Große und kleine Welt . Honore de Balzac. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Honore de Balzac
Издательство: Public Domain
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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solche Kugeln aufzufangen," sagte er.

      "Hunderttausend Francs Mitgift!" sagte Magus.

      "Ja, aber was für eine Familie!"

      "Dreihunderttausend Francs späteres Erbteil, ein Haus in der Rue Boucherat und ein Landhaus in Ville d'Avray. Sie wären für Lebenszeit versorgt," sagte Elias.

      Dieser Gedanke durchzuckte Grassous Gehirn wie die Morgensonne seine Mansarde.

      Während er dem Vater des jungen Mädchens behilflich war, die richtige Stellung zum Porträtieren einzunehmen, erfreute er sich an dem gutmütigen Ausdruck dieses Mannes und bewunderte die violetten Farbtöne dieses Gesichts. Mutter und Tochter flatterten um den Maler herum und beobachteten voller Entzücken seine Vorbereitungen; er erschien ihnen wie ein Gott. Fougčres gefiel sich in dieser Bewunderung. Das goldne Kalb strahlte sein phantastisches Licht über diese Familie.

      "Sie müssen unheimliche Summen verdienen, nicht wahr?" sagte die Mutter. "Aber Sie geben das Geld wahrscheinlich ebenso schnell, wie Sie es verdienen, wieder aus."

      "Nein, gnädige Frau," erwiderte der Maler, "ich gebe es nicht aus, denn ich wüßte nicht, wozu. Mein Notar arbeitet mit dem Gelde und führt Buch darüber; und sobald ich es ihm gegeben habe, denke ich nicht mehr daran."

      "Ich habe mir sagen lassen," rief Papa Vervelle, "Ihr Künstler wäret wie die Siebe."

      "Wer ist Ihr Notar, wenn es erlaubt ist?" fragte Frau Vervelle.

      "Oh, ein guter Kerl, der runde Cardot."

      "Aber nein, wie komisch!" lachte Vervelle. "Cardot ist auch unser Notar."

      "Sie dürfen sich nicht bewegen," sagte der Maler.

      "Aber so bleibe doch ruhig," rief die Gattin. "Du wirst schuld sein, wenn der Herr einen Fehler macht. Du solltest ihn nur bei der Arbeit sehen, so würdest Du verstehen…" "Ach Gott! Warum habt Ihr mich nicht im Malen unterrichten lassen!" sagte Fräulein Vervelle zu den Eltern.

      "Virginie," rief die Mutter, "es gibt gewisse Dinge, die ein junges Mädchen nicht kennen darf. Bist Du erst einmal verheiratet – gut! Aber bis dahin gib Dich zufrieden."

      Diese erste Sitzung genügte, um den ehrenwerten Künstler mit der Familie Vervelle schon recht befreundet werden zu lassen. In zwei Tagen sollten die Vervelles wiederkommen. Vater und Mutter ließen Virginie auf dem Heimweg ein wenig vorausgehen, aber trotz der Entfernung erlauschte sie folgende Worte, die ihre Neugier erweckten: "Ein dekorierter Mann … siebenunddreißig Jahre … ein Künstler mit Aufträgen, dessen Geld von unserm Notar verwaltet wird … wie wäre es, wenn wir Cardot zu Rate zögen? Ha! Madame de Fougčres wäre nicht übel!.. Er sieht nicht aus wie ein übler Mensch… Du meinst, besser ein Großhändler? Aber bei einem Kaufmann kannst Du, wenn er sich nicht bereits vom Geschäft zurückgezogen hat, nie wissen, wie es Deiner Tochter ergehen wird. Ein sparsamer Künstler dagegen … außerdem lieben wir die Kunst … kurz und gut…"

      Während die Familie Vervelle ihre Eindrücke über den Maler austauschte, bildete sich auch Fougčres seinerseits sein Urteil über die drei. Aber das Atelier war ihm zu eng und still dazu. Er begab sich auf die Straße und musterte die rothaarigen Frauen unter den Vorübergehenden, wobei er die seltsamsten Schlußfolgerungen zog: Gold sei das schönste der Metalle, und die gelbe Farbe kennzeichne das Gold, die Römer liebten Frauen mit goldrotem Haar und er fühle wie ein Römer … und dergleichen mehr. Welcher Mann kümmert sich, nach zwei Jahren der Ehe noch um die Haarfarbe seiner Frau? Schönheit vergeht, aber die Häßlichkeit besteht. Geld ist der halbe Weg zum Glück.

      Als der Maler abends zur Ruhe ging, fand er Virginie Vervelle bereits entzückend.

      Als die drei Vervelles zur zweiten Sitzung das Atelier betraten, empfing der Maler sie mit einem liebenswürdigen Lächeln. Der Schelm hatte heute seinem Bart besondere Aufmerksamkeit gewidmet; seine Wäsche war blütenweiß; anmutig hatte er sein Haar geordnet, und er trug eine sehr kleidsame Hose und puterrote Hausschuhe. Sein Gruß wurde von der Familie ebenfalls mit einem gewinnenden Lächeln beantwortet. Virginie, die so rot wurde wie ihr Haar, senkte die Augen und wandte den Kopf ab, als versenke sie sich in die Studien. Pierre Grassou war von diesen kleinen Zierereien entzückt; er fand Virginie graziös und glücklicherweise weder ihrem Vater noch ihrer Mutter ähnlich.

