Die Frage drängt sich auf, was diesem Orden zu so rapidem Wachstum verhalf und ihm, zwei Jahrhunderte lang, in allen Ländern und an allen Höfen ein alles überstrahlendes Ansehen lieh. Es waren wohl drei Ursachen, die zusammen wirkten: die gehobene Stimmung der ganzen christlichen Welt während der Epoche der ersten Kreuzzüge, die wunderbare, mit unwiderstehlicher Gewalt ausgerüstete Erscheinung des heiligen Bernhard, der, aus dem Orden heraus, bald nach Entstehung desselben erwuchs und ihn dann durchleuchtete, und endlich drittens die besondere, schon in aller Kürze angedeutete kolonisatorische Eigenart dieses Ordens, die ihn, in einer Zeit, in der geistig und physisch überall auszuroden und urbar zu machen war, als ein besonders geeignetes Werkzeug sowohl in der Hand der Kirche wie auch des weltlichen Fürstentums erscheinen ließ.
1115 existierten nur fünf Zisterzienser-Klöster, 1119 bereits vierzehn, aber sämtlich noch innerhalb Frankreichs und auf verhältnismäßig engem Gebiet. Zwanzig Jahre später sehen wir den Orden, in immer rascherem Wachsen, von der Loire an den Rhein, vom Rhein an die Weser und endlich von der Weser bis an und über die Elbe vorgedrungen.
1180 erschienen seine ersten Mönche in der Mark.
An wenigen Orten mochten die Vorzüge dieses Ordens deutlicher hervortreten als in der Mark, weil sie nirgends ein besseres Gebiet für ihre Tätigkeit fanden. Wo die Unkultur zu Hause war, hatten die Kulturbringer ihr natürlichstes Feld. Rechnen wir die Nonnenklöster desselben Ordens mit ein, die, wenigstens was die Bekehrung, Lehre und Unterweisung angeht, die gleichen Ziele wie die Mönchsklöster verfolgten, so haben wir über zwanzig Zisterzienser-Klöster in der Mark und Lausitz zu verzeichnen, von denen die große Mehrzahl vor Ablauf eines Jahrhunderts entstand. Weder die Prämonstratenser und Karthäuser gleichzeitig mit ihnen, noch auch später die die Städte suchenden Dominikaner und Franziskaner sind ihnen an Ansehen und rascher Verbreitung gleich gekommen.
Dem Zeitpunkt ihrer Entstehung nach folgen diese märkisch-lausitzischen Zisterzienser-Klöster wie folgt auf einander:
• Zinna, Mönchskloster, in der Nähe von Jüterbog, 1171.
• Lehnin, Mönchskloster, in der Nähe von Brandenburg, 1180.
• Dobrilugk, Mönchskloster, in der Lausitz, 1181-1190.
• Marienfließ oder Stepenitz, Nonnenkloster, in der Priegnitz, 1230.
• Dransee, Mönchskloster, in der Priegnitz, 1233.
• Paradies, Mönchskloster, im Posenschen (früher Neumark), 1234.
• Marienthal, Nonnenkloster, in der Lausitz, 1234.
• Zehdenick, Nonnenkloster, in der Uckermark, 1250.
• Friedland, Nonnenkloster, im Ober-Barnim, um 1250.
• Mariensee, Mönchskloster, auf der Insel Pehlitz im Paarsteiner See, zwischen Oderberg und Angermünde (Uckermark), um 1260.
• Marienstern, Nonnenkloster, in der Lausitz, 1264.
• Neuzelle, Mönchskloster, in der Lausitz, 1268.
• Chorin, Mönchskloster, in der Uckermark, 1272.
• Marienwalde, Mönchskloster, in der Neumark, 1286.
• Heiligengrabe, Nonnenkloster, in der Priegnitz, 1289.
• Zehden, Nonnenkloster, in der Neumark, 1290.
• Bernstein, Nonnenkloster, in der Neumark, 1290.
• Reetz, Nonnenkloster, in der Neumark, 1294.
