Pfarre und Schule. Erster Band.. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Public Domain
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
isbn:
Скачать книгу
faßte ihn am Arme, und bat ihn, die Sache ruhen zu lassen, und jetzt still nach Hause zu gehen, er wolle schon mit dem Schulmeister sprechen, »es solle nicht wieder geschehen!«

      Der Bauer wollte noch Einiges bemerken, kam aber nicht mehr zu Wort, und verließ bald darauf, den verdrossenen Jungen, wie bei der Ankunft, hinter sich herschleppend, das Zimmer. Draußen aber blieb er stehen, und die Unterredung im Innern wurde, wenigstens von der einen Seite, so laut geführt, daß er deutlich jedes Wort verstehen konnte.

      »Schulmeister, Ihr dürft mir die Kinder nicht so mishandeln!« sagte die gereizte Stimme des geistlichen Herrn, »es sind schon mehrfach Klagen eingelaufen, und ich habe denn doch wahrhaftig keine Zeit, mich mit solchen Sachen fortwährend aufzuhalten; die halbe Nacht sitz' ich und arbeite, und muß mich jetzt wegen Euch und Eures unverzeihlichen Betragens wegen, mitten aus meinen Studien herausreißen.«

      Es entstand hier eine kleine Pause, und wahrscheinlich erwiederte der Schulmeister etwas, denn der Pastor fiel gleich darauf, und mit fast noch größerer Hitze wieder ein:

      »Schulmeister, macht mit Leugnen Euer Vergehen nicht noch schlimmer; ich habe den Rücken des Jungen selbst gesehen, und von drei leichten Streichen kriegt so ein derber Bengel nicht fünf oder sechs Schwielen über die Schultern – schon gut, schon gut, ich habe mehr zu thun, als mich mit Euch hier herum zu streiten – ich bin fest überzeugt, es geschieht mir nicht wieder, oder – ich müßte mich genöthigt sehen, ernstere Maaßregeln zu ergreifen – guten Morgen, Schulmeister, guten Morgen, die Sache ist für heute abgemacht.«

      Das Geräusch drinn in der Stube ließ darauf schließen, daß die Unterredung beendet sei, und der Bauer, der doch nicht gern beim Horchen ertappt werden wollte, zog sich rasch nach der Treppe zurück, war aber nicht im Stande sie zu erreichen, ehe Kleinholz heraustrat. Dieser begriff leicht, daß der Mann alles in des Pastors Zimmer Verhandelte, gehört haben mußte, und ein tiefes Roth färbte für einen Augenblick seine Wangen, aber er sagte Nichts, und wollte grüßend an dem Bauer vorüber gehen, Meinhardt gab ihm fast unwillkührlich Raum, als er aber dicht bei ihm war, und er das bleiche abgemagerte Gesicht, und die Schaamröthe auf den fahlen Zügen sah, da fing er selbst an, sich bis in die Seele hinein zu schämen.

      Er nahm den Schulmeister, trotz dem daß sich dieser leise dem Griffe zu entziehen suchte, fest bei der Hand, führte ihn die Treppe hinunter, und blieb dort einen Augenblick, wie um einen Anfang verlegen stehen. Endlich, da er das, was ihm eigentlich auf dem Herzen lag, gar nicht recht ausdrücken und zu Tage bringen konnte, ja vielleicht auch fühlte, daß mit Worten, die ihm selten zu Gebote standen, unverhältnißmäßig schwieriger sein würde, als durch die That selber, drehte er sich urplötzlich, und um diesem, ihm fatal werdenden Zustand ein Ende zu machen, nach seinem Jungen um, gab dem auf's Aeußerste Erstaunten links und rechts ein paar tüchtige Ohrfeigen, daß der sich schreiend und zurückprallend mit beiden Händen den mißhandelten Schädel hielt, und rief, indem er noch zum dritten Mal ausholte, was Gottlieb aber gar nicht abzuwarten gedachte, hinter dem jetzt sporenstreichs dem Thor zuspringenden Jungen her:

      »Da, Du Kriate Du, Du bist auch su en nixnutziger Bengel, där seinen Lehrer de Galle in eine furt im Ufruhr hält – kumm mer wieder mit Striamen uf'm Hintern haim, un ich mach' der de Quärstriche driber, daß der der ›Setz Dich druff‹ wie'n Damenbrät aussähn sull.«

      Jetzt, wo seiner Ansicht nach der Schulmeister eine glänzende Genugthuung erhalten hatte, wandte er sich noch einmal zu diesem, drückte ihm die Hand und sagte lächelnd:

      »Där märkt sich's, Schulmeister – Dunnerwätter! was mer seine Noth mit den Kingern hat.«

      Und damit schlug er sich den Hut fest in die Stirn, und verließ mit vieler Selbstzufriedenheit rasch, – wenn auch nicht so rasch wie sein ihm vorangegangener Sohn – die Pfarre.

      Viertes Kapitel.

