Inselwelt. Zweiter Band. Australische Skizzen. / Gesammelte Erzählungen
I.
Buschtreiben
1. John Mulligan
In früheren Jahren war Australien nichts, als eine Verbrecher-Colonie, und immer neue Schiffsladungen voll Missethäter wurden von England aus hinübergeschickt. Zugleich aber gingen auch einzelne freie Ansiedler mit in das ferne Land, die sich, unbekümmert um das rohe Gesindel umher, bleibend da niederließen und Ackerbau oder meist Viehzucht trieben. Ihr Leben dort verlief aber nicht so glatt und einförmig, wie das jetzt wohl der Fall ist, wo sie sich um wenig mehr, als ihre Felder und Heerden, zu kümmern haben.
Auch die Polizei – obgleich sie in Australien selbst heute noch nicht ruhen darf – hatte mehr zu thun, als die unsrige – wenn ich auch nicht sagen will, daß sie sich mehr beschäftigte – und die kühnsten und unternehmendsten Leute wurden ihr eingereiht. Es galt aber auch damals nicht nur nächtlichen und scheuen Dieben aufzulauern, sondern oft den entsprungenen und zur Verzweiflung getriebenen Sträflingen draußen im Freien zu begegnen, und in dem weiten, wilden Lande gehörte dazu nicht allein eine zähe Ausdauer, sondern auch ein fester Muth, der vor keiner Gefahr zurückbebte.
Die Polizei war deshalb auch – und ist es dort bis auf den heutigen Tag – militairisch organisirt, und die Polizeiofficiere hatten vollkommen freie Hand, nach eigenem Gutdünken mit hinreichender Mannschaft oft gar nicht unbedeutende Streifzüge zu unternehmen. Man mußte sie eben von leeren Förmlichkeiten entbinden, um ihr freie Hand zu lassen, dem Augenblicke nach zu handeln; denn wie häufig kam es gerade vor, daß der Augenblick eben erfordert wurde, einen entscheidenden Streich gegen irgend eine der im Walde zerstreuten Banden entflohener Verbrecher zu unternehmen.
Unter diesen Polizeileuten zeichnete sich besonders ein gewisser Tolmer aus, der noch jetzt im Adelaide-District lebt und thätig ist. Nicht allein keck jeder Gefahr entgegengehend, die sich ihm in den Weg stellte, hatte er auch in dem Buschleben mit Schwarzen und Verbrechern eine Menge werthvolle Erfahrungen gesammelt, und wo ein schwieriges Unternehmen ausgeführt werden sollte, wo irgend ein verzweifelter Bursche verschwunden blieb und nun durch neue Verbrechen dafür sorgte, daß sein Andenken nicht ganz erlosch, da wurde gewöhnlich der damalige Polizeisergeant Tolmer abgeschickt, ihn aufzuspüren. Wenn es irgend möglich war, führte der seinen Auftrag aus.
In Adelaide, oder wenigstens in der Nachbarschaft, hatte ich das Vergnügen, mit Mr. Tolmer bekannt zu werden, und die nachfolgenden Skizzen eines abenteuerlichen Zuges, den er einmal nach einer unsern dem australischen Festlande liegenden Insel unternahm, und der ihn zum Lieutenant beförderte, habe ich aus seinem eigenen Munde. – Ich will versuchen, es so treu als möglich wiederzugeben.
Schon vor längerer Zeit waren ein paar lebenslänglich verurtheilte Deportirte aus dem Gefängnisse ausgebrochen und in den »Busch« geflohen. Anstatt aber allein darin umherzuwandern, wo sie sich gewöhnlich nicht lange halten konnten, ging das Gerücht, sie hätten sich einem Stamme der Schwarzen angeschlossen und hälfen diesem, die benachbarten und in ihrem Bereiche liegenden Stationen belästigen.
Berittene Polizei wurde augenblicklich dorthin beordert, und es gelang dieser auch, den bezeichneten Stamm Eingeborener aufzufinden und zu zerstreuen, aber von den weißen, sogenannten Buschrähndschern1 fand sich keiner bei ihnen vor. Die Burschen hatten sich jedenfalls, als sie merkten, daß ihr Aufenthalt bei den Schwarzen nicht mehr gesichert war, irgend wo anders hingewandt, und ein volles Jahr lang blieb jeder Versuch, sie wieder aufzufinden, vergeblich.
Tolmer hielt sich nach dieser Zeit wieder in Adelaide auf und hatte eben wieder einen Transport von Flüchtlingen eingebracht, die sich eine Weile in den Dickichten der Hindmarsh-Sümpfe umhergetrieben. Die früher entsprungenen Verbrecher waren schon fast vergessen worden, da man nicht anders glaubte, als daß sie Mittel und Wege gefunden hätten, mit einem Boot in See zu gehen, um vielleicht nach Neuseeland hinüberzufahren oder auch ein unterwegs getroffenes Schiff anzurufen. Einzelne waren schon auf diese Art entkommen.
