Arme Leute. Dostoyevsky Fyodor. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dostoyevsky Fyodor
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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und sich auch an die Schläge gewöhnte. Er war noch gar nicht so alt, aber infolge seiner schlechten Lebensweise war er, wie ich bereits erwähnte, tatsächlich nicht mehr ganz bei vollem Verstande.

      Der einzige Rest edlerer Gefühle war in diesem Menschen seine grenzenlose Liebe zu seinem Sohne. Man sagte mir, der junge Pokrowskij sei seiner Mutter so ähnlich, wie ein Tropfen Wasser dem anderen. War es dann vielleicht die Erinnerung an die erste, gute Frau, die im Herzen dieses heruntergekommenen Alten eine so grenzenlose Liebe zu seinem Sohne erweckt hatte? Der Alte sprach überhaupt von nichts anderem, als von diesem Sohn. In jeder Woche besuchte er ihn zweimal. Oefter zu kommen, wagte er nicht, denn der Sohn selbst konnte diese väterlichen Besuche nicht ausstehen. Diese Nichtachtung des Vaters war gewiß sein größter Fehler. Uebrigens konnte der Alte mitunter auch mehr als unerträglich sein. Erstens war er furchtbar neugierig, zweitens störte er den Sohn durch seine müßigen Gespräche und nichtigen, sinnlosen Fragen beim Arbeiten, und drittens erschien er nicht immer ganz nüchtern. Der Sohn gewöhnte dem Alten mit der Zeit seine schlechten Angewohnheiten, seine Neugier und seine Schwatzhaftigkeit ab, und zu guter Letzt gehorchte ihm der Vater wie einem Gott und wagte ohne seine Erlaubnis nicht einmal mehr, den Mund aufzutun.

      Der arme Alte konnte sich über seinen Petinka3 – so nannte er den Sohn – nicht genug wundern und freuen. Wenn er zu ihm kam, sah er immer bedrückt, besorgt, sogar ängstlich aus – wahrscheinlich deshalb, weil er noch nicht wußte, wie der Sohn ihn empfangen werde. Gewöhnlich konnte er sich lange nicht entschließen, einzutreten, und wenn er mich dann erblickte, winkte er mich schnell zu sich heran, um mich oft eine ganze halbe Stunde lang auszufragen, wie es dem Petinka gehe, was er mache, ob er gesund sei und in welcher Stimmung, und ob er sich nicht mit etwas Wichtigem beschäftige. Vielleicht schreibe er? oder studiere wieder ein philosophisches Werk? Und wenn ich ihn dann genügend beruhigt und ermutigt hatte, entschloß er sich endlich, ganz, ganz leise und vorsichtig die Tür zu öffnen und den Kopf ins Zimmer zu stecken: sah er, daß der Sohn nicht böse war, daß er ihm vielleicht sogar zum Gruß zunickte, dann trat er ganz behutsam ein, nahm den Mantel und den Hut ab – letzterer war ewig verbeult und durchlöchert, wenn nicht gar mit abgerissener Krempe – und hängte beides an einen Haken. Alles tat er so vorsichtig und lautlos wie nur möglich. Dann setzte er sich vorsichtig auf einen Stuhl und verwandte keinen Blick mehr von seinem Sohn, verfolgte jede seiner Bewegungen, jeden Blick, um nur ja die Stimmung seines Petinka zu erraten. Sah er, daß der Sohn verstimmt und schlechter Laune war, so erhob er sich sogleich wieder von seinem Platz und sagte, daß er eben »nur so, Petinka, nur auf ein Weilchen« zu ihm gekommen sei. »Ich bin, sieh mal, ja, ich bin weit gegangen, kam zufällig hier vorüber, und da trat ich eben auf ein Weilchen ein, um mich etwas auszuruhen. Jetzt will ich wieder gehen.« Und dann nahm er still und ergeben seinen alten dünnen Mantel und den alten, abgetragenen Hut, klinkte vorsichtig wieder die Tür auf und ging – indem er sich noch zu einem Lächeln zwang, um das aufwallende Leid im Herzen zu unterdrücken und den Sohn nichts merken zu lassen.

      Doch wenn der Sohn ihn freundlich empfing, dann wußte er sich vor Freude kaum zu lassen. Sein Gesicht, seine Bewegungen, seine Hände – alles sprach dann von seinem Glück. Und wenn der Sohn mit ihm gar zu sprechen begann, erhob sich der Alte stets ein wenig vom Stuhle, antwortete leise und gleichsam untertänig, fast sogar ehrfürchtig, und immer bestrebt, sich der gewähltesten Ausdrücke zu bedienen, die in diesem Fall natürlich nur komisch wirkten. Hinzu kam, daß er entschieden nicht zu sprechen verstand: nach jeden paar Worten verwickelte er sich im Satz, wurde verlegen, wußte nicht, wo er die Hände, wo er sich selbst lassen sollte – und nachher flüsterte er dann noch mehrmals die Antwort vor sich hin, wie um das Gesagte zu verbessern. War es ihm aber gelungen, gut zu antworten, so war er ganz stolz, zog die Weste glatt, rückte an der Krawatte, zupfte den Rock an den Aufschlägen, und seine Miene nahm sogar den Ausdruck eines gewissen Selbstbewußtseins an. Bisweilen aber fühlte er sich dermaßen ermutigt, daß er geradezu kühn wurde: er stand vom Stuhl auf, ging zum Bücherregal, nahm irgendein Buch und begann zu lesen, gleichviel was für ein Buch es war. Und alles das tat er mit einer Miene, die größte Gleichmut und Kaltblütigkeit vortäuschen sollte, als habe er von jeher das Recht, mit den Büchern des Sohnes nach Belieben umzugehen, und als sei ihm dessen Freundlichkeit nichts Ungewohntes. Einmal aber sah ich zufällig, wie der Alte erschrak, als der Sohn ihn bat, die Bücher nicht anzurühren: er verlor vollständig den Kopf, beeilte sich, sein Vergehen wieder gut zu machen, wollte das Buch zwischen die anderen wieder hineinzwängen, verdrehte es aber, schob es mit dem Kopf nach unten hinein, zog es dann schnell wieder hervor, drehte es um und dann nochmals um und schob es von neuem falsch hinein, diesmal mit dem Rücken voran und dem Schnitt nach außen, lächelte dabei hilflos, wurde rot und wußte entschieden nicht, wie er sein Verbrechen sühnen sollte.

