So weichen selbst protestantische Beurteiler im einzelnen und gelegentlich auch im ganzen von einander ab.
Es wird also schwerlich jemals glücken, aus dem Geist und Inhalt der Prophezeiung, wie so vielfach versucht worden ist, ihre Unechtheit zu beweisen. Diese Dinge appellieren an das Gefühl, und bei dem poetischen Geschick, das aus dem Vaticinium unverkennbar spricht, empfängt dieser Appell keine ungünstige Antwort. Es ist nicht zu leugnen, daß, wenn man Geist und Ton der Dichtung durchaus betonen will, beide mehr für die Echtheit als gegen dieselbe sprechen. Beispielsweise die Schlußzeilen:
Endlich führet das Scepter, der der Letzte seines Stammes sein wird,
Israel wagt eine unnennbare, nur durch den Tod zu sühnende That,
Und der Hirt empfängt die Heerde, Deutschland einen König wieder.
Die Mark vergißt gänzlich aller ihrer Leiden
Und wagt die Ihrigen allein zu hegen, und kein Fremdling darf mehr frohlocken,
Und die alten Mauern von Lehnin und Chorin werden wieder erstehn,
Und die Geistlichkeit steht wieder da nach alter Weise in Ehren,
Und kein Wolf steht mehr dem edlen Schafstalle nach.
Selbst diese matte Übersetzung der volltönenden Verse des Originals hat noch etwas von prophetischem Klang.
Die Frage wird nicht aus dem Inhalt, sondern umgekehrt einzig und allein aus der Form und aus äußerlich Einzelnem heraus entschieden werden.
Guhrauer hat zuerst darauf aufmerksam gemacht, daß sich in der Weissagung (Zeile 63) das Wort „Jehova“ vorfinde, und hat daran die Bemerkung geknüpft, daß dieser Ausdruck „Jehova“ an Stelle des bis dahin üblichen „Adonai“ überhaupt erst zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts gebräuchlich geworden sei. Bis dahin habe man den Ausdruck oder die Lesart „Jehova“ gar nicht gekannt. Ist diese Bemerkung richtig, so ist sie mehr wert als alle andern Halb-Beweise zusammengenommen. Gleichviel indes, ob richtig oder nicht, der Weg, der in dieser Guhrauerschen Bemerkung vorgezeichnet liegt, ist der einzige, der zum Ziele führen kann. Nur Sprachforscher, Philologen, die, ausgerüstet mit einer gründlichen Kenntnis aller Nüancen mittelalterlichen Lateins, nachzuweisen imstande sind: „dies Wort, diese Wendung waren im dreizehnten Jahrhundert unmöglich,“ nur sie allein werden den Streit endgültig entscheiden.
Das Resultat einer solchen Untersuchung, wenn sie stattfände, würde lauten: „unecht“. Darüber unterhalte ich, so wenig ich mich mit den bisherigen Verwerfungsbeweisen habe befreunden können, nicht den geringsten Zweifel. Aber auch der gegenteilige Beweis würde das alte Interesse an dieser Streitfrage nicht wiederbeleben können. Denn die Ereignisse haben mittlerweile die Prophezeiung überholt. Seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. ist sie falsch geworden, gleichviel ob sie echt ist oder nicht. Diesen Unterschied zwischen „unecht“ und „falsch“ ziemt es sich durchaus zu betonen. Schon Guhrauer hat sehr richtig darauf aufmerksam gemacht, daß der Text der Prophezeiung echt und die Prophezeiung selber doch eine falsche, d. h. eine unerfüllt gebliebene sein könne. „Eine unerfüllt gebliebene – so fügt er hinzu – gleich so vielen anderen falschen Prophezeiungen, deren Authentizität von niemand bezweifelt worden ist.“
Friedrich Wilhelm III. war bereits der elfte Hohenzoller nach Joachim I.; der Zeiger an der Uhr ist über die verhängnisvolle Stunde ruhig hinweggegangen, die Hohenzollern leben und nur die Weissagung, echt oder nicht, ist tot.
Kloster Chorin
Den Leib des Fürsten hüllt der Rauch
Von Ampeln und von Weihrauchschwelen
Und ringsum steigt ein Trauerchor
Und ein Tedeum steigt empor
Aus hundert und aus tausend Kehlen.