• Himmelpfort, Mönchskloster, in der Uckermark, 1299.
• Himmelstädt, Mönchskloster, in der Neumark, 1300.
• Seehausen, Nonnenkloster, in der Uckermark, 1300.
Das wichtigste unter den hier aufgezählten märkisch-lausitzischen Klöstern war wohl das Kloster Lehnin. Es wurde das Mutterkloster für diese Gegenden, aus dem Neuzelle, Paradies, Mariensee, Chorin und Himmelpfort hervorgingen.
Alle diese Klöster, mit wenigen Ausnahmen, wurden in der Mitte des 16. Jahrhunderts unter Joachim II. säkularisiert. Viele sind seitdem, namentlich während des dreißigjährigen Krieges, bis auf die Fundamente oder eine stehen gebliebene Giebelwand zerstört worden, andere existieren noch, aber sie dienen der Kultur dieser Lande nur noch insoweit, als sie, oft in ziemlich prosaischer Weise, der Agrikultur dienstbar gemacht worden sind. Die Abtwohnungen sind zu Amtshäusern, die Refektorien zu Maischräumen und Brennereien geworden. Es ist allen diesen Klöstern ergangen, wie ihrer großen, gemeinschaftlichen mater, dem Kloster zu Cîteaux selber. Den Verfall, den Niedergang, den hier zu Lande die Reformation still und allmählich einleitete, schuf dort die französische Revolution auf einen Schlag. „Auf den Trümmern der Abtei – so erzählt der Abbé Ratisbonne, der eine Geschichte des heiligen Bernhard geschrieben hat und Cîteaux um 1839 besuchte – erhob sich in dem genannten Jahre eine Runkelrübenzucker-Fabrik, die selber wieder in Trümmer zerfallen war, und ein elender Schauspielsaal stand an der Stelle der Mönchs-Bibliothek, vielleicht an der Stelle der Kirche. Die Zelle des heiligen Bernhard, die vor ungefähr zwanzig Jahren noch existierte, hatte inzwischen einem Schmelzofen Platz gemacht. Nur noch der Schutt der Zelle war vorhanden. Aus den bloßen Trümmermassen des Klosters waren drei Dörfer erbaut worden.“
In dieser kurzen Schilderung des Verfalls des Mutterklosters ist zugleich die Geschichte von über hundert Töchter-Klöstern erzählt. Auch die Geschichte der unsrigen.
Die Klöster selber sind hin. Viele von denen, die hierlands in alten Klostermauern wohnen, wissen kaum, daß es Klostermauern sind, sicherlich nicht, daß es Zisterzienser waren, die vor ihnen die Stätte inne hatten. Und hörten sie je das Wort, so wissen sie nicht, was es meint und bedeutet. Und doch waren es die Pioniere, die hundert und tausend andern Kolonisten, die nach ihnen kamen, die Wege bahnten. Das Gedächtnis an sie und an das Schöne, Gute, Dauerbare, das sie geschaffen, ist geschwunden; uns aber mag es geziemen, darauf hinzuweisen, daß noch an vielen hundert Orten ihre Taten und Wohltaten zu uns sprechen. Überall, wo in den Teltow- und Barnim-Dörfern, in der Uckermark und im Ruppinschen alte Feldsteinkirchen aufragen mit kurzem Turm und kleinen niedrigen Fenstern, überall, wo die Ostwand einen chorartigen Ausbau, ein sauber gearbeitetes Sakristei-Häuschen, oder das Dach infolge späteren Anbaues eine rechtwinklige Biegung, einen Knick zeigt, überall da mögen wir sicher sein – hier waren Zisterzienser, hier haben Zisterzienser gebaut und der Kultur und dem Christentum die erste Stätte bereitet.
Kloster Lehnin
1.
Die Gründung des Klosters
Wo das Kloster aus der Mitte
Düstrer Linden sah.
Mit des Jammers stummen Blicken
Fleht sie zu dem harten Mann
Fleht