Am Abend streckten sie sich auf die Zelte hin, ohne sie aufzuschlagen. Das Gesicht den Sternen zugekehrt, schliefen sie ein und träumten von dem Feste in Hamilkars Gärten.
Am Mittag des dritten Tages machte man in den Oleanderbüschen am Gestade eines Flusses halt. Die Soldaten warfen hurtig Lanzen, Schilde und Bandoliere ab und wuschen sich unter lautem Geschrei, schöpften die Helme voll Wasser oder tranken, platt auf dem Bauche liegend, inmitten der Maultiere, denen das Gepäck vom Rücken glitt.
Spendius, auf einem aus Hamilkars Ställen geraubten Dromedare, erblickte von weitem Matho, der, den Arm in der Binde, barhäuptig und kopfhängerisch ins Wasser starrte, indes er sein Maultier trinken ließ. Sofort eilte der Sklave mit dem Rufe: »Herr, Herr!« schnurstracks durch die Menge auf ihn zu. Matho dankte kaum für den Gruß. Spendius nahm ihm das nicht übel, begann vielmehr seinen Schritten zu folgen und warf nur von Zeit zu Zeit einen besorgten Blick nach Karthago zurück.
Er war der Sohn eines griechischen Lehrers der Redekunst und einer kampanischen Buhlerin. Anfangs hatte er durch Mädchenhandel Geld verdient, dann aber, als er bei einem Schiffbruch sein ganzes Vermögen verloren, hatte er mit den samnitischen Hirten gegen Rom gekämpft. Man hatte ihn gefangen genommen; er war entflohen. Wiederergriffen, hatte er in den Steinbrüchen gearbeitet, in den Bädern geschwitzt, unter Mißhandlungen geschrien, vielfach den Herrn gewechselt und allen Jammer des Daseins erfahren. Aus Verzweiflung hatte er sich einmal vom Bord der Triere, auf der er Ruderer war, ins Meer gestürzt. Matrosen Hamilkars hatten ihn halbtot aufgefischt und nach Karthago ins Gefängnis von Megara gebracht. Weil die Überläufer an Rom ausgeliefert werden mußten, hatte er die allgemeine Verwirrung benutzt, um mit den Söldnern zu entfliehen.
Während des ganzen Marsches blieb er bei Matho. Er brachte ihm zu essen, half ihm beim Absitzen und breitete nachts eine Decke unter sein Haupt. Durch diese kleinen Dienste ward Matho schließlich gerührt, und nach und nach sprach er mit dem Griechen.
Matho war an der Großen Syrte geboren. Sein Vater hatte ihn auf einer Pilgerfahrt zum Ammontempel mitgenommen. Dann hatte er in den Wäldern der Garamanten Elefanten gejagt. Später war er in karthagischen Söldnerdienst gegangen. Bei der Einnahme von Drepanum war er zum Offizier befördert worden. Die Republik schuldete ihm vier Pferde, zwölfhundert Liter Getreide und den Sold für einen Winter. Er war gottesfürchtig und wünschte, dermaleinst in seiner Heimat zu sterben.
Spendius erzählte ihm von seinen Reisen, von den Völkern und Tempeln, die er besucht hatte. Er verstand sich auf viele Dinge. Er konnte Sandalen, Jagdgerät und Netze anfertigen, wilde Tiere zähmen und Gifte bereiten.
Bisweilen unterbrach er sich und stieß einen heisern Schrei aus. Daraufhin beschleunigte Mathos Maultier seinen Gang, und die andern beeilten sich zu folgen. Dann erzählte Spendius weiter, aber immer voll Angst und Furcht. Erst am Abend des vierten Tages ward er ruhiger.
Die beiden ritten nebeneinander her, seitwärts rechts vom Heer, auf dem Abhang eines Hügelzuges. Drunten dehnte sich die weite Ebene, in den Nebeln der Nacht verloren. Die Reihen der tiefer dahinmarschierenden Soldaten sahen im Dunkeln wie Wellen aus. Von Zeit zu Zeit kamen sie über mondbeglänzte Anhöhen. Dann sprühten Sterne an den Spitzen der Lanzen, und das Mondlicht gleißte auf den Helmen. Ein paar Augenblicke lang, dann verschwand alles, und immer neue Trupps kamen. In der Ferne blökten aufgeschreckte Herden. Es war, als ob unendlicher Friede auf die Erde herabsänke.
Mit zurückgebogenem Kopfe und halbgeschlossenen Lidern sog Spendius in tiefen Zügen den frischen Wind ein. Er streckte die Arme aus und spreizte die Finger, um den kosenden Hauch, der seinen Körper umströmte, noch besser zu spüren. Seine Hoffnung auf Rache war wiedergekehrt und begeisterte ihn. Er preßte die Hand auf den Mund, um ein Jauchzen zu ersticken, und halb bewußtlos in seinem Glücksrausch, überließ er die Zügel seinem Dromedar, das mit geräumigen gleichmäßigen Schritten vorwärts ging. Matho war in seine Schwermut zurückgesunken. Seine Beine hingen bis zur Erde hinab, und seine Panzerstiefel fegten mit stetem Geräusch das Gras.