Unter den Töchtern Lehnins war Chorin die bedeutendste, ja, eine Zeitlang schien es, als ob das Tochterkloster den Vorrang über die mater gewinnen würde. Das war unter den letzten Askaniern. Diese machten Chorin zum Gegenstand ihrer besonderen Gunst und Gnade und beschenkten es nicht nur reich, sondern wählten es auch zu ihrer Begräbnisstätte. Unter den sieben Markgrafen, die hier beigesetzt wurden, ist der letzte zugleich der hervorragendste: Markgraf Waldemar, gestorben 1319. Nach dem Erlöschen der Askanier trat Chorin wieder hinter Lehnin zurück.
Chorin erreicht man am bequemsten von der benachbarten Eisenbahnstation Chorin aus, die ziemlich halben Weges zwischen Eberswalde und Angermünde gelegen ist. Ein kurzer Spaziergang führt von der Station aus zum Kloster. Empfehlenswert aber ist es, in Eberswalde bereits die Eisenbahn zu verlassen und in einem offenen Wagen an Kapellen, Seen und Laubholz vorbei, über ein leicht gewelltes Terrain hin, den Rest des Weges zu machen. Dies Wellenterrain wird auch Ursache, daß Chorin, wenn es endlich vor unseren Blicken auftaucht, völlig wie eine Überraschung wirkt. Erst in dem Augenblicke, wo wir den letzten Höhenzug passiert haben, steigt der prächtige Bau, den die Hügelwand bis dahin deckte, aus der Erde auf und steht nun so frei, so bis zur Sohle sichtbar vor uns, wie eine korkgeschnitzte Kirche auf einer Tischplatte. Es kommt dies der architektonischen Wirkung, wie gleich hier hervorgehoben werden mag, sehr zu statten, weniger der malerischen, die für eine Ruine meist wichtiger ist als jene. Wir kommen am Schlusse unseres Aufsatzes auf diesen Punkt zurück.
Kloster Mariensee
Kloster Chorin trat nicht gleich als es selbst ins Dasein, sondern ging vielmehr aus einer früheren, an anderem Orte gelegenen Anlage hervor. Es scheint geboten, auch bei dieser Vorgeschichte, die wenig gekannt ist, zu verweilen.
Kloster Chorin, ehe es diesen seinen Namen annahm, war Kloster Mariensee. Die Stelle, wo letzteres stand, war lange zweifelhaft. Die Urkunden sagten freilich deutlich genug: „auf der Ziegeninsel im Paarsteiner See“; aber der Paarsteiner See hatte zwei Inseln, von denen – wenigstens in den Nachschlagebüchern – keine mehr den Namen „Ziegeninsel“ führte. Die eine hieß, in eben diesen Büchern, der „Paarsteiner Werder“, die andere der „Pehlitzer Werder“.
Nachfragen am Paarsteiner See selbst indes, die ich anstellen durfte, haben die Streitfrage schnell entschieden. Der „Pehlitzer Werder“ heißt im Volksmund an Ort und Stelle noch immer die Ziegeninsel, und wenn dennoch ein leiser Zweifel bliebe, so würde derselbe durch die Kirchentrümmer beseitigt werden, die, unverkennbar auf eine Klosteranlage deutend, bis diesen Augenblick noch auf dem „Pehlitzer Werder“ – in alten Urkunden Insula Caprarum – angetroffen werden.
Diese Ziegeninsel liegt am Südende des Sees und ist Privateigentum, etwa wie ein eingezäuntes Stück Grasland, weshalb man auch nur vom gegenüberliegenden Amtshof aus die Überfahrt nach derselben bewerkstelligen kann. Die Erlaubnis dazu wird gern gewährt.
Früher, wenn die Tradition recht berichtet, war das Terrain zwischen dem Amtshof und der Insel mehr Sumpf als See, so daß ein Steindamm, eine Art Mole, existierte, die hinüber führte; der Paarsteiner See aber, im Gegensatz zu anderen Gewässern der Mark, wuchs konstant an Wassermenge, so daß allmählich der Sumpf in der wachsenden Wassermenge ertrank und mit dem Sumpf natürlich auch der Steindamm. Die Tradition hat nichts Unwahrscheinliches; auch erkennt man noch jetzt, bei klarem Wasser, lange Steinfundamente, die in gerader Linie vom Ufer zur Insel führen.
Die Insel selbst, an deren Südwestseite man landet, hat die Form eines verschobenen Vierecks, dessen vier Spitzen ziemlich genau die vier Himmelsgegenden bezeichnen. Der Umfang der Insel mag einige Morgen betragen.
An der Landungsstelle, in ziemlicher Ausdehnung, erhebt sich eine aus mächtigen Blöcken aufgetürmte Wand: Roll- und Feldsteine, von denen es