Der Zauberberg. Volume 2. Томас Манн. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Томас Манн
Издательство: РИПОЛ Классик
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 1924
isbn: 978-5-521-06257-7, 978-5-521-05933-1
Скачать книгу
Gewerbe. Sie waren nicht geneigt, die Arbeit an und für sich sehr hoch zu schätzen, denn sie ist nur eine ethische Angelegenheit, keine religiöse, sie geschieht im Dienste des Le-bens, nicht Gottes. Und wenn es sich denn bloß um das Leben handeln sollte und um Wirtschaft, so verlangten sie, daß pro-duktive Werktätigkeit als Bedingung wirtschaftlichen Vorteils und als Maßstab der Achtbarkeit gelte. Ehrenwert war ihnen der Ackerbauer, der Handwerker, nicht der Händler, nicht der Indu-strielle. Denn sie wollten, daß die Produktion sich nach dem Bedürfnis richte, und verabscheuten die Massengütererzeugung. Nun denn, – alle diese wirtschaftlichen Grundsätze und Maß-stäbe halten nach jahrhundertelanger Verschüttung ihre Aufer-stehung in der modernen Bewegung des Kommunismus. Die Übereinstimmung ist vollkommen bis hinein in den Sinn des Herrschaftsanspruchs, den die internationale Arbeit gegen das internationale Händler – und Spekulantentum erhebt, das Welt-proletariat, das heute die Humanität und die Kriterien des Gottesstaates der bürgerlich-kapitalistischen Verrottung entgegen-stellt. Die Diktatur des Proletariats, diese politisch-wirtschaftliche Heilsforderung der Zeit, hat nicht den Sinn der Herrschaft um ihrer selbst willen und in Ewigkeit, sondern den einer zeit-weiligen Aufhebung des Gegensatzes von Geist und Macht im Zeichen des Kreuzes, den Sinn der Weltüberwindung durch das Mittel der Weltherrschaft, den Sinn des Überganges, der Trans-zendenz, den Sinn des Reiches. Das Proletariat hat das Werk Gregors aufgenommen, sein Gotteseifer ist in ihm, und so we-nig wie er wird es seine Hand zurückhalten dürfen vom Blute. Seine Aufgabe ist der Schrecken zum Heile der Welt und zur Gewinnung des Erlösungsziels, der Staats – und klassenlosen Gotteskindscha ft."

      So Naphtas scharfe Rede. Die kleine Versammlung schwieg. Die jungen Leute blickten Herrn Settembrini an. An ihm war es, sich irgendwie zu verhalten. Er sagte:

      "Erstaunlich. Gewiß, ich gestehe meine Erschütterung, ich hätte das nicht erwartet. Roma locuta. Und wie, – und wie hat es gesprochen! Vor unseren Augen hat er ein hieratisches Salto-mortale vollführt, – wenn das ein Widerspruch im Beiwort ist, so hat er ihn zeitweilig aufgehoben', ah, ja! Ich wiederhole: es ist erstaunlich. Halten Sie Einwendungen für denkbar, Professor, – Einwendungen lediglich vom Standpunkt der Konse-quenz? Sie bemühten sich vorhin, uns einen christlichen, auf der Zweiheit von Gott und Welt beruhenden Individualismus begreiflich zu machen und uns seinen Vorrang vor aller poli-tisch bestimmten Sittlichkeit zu beweisen. Wenige Minuten später treiben Sie den Sozialismus bis zur Diktatur und zum Schrecken. Wie reimt sich das?"

      "Gegensätze", sagte Naphta, "mögen sich reimen. Ungereimt ist nur das Halbe und Mediokre. Ihr Individualismus, wie ich mir schon anzumerken erlaubte, ist eine Halbheit, ein Zuge-ständnis. Er korrigiert Ihre heidnische Staatssittlichkeit durch ein wenig Christentum, ein wenig 'Recht des Individuums', ein wenig sogenannte Freiheit, das ist alles. Ein Individualismus da-gegen, der von der kosmischen, der astrologischen Wichtigkeit der Einzelseele ausgeht, ein nicht sozialer, sondern religiöser Individualismus, der das Menschliche nicht als Widerstreit von Ich und Gesellschaft, sondern als den von Ich und Gott, von Fleisch und Geist erlebt, – ein solcher eigentlicher Individualismus verträgt sich mit bindungsvollster Gemeinschaft recht wohl …"

      "Anonym und gemeinsam ist er", sagte Hans Castorp.

      Settembrini sah ihn mit großen Augen an.

      "Schweigen Sie, Ingenieur!" befahl er mit einer Strenge, die auf Rechnung seiner Nervosität und Anspannung zu setzen war.. "Unterrichten Sie sich, aber produzieren Sie nicht! – Das ist eine Antwort", sagte er, wieder zu Naphta gewandt. "Sie tröstet mich wenig, aber es ist eine. Blicken wir allen Konsequenzen ins Auge … Mit der Industrie verneint der christliche Kommu-nismus die Technik, die Maschine, den Fortschritt. Mit dem, was Sie Händlertum nennen, dem Gelde und Geldgeschäft, das der Antike weit höher als Landwirtschaft und Handwerk galt, verneint er die Freiheit. Denn es ist ja klar, es beißt in die Augen, daß dadurch, wie im Mittelalter, alle privaten und öffentli-chen Verhältnisse an den Grund und Boden gebunden werden, auch die – es fällt mir nicht eben ganz leicht, es auszusprechen – auch die Persönlichkeit. Kann nur der Boden ernähren, so ist er es allein, der Freiheit verleiht. Handwerker und Bauern, als so ehrenwert sie immer gelten mögen, – besitzen sie keinen Boden, so sind sie Hörige dessen, der welchen besitzt. Tatsächlich bestand bis tief ins Mittelalter hinein die große Menge selbst der Städte aus Hörigen. Sie haben im Gange des Gesprächs dies und das von menschlicher Würde verlauten lassen. Unterdessen verfechten Sie eine Wirtschaftsmoral, an der die Unfreiheit und Würdelosigkeit der menschlichen Persönlichkeit hängt."