      Während der Sitzung entspann sich eine angeregte Unterhaltung zwischen der Familie und dem Maler, der so kühn war, den Vater Vervelle geistvoll zu finden. Die Vervelles nahmen mit ihren Schmeichelworten das Herz des Künstlers im Sturm. Er schenkte Virginie eine seiner Skizzen und der Mutter eine Studie. "Umsonst?" fragten sie. Pierre Grassou mußte lachen. "Sie dürfen Ihre Bilder nicht so wegschenken," sagte Vervelle, "das ist doch so gut wie bares Geld." —

      Bei der dritten Sitzung erzählte Papa Vervelle von einer schönen Gemäldegalerie, die er sich in seinem Landhaus in Ville d'Avray zugelegt habe. Sie enthalte Werke von Rubens, Gčrard Dou, Mieris, Terborch, Rembrandt, Paul Potter, einen Tizian und anderes. "Herr Vervelle hat sich eine Torheit geleistet," sagte Frau Vervelle sehr wichtig, "er besitzt für hunderttausend Francs Bilder." – "Ich bin eben Kunstliebhaber," sagte der ehemalige Flaschenhändler.

      Als der Maler das Porträt der Frau Vervelle begann, nachdem das ihres Gatten nahezu vollendet war, fand die Bewunderung der Familie kein Ende. Der Notar hatte von dem Maler eine geradezu glänzende Schilderung gegeben: Pierre Grassou war in seinen Augen der ehrenwerteste Mann der Welt, einer der bestsituierten Künstler, der sich bis jetzt sechsunddreißigtausend Francs zusammengespart habe; die Tage des Elends seien für ihn vorbei, er habe eine Jahreseinnahme von zehntausend Francs; alles in allem, es sei ausgeschlossen, daß er eine Frau unglücklich machen werde. Diese Schlußbemerkung fiel entscheidend in die Wagschale. Die Vervelles unterhielten ihre Freunde nur noch mit Gesprächen über den berühmten Fougčres. An dem Tage, da Fougčres das Bild Virginiens in Angriff nahm, galt er schon als der zukünftige Schwiegersohn der Familie. Die drei Vervelles blühten und gediehen in der Atmosphäre dieses Ateliers, das sie nun schon als eine ihrer Residenzen ansahen. Eine unerklärliche Anziehungskraft ging von diesem sauberen, freundlich geordneten Raum auf sie aus. Abyssus, abyssum – der Bürger zieht den Bürger an.

      Als die Sitzung zu Ende ging, erzitterte die Treppe unter heraufstürmenden schweren Schritten. Die Türe wurde aufgerissen und Josef Bridau trat ein. Er war erhitzt und aufgeregt, seine Haare wehten, sein dicker Schädel glühte. Wie Blitze flogen seine Blicke umher und er wirbelte alles im Atelier durcheinander, um sich dann plötzlich an Grassou zu wenden, während er versuchte, den über den Bauch zusammengezogenen Rock zuzuknöpfen, was nicht gelang, da von dem betreffenden Knopf nur noch der leere Stoffüberzug vorhanden war. "Das Holz ist teuer," sagte er zu Grassou.

      "Ah!"

      "Die Gläubiger sind hinter mir her… Aber sag, malst Du dies Zeug da?"

      "So schweig doch!"

      "Ach so! Ja!"

      Familie Vervelle fühlte sich durch das ungewöhnliche Auftreten dieses Menschen im tiefsten verletzt. Ihre natürliche Röte steigerte sich ins Kirschfarbene und endlich zu flammendem Purpur.

      "Allerdings, so etwas bringt was ein!" begann Bridau wieder. "Hast Du Geld?"

      "Brauchst Du viel?"

      "Fünfhundert… Ich bin einem Bluthund von Wucherer in die Finger gefallen. Wenn so eine Bestie einmal zugepackt hat, so läßt sie nicht locker, bis sie den Bissen geschluckt hat. Welche Rasse!"

      "Ich werde Dir ein paar Zeilen an meinen Notar mitgeben…"

      "Was, Du hast einen Notar?"

      "Ja!"

      "Nun, dann weiß ich doch wenigstens, warum Du die Wangen mit Rosentönen malst, die einen Parfümeur begeistern würden."

      Grassou konnte es nicht verhindern, daß er errötete. Virginie verzog das Gesicht.

      "Warum hältst Du Dich nicht an die Natur?" fuhr der große Maler fort. "Das Fräulein ist rot – nun also, ist denn das so schlimm? In der Kunst ist alles schön. Tu Zinnober auf Deine Palette und belebe die Wangen damit. Pinsele getrost die kleinen braunen Tüpfelchen hin und gib dem Ganzen etwas mehr Fettglanz. Willst Du mehr Geist haben als die Natur?"

      "Hier…"