(Tybalt geht ab.)
Romeo (zu Juliette.) 10 [Wenn meine unwürdige Hand diesen heiligen Leib entweiht hat, so laß dir diese Busse gefallen: Meine Lippen, zween erröthende Pilgrimme, stehen bereit den Frefel, mit einem zärtlichen Kuß abzubüssen.
Juliette. Ihr thut eurer Hand unrecht, mein lieber Pilgrim; sie hat nichts gethan, als was die bescheidenste Andacht zu thun pflegt; Heilige haben Hände, die von den Händen der Wallfahrenden berührt werden, und Hand auf Hand ist eines Pilgrims Kuß.
Romeo.
Haben Heilige nicht Lippen, und andächtige Pilgrimme auch?
Juliette.
Ja, Pilgrim, sie haben Lippen, aber zum Beten.
Romeo.
O so erlaube, theure Heilige, erlaube den Lippen nur, was du den Händen gestattest; sie bitten, (und du, erhöre sie,) daß du den Glauben nicht in Verzweiflung fallen lassest.
Juliette.
Heilige rühren sich nicht, wenn sie gleich unser Gebet erhören.
Romeo.
O so rühre du dich auch nicht, indem ich mich der Würkung meines Gebets versichre —
(Er küßt sie.)
Die Sünde meiner Lippen ist durch die deinige getilgt.]
Juliette. Also tragen nun meine Lippen die Sünde, die sie von den deinigen weggenommen haben.
Romeo. Sünde von meinen Lippen? O! angenehme Strenge! Gebt mir meine Sünde nur wieder zurük.
Juliette.
Ihr habt küssen gelernt; ich verstehe mich nicht darauf.
Amme. Gnädiges Fräulein, eure Frau Mutter möchte gern ein Wort mit euch sprechen —
(Juliette entfernt sich.)
Romeo.
Wer ist ihre Mutter?
Amme. Sapperment, junger Herr, ihre Mutter ist hier die Frau vom Hause, und eine brave, gescheidte, tugendsame Frau. Ich säugte ihre Tochter, mit der ihr geredet habt; und ich sag euch, wer sie kriegt, bekommt so gewiß eine Jungfer —
Romeo (indem er sich entfernt, vor sich.) Eine Capulet? O Himmel! Mein Herz und mein Leben sind unwiderbringlich in der Gewalt meiner Feindin.
Benvolio.
Weg, wir wollen gehen, der gröste Spaß ist vorbey.
Romeo. Das fürcht' ich selbst, das übrige wird mich mehr als meinen Schlaf kosten.
Capulet. Nein, ihr Herren, geht noch nicht weg, wir haben noch ein kleines schlechtes Nachtessen vor uns – Wie, muß es denn seyn? Nun dann, so dank ich euch allen – Ich dank euch, meine liebe Herren, gute Nacht – Mehr Fakeln her —
(Zu den übrigen:)
Kommt hinein, und dann zu Bette. – Ah, guter Freund, bey meiner Treu, es ist schon späte. Ich will in mein Bette.
(Sie gehen nach einander ab.)
Juliette.
Ein wenig hieher, Amme – Wer ist der junge Herr dort?
Amme.
Der einzige Sohn des alten Tiberio.
Juliette.
Wer ist der, der eben izt zur Thüre hinausgeht?
Amme.
Das ist der junge Petrucchio, bild' ich mir ein.
Juliette.
Wer ist der, der ihm folgt, der nicht tanzen wollte?
Amme.
Ich kenn' ihn nicht.
Juliette.
Geh, frage nach seinem Namen
(leise.)
Wenn er schon vermählt ist, so ist sehr wahrscheinlich, daß mein Grab mein Braut-Bette seyn wird.
Amme. Er heißt Romeo, er ist ein Montague, der einzige Sohn von unserm großen Feind.