      "Über Würde und Würdelosigkeit", erwiderte Naphta, "ließe sich reden. Vorderhand wäre es mir eine Genugtuung, wenn diese Zusammenhänge Ihnen Veranlassung gäben, die Freiheit nicht so sehr als schöne Geste, denn als ein Problem zu begrei-fen. Sie stellen fest, daß die christliche Wirtschaftsmoral in ihrer Schönheit und Menschlichkeit Unfreie schafft. Ich stelle dage-gen, daß die Sache der Freiheit, die Sache der Städte, wie man konkreter sagen darf, – daß diese Sache, höchst sittlich, wie sie immer sei, historisch verbunden ist mit der unmenschlichsten Entartung der Wirtschaftsmoral, mit allen Greueln des moder-nen Händler – und Spekulantentums, mit der Satansherrschaft des Geldes, des Geschäftes."

      "Ich muß darauf bestehen, daß Sie sich nicht hinter Zweifel und Antinomien zurückziehen, sondern sich klar und unzweideutig zur schwärzesten Reaktion bekennen!"

      "Der erste Schritt zu wahrer Freiheit und Humanität wäre, sich der schlotternden Furcht vor dem Begriff 'Reaktion' zu entschlagen."

      "Nun, es ist genug", erklärte Herr Settembrini mit leicht be-bender Stimme, indem er Tasse und Teller von sich schob, die übrigens leer waren, und sich vom seidenen Sofa erhob. "Es ist genug für heute, genug für einen Tag, wie mir scheint. Professor, wir danken für die schmackhafte Bewirtung, für das sehr spirituelle Gespräch. Meine Freunde vom Berghof hier ruft die Kur, und ich habe den Wunsch, ihnen, bevor sie gehen, meine Klause droben zu zeigen. Kommen Sie, meine Herren! Addio, Padre!"

      Jetzt hatte er Naphta gar "Padre" genannt! Hans Castorp ver-merkte es mit hohen Augenbrauen. Man ließ es geschehen, daß Settembrini den Aufbruch leitete, über die Vettern verfügte und nicht in Frage kommen ließ, ob Naphta vielleicht sich anzu-schließen wünsche. Die jungen Leute verabschiedeten sich, ebenfalls dankend, und wurden wiederzukommen ermutigt. Sie gingen mit dem Italiener, nicht ohne daß Hans Castorp das Buch "De miseria humanae conditionis", einen morschen Papp-band, leihweise mit auf den Weg bekam. Noch immer saß der sauerbärtige Lukaçek auf seinem Tisch, das Ärmelkleid für die Alte fertigend, als sie an seiner offenen Tür vorüberschritten, um die fast leiterartige Stiege zum Dachgeschoß zu gewinnen. Das war übrigens, klar geschaut, gar kein Geschoß. Es war ein-fach der Dachstuhl, mit nacktem Gebälk unter der Innenseite der Schindeln und mit der sommerlichen Atmosphäre des Spei-chers, dem Geruch warmen Holzes. Aber der Dachstuhl enthielt zwei Kammern, und diese bewohnte der republikanische Kapi-talist, sie dienten dem schöngeistigen Mitarbeiter an der "So-ziologie der Leiden" als Studio und Schlafkabinett. Mit Heiter-keit zeigte er sie den jungen Freunden, nannte das Komparti-ment separiert und traulich, um ihnen die richtigen Worte ah die Hand zu geben, deren sie sich zum Lobe bedienen mochten, – was sie denn einstimmig taten. Es sei ganz reizend, fanden sie beide, separiert und traulich, genau wie er sage. Sie taten einen Blick ins Schlafzimmerchen, wo vor der schmalen und kurzen Bettstatt im Mansardenwinkel ein kleiner Flickenteppich lag, und wandten sich dann dem Arbeitsraum wieder zu, der nicht weniger notdürftig ausgestattet war, dabei aber eine gewisse pa-rademäßige und sogar frostige Ordnung aufwies. Plumpe und altmodische Stühle, vier an der Zahl, mit Sitzflächen aus Stroh, waren symmetrisch zu Seiten der Türen aufgestellt, und auch der Diwan war an die Wand gerückt, so daß der grüngedeckte Rundtisch, auf dem zum Schmuck oder zur Erquickung und je-denfalls nüchternerweise eine Wasserflasche mit über den Hals gestülptem Glase stand, einsam die Mitte des Zimmers hielt.

      Bücher, gebunden und broschiert, lehnten auf einem kleinen Wandbord schräg aneinander, und bei dem offenen Fensterchen ragte hochbeinig ein leichtgezimmertes Klapp-Pult mit einem kleinen, dicken Bodenbelag aus Filz davor, eben groß genug, um darauf stehen zu können. Hans Castorp nahm einen Augen-blick probeweise hier Aufstellung, – an Herrn Settembrinis Ar-beitsstätte, wo er die schöne Literatur zu enzyklopädischen Zwecken unter dem Gesichtspunkt der menschlichen Leiden behandelte, – stützte die Ellbogen auf die schräge Platte und ur-teilte, daß es sich hier separiert und traulich stehe. So, meinte er, mochte