»Aber, Meister Baumann!«
»Verkauft – ich habe kein anderes Wort dafür,« sagte der Mann tonlos; »sie hat es verkauft, weil sie den Stand verachtete, in dem sie lebte und großgezogen war, weil sie etwas Besonderes, etwas Vornehmes aus ihrem Kinde machen wollte, und deshalb nur, deshalb allein wurde dem Vater die falsche Brut untergeschoben und dessen Herz von dem eigenen Sohne abgewandt!«
Der Staatsanwalt war selber in Verlegenheit, was er dem Mann darauf erwiedern sollte. Er hatte nur zu sehr recht, und er fühlte auch, daß ein Trost jetzt nach dem ersten Schmerz am unrechten Platz sein und vielleicht mehr schaden als nützen würde.
Eine lange Weile schwiegen Beide; endlich sagte Witte wieder: »Ueberdenken Sie sich die Sache diese Nacht; wir haben Zeit genug dazu, denn vor der Hand darf doch Niemand weiter darum wissen.«
»Was?« rief Baumann, ordentlich erschreckt emporfahrend, »und mir muthen Sie zu, das selber als Geheimniß zu bewahren, was…«
»Verstehen Sie mich nicht falsch,« unterbrach ihn der Staatsanwalt rasch; »nur auf vernünftige Weise müssen wir vorgehen, um das wieder gut zu machen, was gefehlt ist, und das kann nicht in der ersten Hitze und Aufregung geschehen, oder wir verderben, was wir bessern wollten. Kommen Sie morgen früh zu mir, so früh Sie wollen; ich stehe schon um sechs Uhr auf und arbeite. Dann besprechen wir Alles mit kaltem Blut; vorher aber geben Sie mir Ihr Wort, daß Sie mit keinem Menschen weiter darüber reden wollen.«
»Mit keinem Menschen weiter?«
»Nein. Glauben Sie mir, ich rathe Ihnen zum Besten und bin selber ein alter Mann; ich werde von Ihnen nichts verlangen, was ich nicht mit gutem Gewissen verantworten kann. Morgen früh kommen Sie zu mir, und ich glaube bestimmt, daß wir einen Weg finden, um ehrlich und rechtschaffen das von Ihrer Seele zu nehmen, was Sie jetzt zu Boden drückt. Sind Sie damit einverstanden?«
Der Schlossermeister zögerte einen Augenblick mit der Antwort; endlich sagte er leise: »Gut, ich will Ihnen folgen, Herr Staatsanwalt; ich weiß, Sie meinen es ehrlich, und werden dafür sorgen, daß dem rechtmäßigen Erben nicht ein Groschen seines Rechts verkümmert wird. So weit ich selber mit meinem kleinen Vermögen ausreiche, etwa geschehenen Schaden zu decken, stelle ich mich Ihnen zur Verfügung – bis zu dem letzten Ziegel meines Daches. So weit bin ich erbötig, Alles gut zu machen, was fremde Leute betrifft. In meinem eigenen Hause werde ich selber Rechnung halten.«
»Sie werden nicht zu hart mit Ihrer armen Frau sein, Baumann.«
»Ich werde thun, was ich vor Gott und meinem Gewissen verantworten kann,« sagte der Mann ernst; »sorgen Sie sich deshalb nicht – und damit haben die Gerichte auch nichts zu thun – oder doch nur wenig,« setzte er leise und kaum hörbar hinzu.
»Also auf morgen früh!«
»Ich werde kommen – verlassen Sie sich darauf!« Und still und brütend sank er wieder in seinen Stuhl zurück.
Witte aber, der jetzt wohl einsah, daß heute mit dem Mann doch nichts mehr zu reden, und es das Beste sei, ihn sich selber zu überlassen, verließ langsam das Haus und schritt seiner eigenen Wohnung wieder zu.
2
Die Haussuchung
Zu Hause angekommen, überholte Witte auf der Treppe die Frau Räthin Frühbach, die im Begriff stand, seiner Frau einen Besuch zu machen. Sie war im höchsten Staat und strotzte von Seide, Sammetmanchester und unechten Spitzen.
»Ach, Frau Räthin,« sagte der Staatsanwalt nach der ersten Begrüßung, indem er eben in sein Zimmer abbiegen wollte, »kommen Sie von Hause, und können Sie mir sagen, ob Ihr Herr Gemahl dort ist?«
»Ach nein, Herr Staatsanwalt, das weiß ich wirklich nicht,« erwiederte die Dame; »ich habe noch einige Wege in der Stadt besorgt und bin dann gleich hieher gegangen. Aber mein Männi kommt um diese Zeit immer nach Hause – Sie finden ihn sicher.«
Männi nannte sie den Fleischklumpen, und der Staatsanwalt schüttelte den Kopf, erwiederte aber nichts, machte ihr eine halbe Verbeugung und trat in sein Schreibzimmer, um inzwischen eingelaufene Geschäfte zu erledigen.