Juliette (vor sich.) O Himmel! der, den ich einzig lieben kan, ist der, den ich einzig hassen sollte – Zu früh gesehn, eh ich ihn kannte; und zu spät erkannt; was für eine seltsame Mißgeburt ist meine Liebe – ich liebe – meinen verhaßtesten Feind.
Amme.
Was sagtet ihr da? Was habt ihr?
Juliette.
Ein paar Reime, die ich eben von einem gelernt, mit dem ich tanzte.
(Man ruft hinter der Scene Juliette.)
Amme. Gleich, gleich; Kommt, wir wollen gehen, die Fremden sind schon alle fort.
(Sie gehen ab.)
([Zum Beschluß dieses Aufzugs tritt ein Chor auf, und sagt den Zuschauern in vierzehn Reimen, was sie vermuthlich von selbst errathen hätten – daß Romeo, seit der Nacht, da er die schöne Juliette gesehen, seine erste Liebste nicht mehr schön befunden – daß er nun Julietten liebe, und von ihr wieder geliebt werde) – (daß die tödtliche Feindschaft ihrer Häuser zwar die Sympathie ihrer Herzen nicht habe verhindern können, aber ihnen hingegen alle Gelegenheit abschneide, sich zu sehen und zu sprechen, ohne daß jedoch dieser harte Zwang eine andre Würkung gethan habe, als die Heftigkeit ihrer Liebe und Sehnsucht zu verdoppeln.])
Zweyter Aufzug
Erste Scene
(Die Strasse.)
(Romeo tritt allein auf.)
Romeo.
Kan ich weggehen, wenn mein Herz hier ist? Dreh dich zurük, plumpe Erde, und suche deinen Mittelpunct.
(Er geht ab.)
(Indem er sich entfernt, treten Benvolio und Mercutio von der
andern Seite auf und werden ihn gewahr.)
Benvolio.
Romeo, Vetter Romeo!
Mercutio.
Er ist klug, und schleicht sich, auf mein Leben, heim zu Bette.
Benvolio. Nein er lief diesen Weg, und sprang dort über die Garten-Mauer. Ruf ihm, Mercutio!
Mercutio. Nicht nur das, ich will ihn gar beschwören. He! Romeo! Grillenfänger! Wetterhahn! Tollhäusler! Liebhaber! Erscheine du, erschein in der Gestalt eines Seufzer, rede, aber in lauter Reimen, und ich bin vergnügt. Ächze nur, Ach und O! reime nur Liebe und Triebe, sag meiner Gevatterin Venus nur ein einziges hübsches Wörtchen, häng' ihrem stokblinden Sohn und Erben nur einen einzigen Über-Namen an, (dem jungen Abraham Cupido, ihm der so gut schoß, als König Cophetua um ein Bettel-Mädchen seufzte11 – doch er hört nicht, er rührt sich nicht, er giebt kein Zeichen von sich; der Affe ist todt, ich muß ihn schon beschwören – So beschwör' ich dich dann bey Rosalinens schönen Augen, bey ihrer hohen Stirne, und bey ihren Purpur-Lippen, bey ihrem niedlichen Fuß, schlanken Bein, runden Knie, und bey den angrenzenden schönen Gegenden, beschwör' ich dich, daß du uns in deiner eignen Gestalt erscheinest!
Benvolio.
Wenn er dich hörte, würdest du ihn böse machen.
Mercutio. Das kan ihn nicht böse machen: Das würd' ihn böse machen, wenn ich einen Geist von irgend einer seltsamen Gestalt in seines Mädchens Circel citierte, und ihn so lange dort stehen liesse, bis sie ihn gelegt und zu Boden beschworen hätte; das wäre was, das er vielleicht übel nehmen könnte – Aber meine Citation ist ehrlich und redlich, und ich beschwör' ihn, in seiner Liebsten Namen, einzig und allein zu seinem eignen Besten.
Benvolio.
Kommt, er hat sich vermuthlich hinter diese