Indessen zog sich der Weg in die Länge, als wolle er kein Ende nehmen. Hatte man ein Stück Ebene durchschritten, so kam man jedesmal auf ein rundes Hochland, und dann ging es wieder in eine Niederung hinab. Die Berge, die den Horizont zu begrenzen schienen, wichen beim Näherkommen immer von neuem in die Ferne. Von Zeit zu Zeit blinkte ein Bach zwischen dem Grün von Tamarisken, aber schon hinter dem nächsten Hügel verkroch er sich wieder. Hier und da ragte ein Felsblock auf, der wie ein Schiffsbug aussah oder wie der Sockel eines verschwundenen Kolosses.
In regelmäßigen Abständen traf man auf kleine viereckige Kapellen: Raststätten für die Pilger, die gen Sikka wanderten. Die Libyer, die Einlaß begehrten, klopften mit starken Schlägen an die Pforten; doch niemand im Innern antwortete.
Dann wurden die bebauten Felder seltener. Unvermittelt folgten Sandstrecken, mit Dornengestrüpp bewachsen. Schafherden weideten zwischen großen Steinen. Eine Frau – ein blaues Schurzfell um die Hüften – hütete sie. Sobald sie die Lanzen der Soldaten zwischen den Felsen erblickte, entfloh sie kreischend.
Der Marsch ging durch ein breites Tal, das von zwei rötlichen Hügelketten eingesäumt wurde. Ein ekelhafter Geruch drang dem Heere entgegen, und an der Krone eines Johannisbrotbaumes hing etwas Seltsames: ein Löwenkopf, der über den Wipfel hinausragte.
Sie liefen näher. Es war ein Löwe, den man an allen vieren wie einen Verbrecher ans Kreuz genagelt hatte. Der riesige Kopf hing auf die Brust herab, und die zwei Vordertatzen, die unter der üppigen Mähne zur Hälfte verschwanden, waren weit auseinandergespreizt wie die Flügel eines Vogels. Die Rippen traten unter der stark gespannten Haut einzeln hervor. Die Hinterbeine waren übereinander genagelt und ein wenig emporgezogen. Schwarzes Blut war am Fell herabgesickert und am Ende des Schweifes, der senkrecht herabhing, zu dicken Klumpen geronnen. Die Söldner standen lachend rundherum, nannten den toten Löwen »Konsul« und »Römischer Bürger« und warfen Steine nach seinen Augen, um die Fliegen aufzuscheuchen.
Hundert Schritte weiter kamen zwei andre Kreuze. Und mit einem Male tauchte ihrer eine ganze Reihe auf. An jedem ein Löwe. Manche waren schon so lange tot, daß nur noch die Reste ihrer Gerippe am Holze hingen: andere, zur Hälfte zernagt, verzerrten den Rachen zu furchtbaren Grimassen. Etliche waren ungeheuer groß. Die Stämme der Kreuze bogen sich unter ihnen. Sie schaukelten im Winde, während Rabenschwärme unablässig über ihren Köpfen kreisten. So rächten sich die karthagischen Bauern an den Raubtieren, die sie fingen. Sie hofften, die andern durch dieses Beispiel zu schrecken. Die Barbaren lachten nicht mehr. Tiefes Staunen ergriff sie. »Welch ein Volk,« dachten sie, »das zu seinem Vergnügen Löwen kreuzigt!«
Übrigens waren sie, besonders die Nordländer, eigentümlich nervös erregt und halbkrank. Ihre Hände waren wund von den Stacheln der Aloe. Große Stechmücken summten ihnen um die Ohren. Die Ruhr brach im Heere aus. Man war verdrossen, daß Sikka noch immer nicht sichtbar ward. Man bekam Angst, sich in die Wüste zu verirren, in die Regionen des Sandes und des Schreckens. Viele wollten nicht mehr weiter marschieren. Ein Teil machte sich auf den Rückweg nach Karthago.
Endlich am siebenten Tage, nachdem man lange am Fuße eines Berges hingewandert war, bog der Weg plötzlich scharf nach rechts ab, und ein Mauerstreifen, auf weißen Felsen ruhend und gleichsam eins geworden mit ihnen, tauchte auf. Alsbald grüßte die ganze Stadt. Blaue, gelbe, weiße Schleier wehten im Abendrot über den Mauern. Es waren die Priesterinnen der Tanit, die zum Empfange der Söldner herbeigeeilt kamen. Sie standen in langen Reihen auf dem Walle, schlugen Handtrommeln und Zithern und Kastagnetten. Die letzten Strahlen der Sonne, die hinter den numidischen Bergen versank, spielten an den Harfensaiten und den nackten Armen. Von Zeit zu Zeit schwiegen die Instrumente plötzlich, und ein schriller, grausiger, wilder, langgezogener Schrei erklang, eine Art Geheul, das durch eine vibrierende Zungenbewegung