      Nach und nach gelang es dem Sohn, den Vater durch Vorhaltungen und gutes Zureden von seinen schlechten Gewohnheiten abzubringen, und wenn der Alte etwa dreimal nach der Reihe nüchtern erschienen war, gab er ihm das nächste Mal fünfundzwanzig oder fünfzig Kopeken, oder noch mehr. Bisweilen kaufte er ihm Stiefel, oder eine Weste, oder eine Krawatte, und wenn der Alte dann in seinem neuen Kleidungsstück erschien, war er stolz wie ein Hahn. Mitunter kam er auch zu uns und brachte Ssascha und mir Pfefferkuchen oder Aepfel und sprach dann natürlich nur von seinem Petinka. Er bat uns, während des Unterrichts aufmerksam und fleißig zu sein, und unserem Lehrer zu gehorchen, denn Petinka sei ein guter Sohn, sei der beste Sohn, den es überhaupt geben könnte, und obendrein, »ein so gelehrter Sohn«. Wenn er das sagte, zwinkerte er uns ganz komisch mit dem linken Auge zu, und sah uns so wichtig und bedeutsam an, daß wir uns gewöhnlich nicht bezwingen konnten und herzlich über ihn lachten. Mama hatte den Alten sehr gern. Anna Fedorowna wurde von ihm gehaßt, obschon er vor ihr »niedriger als Gras und stiller als Wasser« war.

      Bald hörte ich auf, mich an dem Unterricht zu beteiligen. Pokrowskij hielt mich nach wie vor nur für ein Kind, für ein unartiges kleines Mädchen, wie Ssascha. Das kränkte mich sehr, denn ich hatte mich doch nach Kräften bemüht, mein früheres Benehmen wieder gut zu machen. Aber vergeblich: ich wurde überhaupt nicht beachtet. Das reizte und kränkte mich noch mehr. Ich sprach ja fast gar nicht mit ihm, außer während des Unterrichts, – ich konnte einfach nicht sprechen. Ich wurde rot und nachher weinte ich irgendwo in einem Winkel – vor Aerger über mich selbst.

      Ich weiß nicht, zu was das noch geführt haben würde, wenn uns nicht ein Zufall einander näher gebracht hätte. Das geschah folgendermaßen:

      Eines Abends, als Mama bei Anna Fedorowna saß, schlich ich mich heimlich in Pokrowskijs Zimmer. Ich wußte, daß er nicht zu Hause war, doch vermag ich wirklich nicht zu sagen, wie ich auf diesen Gedanken kam, in das Zimmer eines fremden Menschen zu gehen. Ich tat es zum erstenmal, obschon wir über ein Jahr Tür an Tür gewohnt hatten. Mein Herz klopfte so stark, als wollte es zerspringen. Ich sah mich mit einer eigentümlichen Neugier im Zimmer um: es war ganz einfach, sogar ärmlich eingerichtet, von Ordnung war nicht viel zu sehen. Auf dem Tisch und auf den Stühlen lagen Papiere, beschriebene Blätter. Ueberall nichts als Bücher und Papiere! Ein seltsamer Gedanke überkam mich plötzlich: es schien mir, daß meine Freundschaft, selbst meine Liebe wenig für ihn bedeuten könnten. Er war so gelehrt und ich so dumm, ich wußte nichts, las nichts, besaß kein einziges Buch… Mit einem gewissen Neid blickte ich nach den langen Bücherregalen, die fast zu brechen drohten unter der schweren Last. Aerger erfaßte mich, und Groll und Sehnsucht und Wut! – Ich wollte gleichfalls Bücher lesen, seine Bücher, und alle ausnahmslos, und das so schnell als möglich! Ich weiß nicht, vielleicht dachte ich, daß ich, wenn ich alles wüßte, was er wußte, eher seine Freundschaft erwerben könnte, als so, da ich nichts wußte. Ich ging entschlossen zum ersten Bücherregal und nahm, ohne zu zögern, ohne auch nur nachzudenken, den ersten besten Band heraus – zufällig ein ganz altes, bestaubtes Buch – und brachte es, zitternd vor Aufregung und Angst, in unser Zimmer, um es in der Nacht, wenn Mama schlief, beim Schein des Nachtlämpchens zu lesen.

      Wie groß aber war mein Verdruß, als ich, in unserem Zimmer glücklich angelangt, das geraubte Buch aufschlug und sah, daß es ein uraltes, vergilbtes und von Würmern halb zerfressenes lateinisches Werk war. Ich besann mich nicht lange und kehrte schnell in sein Zimmer zurück. Doch gerade wie ich im Begriff war, das Buch wieder auf seinen alten Platz zurückzulegen, hörte ich plötzlich die Glastür zum Korridor öffnen und schließen


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Diminutiv von Pjotr. E. K. R.