Er wunderte sich allerdings im Stillen, die Frau Räthin hier zu sehen, denn sie kam sehr selten zu ihnen, und da er dem Dienstmädchen unterwegs begegnet war, das eine Düte mit Backwerk, das stete Zeichen einer Kaffee-Visite, trug, so mußte seine Frau auch auf den Besuch vorbereitet sein. Aber andere, wichtigere Dinge zogen ihm durch den Kopf, um sich lange mit solchen Nebensachen zu beschäftigen, und er hatte sie auch bald vergessen.
Sonderbarer Weise war aber von der Frau Staatsanwalt wirklich die Frau Räthin heute, und zwar ganz allein, zum Kaffee geladen worden, und das noch dazu einer wichtigen Besprechung und Unterredung wegen. Man wußte nämlich ziemlich genau in der Stadt, daß die Frau Räthin, vielleicht aus Mangel einer besseren oder andern Beschäftigung, sehr geschickt im Kartenlegen sei, und die Frau Staatsanwalt war zu dem Entschluß gekommen (von dem aber ihr Mann natürlich keine Silbe erfahren durfte), die geheimnißvollen Blätter mit Hülfe einer »Wissenden« zu befragen, da ihr die Polizei das gestohlene Silbergeschirr doch nicht wiederschaffen konnte. Auch andere Dinge lagen ihr auf dem Herzen, über welche sie gern Auskunft gehabt hätte: aber das Silber ging unter allen Umständen vor.
Der Staatsanwalt wäre allerdings sehr böse geworden, wenn er von diesem Treiben etwas geahnt hätte; denn er haßte nichts mehr als solchen »Unsinn«, wie er es nannte, nämlich zu glauben, daß irgend ein altes Weib – Witte brauchte manchmal Kraftausdrücke, wenn er ärgerlich wurde –, mit irgendwelchen Hülfsmitteln auch immer, die Zukunft vorhersagen oder Verborgenes ergründen könne. Ob die dahin eingeschlagenen Wege nun in Bleigießen, Kaffeesatz, Kartenlegen oder irgend einem andern albernen Vorwand bestanden, blieb sich gleich; ja, er verachtete sogar das Tisch- und Geisterklopfen, wenn er es auch in seinem eigenen Hause eine Zeit lang dulden mußte, bis es die Damen selber satt bekamen und die armen Tische wieder ihren ruhigen und bestimmten Eckplatz erhielten, wo sie hingehörten. Uebrigens war nicht die geringste Gefahr vorhanden, daß er sie stören oder überraschen könne; denn wenn seine Frau Kaffeegesellschaft hatte, dachte er gar nicht daran, ihrem Zimmer auch nur nahe zu kommen. Er war nicht gern genirt und ging dann immer ruhig seinen eigenen Geschäften nach. Die Damen konnten deshalb ganz ungestört ihren geheimnißvollen Versuchen obliegen, und gingen denn auch mit gutem Willen an die Arbeit.
Ottilie betheiligte sich übrigens nicht daran. Sie hatte anfangs ganz still und lautlos am Fenster gesessen und sich mit einer Stickerei beschäftigt; endlich stand sie auf und ging in ihr eigenes Zimmer, wo sie den übrigen Theil des Abends blieb. Sie glaubte merkwürdiger Weise nicht an Kartenlegen, und die Frau Räthin war ihr außerdem keine angenehme Persönlichkeit, weil sie das ewige Schimpfen und Klagen über Dienstboten und die Nachbarsleute, in dem sich jene Dame am liebsten erging, nicht leiden konnte.
Solche Zu- oder Abneigungen sind aber gewöhnlich gegenseitig, und so mochte denn auch die Frau Räthin das »schnippische Ding« nicht leiden, wie sie es gewöhnlich in anderen Kaffeegesellschaften nannte. Sie fragte allerdings die Frau Staatsanwalt, als Ottilie das Zimmer verließ, ob »das liebe Kind« vielleicht nicht wohl sei, aber erwähnte sie nachher nicht weiter, und die Kartenprocedur hatte ihren ungestörten Fortgang.
Merkwürdiger Weise wollte es aber heute Abend gar nicht so besonders damit gehen. Die Karten fielen, wie die Frau Räthin bemerkte, so ungünstig und verkehrt, und es war ihr immer bald einmal eine Treff-Sieben, bald eine Carro-Zwei im Wege, daß sie sich selber nicht hindurchfand und endlich erklärte, so gänzlich mißglückt sei es ihr noch nie und es müsse irgend ein Hinderniß in der »Umgebung« liegen, das man vielleicht beseitigen könnte, wenn man eben wüßte, was es wäre. So erzählte sie der Frau Staatsanwalt, sie