Tolmer glaubte übrigens nicht daran. Wenn er auch keinen bestimmten Platz wußte, wo er sie suchen sollte, konnte er den Gedanken nicht aufgeben, sie noch auf australischem Boden zu wissen, und unterließ in der ganzen Zeit nicht, die sorgfältigsten Nachforschungen anzustellen, wenn diese auch fortwährend erfolglos blieben.
So saß er eines Abends in dem am häufigsten besuchten Hotel in Adelaide bei einer Flasche Ale. Mehrere Stationshalter aus der Nachbarschaft, die in die Stadt gekommen waren, theils neue Weidegründe zu belegen, theils Vieh und Pferde zu verkaufen, saßen mit im Zimmer, und das Gespräch drehte sich um das Land im Inneren, die muthmaßliche Nutzbarkeit und Besiedelung desselben, die jetzige Bevölkerung und – wie das in Australien damals nicht ausbleiben konnte – um das Recht der Regierung, noch weitere Sträflinge herüberzuschicken. Schon damals nämlich strebten die australischen Colonieen danach – was sie auch später erreichten – daß das System, Verbrecher von England herüberzusenden, aufgegeben und Australien eine wirkliche Colonie von freien Einwanderern würde. Das pro und contra wurde dann, sowie das Gespräch einmal auszweigte, auf das Lebhafteste debattirt, denn es gab eine Menge von Ansiedlern, denen die Sträflingsarbeit sehr bequem und einträglich war und die sie nicht missen wollten. Diejenigen, die das Sträflingssystem bekämpften, führten dann nicht mit Unrecht zu ihrem Gunsten an, welche Massen schlechten, nichtsnutzigen Gesindels sich, in entlassenen oder halb begnadigten Verbrechern, über das ganze weite Land verbreiteten und nicht allein die Sicherheit der ehrlichen freien Bewohner gefährdeten, sondern auch dem unbemittelten Einwanderer eine schwere und kaum zu bekämpfende Concurrenz bereiteten. Nur von dem freien Einwanderer hatte deshalb Australien einmal zu hoffen, daß es ein mächtiges und reiches Land werden könne.
Unter den Gästen befand sich auch ein Stationshalter von der südlich vom Adelaide-District liegenden Känguruh-Insel, die damals erst seit sehr kurzer Zeit von den Engländern wirklich in Besitz genommen war. Auch nur Einzelne hatten sich dort drüben niedergelassen, und zwar nur in der Hoffnung, daß die ziemlich ausgedehnte Insel einmal später größere Bedeutung erlangen solle, wodurch ihre dort angelegten Besitzungen auch an Werth und Wichtigkeit gewinnen würden.
Dieser eiferte besonders gegen das Verbrecher-System, trotzdem daß es ihnen in der Schafschur, wie er gern eingestand, willkommene Arbeiter lieferte. Jetzt aber sei man, wie er behauptete, selbst auf diesem entlegenen und durch einen Seearm von den eigentlichen Verbrecherstationen getrennten Theile der Colonie doch nicht sicher, solchem Gesindel jeden Augenblick im Busche zu begegnen, und er gehe immer mit Sorge und Angst von Hause fort, daß einmal während seiner Abwesenheit irgend etwas vorfallen könne, was die Sicherheit der Seinen gefährde.
Tolmer, als Regierungsbeamter, hatte sich nicht in das Gespräch gemischt und nur schweigend den verschiedenen Bemerkungen und Ansichten gelauscht; als sich aber die übrigen Gäste nach und nach verloren und die Unterhaltung auch schon lange auf andere gleichgültige Gegenstände übergewechselt war, setzte er sich zu dem Ansiedler von der Känguruh-Insel und unterhielt sich auf das Lebhafteste mit ihm über die dortigen Aussichten späterer Cultur, über Weiden und Ackerbau und – die Möglichkeit, Arbeiter zu den verschiedenen und nöthigen Verrichtungen zu bekommen. Eine directe Frage über das, was ihm eigentlich am Herzen lag, that er aber nicht, und zwar aus Gründen, die wirklich nur ein Australier begreifen würde.
Der Mann sah vollkommen anständig aus und Tolmer bezweifelte keinen Augenblick, daß er ein Stationseigenthümer von jenem Eiland sei, aber – sie befanden sich in Australien und Tolmer hatte schon zu oft erfahren, daß man Niemandem, was seine frühere Existenz betraf, trauen dürfe, besonders nicht in der damaligen Zeit. Die dem äußeren Anscheine nach anständigsten Leute waren oft als »Deportirte« herübergekommen, und wenn sie auch später nicht mit den »Buschrähndschern« gemeinsame Sache machten, hüteten sie sich doch wohl, dieselben zu verrathen – theils vielleicht aus Mitgefühl, theils vielleicht auch wohl aus Furcht vor einer möglichen Rache derselben.
Der Mann hatte allerdings mit dem größten Eifer gegen das fortgesetzte System gesprochen, verbrecherische und gezwungene Ansiedler nach Australien zu bringen, das aber stellte noch gar nicht fest, daß er nicht in näherer Beziehung zu diesen stand, wie er jetzt vielleicht eingestehen mochte. War das aber wirklich der Fall, so konnte eine unbewacht hingeworfene Frage mehr verderben, wie sich leicht