben lebe, das aus der Stumpfheit meiner Jugend erstanden war. Ich ließ mich von meinen Stimmungen tragen, gab ihnen nach, träumend und doch froh und wach und war unsäglich glücklich dabei.

      Eines Abends lag ich in meinem Bett – wir gingen immer schon in der ersten Dämmerung schlafen, um Licht zu sparen – draußen sank die Nacht, und tausend Sehnsüchte hielten mich hellwach. Der Tag war schwül gewesen, erst gegen Abend wurde es kühler, und ein leichter Wind trieb langsame Wolken über den dunklen Himmel.

      In einer wohligen Erregung stand ich auf und setzte mich unter das Fenster. Das Heu roch süß und kräftig von der Wiese herüber, die Bäume gingen im Nachtwind hin und her, und ich empfand plötzlich eine Lust, draußen zu sein und ein Stück weit durch die Nacht zu laufen.

      Leise kleidete ich mich an, tappte die Treppe hinab und suchte im Hausflur meinen Hut. Dann schob ich vorsichtig den Riegel zurück und trat hinaus. Ein lautloser Sommerregen ging nieder, und die Luft war voll jenes bitterlichen Geruchs, den es gibt, wenn Regen auf heißes Erdreich fällt und Staub löscht. Ich liebte diesen Duft unsäglich und trank ihn in durstigen Zügen. Unversehens war ich so ums Haus herumgekommen, stand da in unserem bescheidenen Gärtlein und roch, daß irgendwo Rosen in der Nähe seien. Ich griff in Dunkelheit und nasses, kühles Blätterwerk, endlich bekam ich ein paar feuchte Blüten in die Hände und riß sie ab.

      Da meinte ich, Mutter zu hören, wie sie neben mir sagte: »nicht reißen, schneiden! Es tut den Rosen weh, wenn man sie abreißt.«

      Ich lächelte schuldbewußt, küßte in einer weichen Seligkeit den Zweig, als ob es damit wieder gut gemacht wäre. »Ich will die Rosen ihm bringen,« dachte ich. »Ich will sie auf seine Hausstaffel legen; es ist Zeit, daß ich auch einmal etwas aus meiner Liebe tue und vollbringe!«

      Leise summend ging ich durch die Wiesen hinunter, der Regen fiel in warmen Tropfen durch die Aeste auf mich herab; ich schritt dahin in einem Rausch von Liebe, Wärme und Sommergeruch.

      In der Stadt waren noch Lichter hell und Leute auf den Straßen. Ich versteckte die Rosen unter meiner Schürze und drückte mich verstohlen an den Häusern hin. Seine Haustür war weit offen, ein Treppenlämpchen leuchtete zum ersten Stock hinauf; da war seine Tür. Ich warf mit heftigem Herzklopfen die Rosen hin und sprang fort.

      Am Gartenzaun stand reglos eine Gestalt, ich wollte vorüber, hörte aber meinen Namen rufen und blieb stehen.

      Es war die Elsbeth; im Schein einer nahen Laterne sah ich ihr Gesicht und da, – ach, mit einemmal, ehe sie noch ein Wort gesprochen hatte, wußte ich alles und verstand ihr seltsames Wesen in der letzten Zeit und stand still und wie gelähmt von einem bösen, dumpfen Schrecken.

      Es träumt einem zuweilen, man gehe über die Straße und entdecke plötzlich, daß man keine Kleider anhabe; genau dasselbe Gefühl kam nun, wie ich so vor Elsbeths traurigen, vorwurfsvollen Augen stand, über mich, und ich wüßte nichts, was dem an peinvoller Scham und Beklemmung gleichkäme.

      »Du brauchst mir nicht zu sagen, wo du warst, ich weiß es schon!« sagte sie leise und traurig.

      Dann schlang sie plötzlich ihren Arm fest um meine Schulter, zog mich an den Zaun und beugte sich tief mit mir über die Latten.

      »Du, Flaig,« sagte sie schnell, heiser und eindringlich, »du mußt jetzt einmal ganz vernünftig sein, hörst du! – Ich bin deine einzige Freundin, gelt? – Und du hast mich gern, das weiß ich sicher. Und hast du mir nicht schon manchmal etwas zulieb tun oder schenken wollen und wußtest nicht was? Sag, ist es nicht so?«

      »Ja,« sagte ich tonlos.

      »Weißt du,« flüsterte sie in leidenschaftlicher Erregung ganz dicht bei meinem Gesicht, »jetzt möchte ich etwas von dir: du mußt mir den Vikar lassen! Du mußt es, Flaig! Sieh, ich kann da keine Rücksicht auf dich nehmen!

      Ich bin immer verwöhnt worden, zu Haus und in der Schule und überall. Alle Leute haben mich gern gehabt, und die Mädchen in der Schule waren beglückt, wenn ich mich mit ihnen abgab. Nie ist mir eine Freundschaft versagt geblieben; ich habe auch schon einen Gymnasiasten zum Schatz gehabt; er und seine Freunde schwärmten für mich.

      Der Vikar steht mich nicht an.