      Parterre und erste Etage

      In Horneck, und zwar im westlichen Theile des kleinen Fleckens, gerade da, wo Försters Fähre von jenseits landete, und dicht an die malerischen Ufer der toll vorbeisprudelnden Rausche stoßend, stand eine Reihe städtisch aussehender Häuser, die auch größtentheils durch Bewohner der nicht fernen Residenz angelegt worden waren, und den des Stadtlebens Müden im Sommer zum Lieblingsaufenthalt dienten. In diesem Jahre waren sie denn auch wieder, und zwar außergewöhnlich früh, aus der Stadt hier eingetroffen, und hatten die so lang vernachlässigten Wohnungen bezogen; aber nicht das Frühjahr mochte die Ursache sein, obgleich dieses ebenfalls gar ungewöhnlich zeitig seine lieben duftenden Boten gesandt und den Wald mit Grün geschmückt, nicht die warmen Südwinde mochten die Schuld tragen, obgleich sie wie Sommerhauch durch die moosigen Schluchten und Thalgründe strichen, nicht der enteiste Strom schien die Stadtleute hervorgelockt zu haben, aus ihren engen düsteren Straßen, wenn auch er gleich so munter und lebensfroh unter den saftgrünen Weidenruthen und zwischen dem aufkeimenden Wiesensammet, ja von mancher stillen Waldblume geküßt und gegrüßt, vorüber tanzte, sondern die rauhe unruhige Zeit war es, die auf Sturmesfittigen über dem verschlafenen, schlafsüchtigen Deutschland die Lärmglocke erdröhnen machte, daß im Norden und Süden, im Osten und Westen, die Völker zu gleicher Zeit aus dem Traume auffuhren, und nun erstaunt, überrascht erkannten, wie hoch die Sonne stehe, wie lange sie im Schlummer gelegen hätten, und – wie stark, wie furchtbar stark sie selber seien.

      Auch in der Residenz hatte nämlich der Schall seinen Wiederklang gefunden, und das sonst so gemüthliche, vergnügungssüchtige Völkchen derselben verließ Bälle und Theater; in unzähligen Vereinen traten donnernde Sprecher auf und hielten stundenlange unverständliche Reden, die so einer endlosen Wüste glichen, daß das Volk, wenn es nur ein einziges Mal zu einer Oase, das heißt, zu einem einigermaßen verständlichen Satz kam, rauschend applaudirte; andere sprangen dann hinter ihnen mit Feuereifer auf die Tribüne, die Schlagwörter des Tages folgten in rascher Reihenfolge, stürmischer Jubelruf begleitete fast jeden einzelnen Satz, das Wort »Freiheit« wurde zu einer Geißel gedreht, mit der man die »Reactionaire« blutig peitschte, das souveraine Volk schrie jeden mißliebigen Redner von dem Rednerstand hinunter, und heitere Katzenmusiken mit obligater Fensterscheibenbegleitung beschlossen dann gewöhnlich die freudig erregten Versammlungen. Um aber auch den ruhigeren oder vielmehr gleichgültigeren Bürgern, die trotz aller Aufmunterungen an solchen Vereinen nicht Theil nehmen wollten, oder gar, was noch weit schlimmer war, anderen, natürlich reactionair gesinnten Vereinen angehörten, eine ihnen höchst zuträgliche Bewegung zu verschaffen, oder auch zu bewirken, daß sie die so wichtigen Tagesfragen ordentlich bedächten, schlug man gewöhnlich, wenn die Männer der Freiheit um 10 Uhr zu Hause gegangen waren, Generalmarsch, und ließ dann die übrigen bis um ½1 Uhr Nachts die Vorgänge des Tages auf dem Marktplatz besprechen.

      Sehr Vielen behagte eine solche abwechselnde und gewiß interessante Lebensweise, Andere aber sehnten sich auch wieder nach thatenloser Ruhe, nahmen es übel, daß sie, wenn sie sich kaum um zehn Uhr Abends niedergelegt, gleich wieder von einem Höllenlärm begrüßt wurden, von dem sie nie wußten, ob er ihnen, oder dem Nachbar galt (was sich übrigens auch gleich blieb, da immer Einer wie der Andere denselben Antheil empfing) und verließen, sobald die warme Frühlingsluft Blumen und Gräser aus der starren Erde lockte, die Stadt mit ihrem regen, ruhelosen Treiben.

      Dieser Theil nun von Horneck, der sich sowohl an Eleganz der Wohnungen, als auch an Reinlichkeit vor dem übrigen Dorfe sehr vortheilhaft auszeichnete, wurde übrigens nicht von allen Bewohnern mit günstigen Augen angesehen, obgleich gerade die Besitzer desselben viel dazu beigetragen hatten, den Wohlstand des kleinen Ortes zu verbessern. Die »Stadtleute«, wie dessen Insassen in Horneck hießen, galten für entsetzlich »stolz« und die Dorfmädchen steckten immer die Köpfe zusammen und kicherten nach Herzenslust, wenn die »Stadtmamsells« in vollem Glanze durch die Kirchgasse strichen und mit den »Schleppen« den Fußweg »sauber fegten«.

      Die Stadtleute kümmerten sich aber ihrerseits wenig um die »guten Bauern«, mit welchem Namen sie alle Landbewohner, trotz des gewaltigen Unterschiedes, den dieselben in solcher Benennung machen, belegten; erfreuten sich an der reizenden Umgegend, an der Lage des ganzen kleinen Ortes, an dem düstern Nadelholze und dem rauschenden Strome, an den wellenförmigen Feldern und »weichen Grasplätzen«, wie sie die Wiesen nannten, an den blökenden Heerden und dem melodischen Getön der