Und packt' ihn beim Kragen,
Hinaus ihn zu jagen:
Noch bist du zu jung!
Nun fix, sagte Rasmus,
Nahm Randi ums Mieder:
Den Kuß gib mir wieder,
Du weißt! Sei gescheit!
Wird nix! lachte Randi,
Eins hinter die Ohren
Gebührt solchen Toren,
Nun weißt du Bescheid!“
„Auf, Kinder!“ rief der Schulmeister; „heute ist der erste Schultag, da will ich euch früher freigeben; vorher aber müssen wir noch beten und singen!“ Das gab ein Leben in der Schule, sie sprangen von den Bänken, sprangen durch das Zimmer, schwatzten alle durcheinander. – „Still, ihr Teufelsbrut, ihr jungen Elstern, ihr Takelzeug! Stille! Und geht fein säuberlich durch das Zimmer, Kinderchen!“ sagte der Schulmeister, und sie gingen ruhig hin und stellten sich auf, worauf der Schulmeister vor sie hintrat und ein kurzes Gebet sprach. Dann sangen sie. Der Schulmeister stimmte mit kräftigem Baß an, alle Kinder standen mit gefalteten Händen da und sangen mit, Öyvind stand zu unterst neben der Tür mit Marit zusammen und sah zu; auch sie falteten die Hände, aber sie konnten nicht singen.
Das war der erste Tag in der Schule.
3
Öyvind wuchs heran und wurde ein muntrer Junge. In der Schule war er einer der ersten, und daheim war er zu jeder Arbeit geschickt. Das kam daher, daß er daheim die Mutter liebhatte und in der Schule den Schulmeister; von dem Vater sah er nur wenig, denn entweder war dieser auf dem Fischfang, oder er besorgte ihre Mühle, in der das halbe Kirchspiel mahlen ließ.
Was in diesen Jahren am meisten auf sein Gemüt eingewirkt hatte, war die Geschichte des Schulmeisters, die ihm die Mutter eines Abends, als sie am Herde saßen, erzählt hatte. Sie senkte sich in seine Bücher hinab, sie lag jedem Wort zugrunde, das der Schulmeister sagte, und schlich in der Schule umher, wenn alles still war. Sie flößte ihm Gehorsam und Ehrfurcht ein und verlieh ihm gleichsam ein leichteres Verständnis für alles, was gelehrt wurde. Die Geschichte lautete folgendermaßen:
Baard hieß der Schulmeister, und er hatte einen Bruder, der Anders hieß. Sie hatten sich sehr lieb, ließen sich beide anwerben, lebten in der Stadt zusammen, zogen mit in den Krieg, wo sie beide zu Korporalen befördert wurden und beide bei derselben Kompagnie standen. Als sie nach dem Kriege wieder heimkehrten, fanden alle, daß es zwei stattliche Männer seien. Da stirbt ihr Vater; er hatte viel Hab und Gut, das schwer zu teilen war, und deswegen sagten sie zueinander, daß sie auch diesmal nicht uneins werden, sondern eine Auktion ansetzen wollten, wo jeder kaufen könnte, was er wollte, und dann wollten sie den Erlös teilen. Gesagt, getan! Aber der Vater hatte eine große goldne Uhr gehabt, die weit und breit berühmt war, denn es war die einzige goldne Uhr, die die Leute in dieser Gegend jemals gesehen hatten, und als diese Uhr ausgerufen wurde, wollten viele reiche Männer sie haben, bis auch beide Brüder zu bieten anfingen; darauf ließen die andern nach. Jetzt erwartete Baard von Anders, daß er ihm die Uhr überlassen würde, und Anders erwartete dasselbe von Baard; sie boten jeder einmal, um einander auf die Probe zu stellen, und sahen zueinander hinüber, während sie boten. Als die Uhr auf zwanzig Taler gekommen war, dachte Baard, daß das nicht schön gehandelt sei von dem Bruder, und fuhr fort zu bieten, bis er die Uhr ungefähr auf dreißig hinaufgetrieben hatte; als Anders noch nicht nachließ, meinte Baard, Anders wisse nicht mehr, wie gut er oft gegen ihn gewesen wäre, und daß er außerdem der älteste sei, und so kam die Uhr höher als auf dreißig Taler. Anders bot noch immer. Da bot Baard vierzig Taler auf einmal und sah den Bruder nicht mehr an; es war sehr still im Auktionszimmer, nur der Schulze wiederholte ruhig die Summe. Anders dachte, wie er so dastand, daß, wenn Baard die Mittel habe, vierzig Taler zu geben, er sie auch wohl habe, und wenn Baard ihm die Uhr nicht gönne, so wäre er im Rechte, sie zu nehmen; er überbot ihn also. Dies erschien Baard wie die größte Schande, die ihm je zugefügt worden war; er bot fünfzig Taler, und zwar ganz leise. Viele Leute standen ringsumher, und Anders dachte, so sollte ihn der Bruder nicht vor aller Ohren verhöhnen, und überbot ihn. Da lachte Baard: „Hundert Taler und meine Bruderschaft mit in den Kauf,“ wandte sich ab und ging zur Stube hinaus. Nach einer Weile, während er damit beschäftigt war, das eben erstandne Pferd zu satteln, kam jemand zu ihm heraus. „Die Uhr ist dein,“ sagte der Mann; „Anders hat nachgegeben.“ – In demselben Augenblick, wo Baard dies erfuhr, durchzuckte es ihn wie Reue; er dachte an den Bruder und nicht an die Uhr. Der Sattel war aufgelegt, aber er hielt inne, die Hand auf dem Rücken des Pferdes, unsicher, ob er reiten solle. Da kamen viele Leute heraus, unter ihnen Anders, und wie er den Bruder neben dem gesattelten Pferde stehn sah – er wußte ja nicht, worüber Baard jetzt nachdachte – , schrie er zu ihm hinüber: „Hab Dank für die Uhr, Baard, du sollst sie an dem Tage nicht gehn sehen, wo dein Bruder dir in den Weg tritt!“ – „Auch an dem Tage nicht, wo ich wieder auf den Hof reite!“ entgegnete Baard, kreideweiß im Gesicht, und schwang sich auf sein Pferd. Das Haus, wo sie zusammen mit dem Vater gewohnt hatten, betrat keiner von ihnen wieder.
Bald darauf heiratete Anders in eine Käte hinein, aber er bat Baard nicht zur Hochzeit; Baard war auch nicht in der Kirche. In dem ersten Jahre nach Andersens Verheiratung wurde die einzige Kuh, die er hatte, an der Nordseite seines Hauses, wo sie angepflöckt geweidet hatte, tot aufgefunden, und niemand wußte, woran sie gestorben war. Mehrere Unglücksfälle kamen hinzu, und es ging zurück mit ihm; am schlimmsten aber wurde es, als seine Scheune mitten im Winter abbrannte mit allem, was darin war; niemand wußte, wie das Feuer entstanden war. „Das hat jemand getan, der mir übel will,“ sagte Anders, und in dieser Nacht weinte er. Er war ein armer Mann geworden und verlor alle Lust zur Arbeit.
Da stand Baard am nächsten Tage in seiner Stube. Anders lag auf dem Bett, als er eintrat, sprang aber auf. – „Was willst du hier?“ fragte er, schwieg dann aber und blieb stehn und starrte den Bruder unverwandt an. Baard wartete eine Weile, ehe er antwortete: „Ich will dir meine Hilfe anbieten, Anders; es geht dir nicht gut.“ – „Mir geht es so, wie du es mir gewünscht hast, Baard! Geh, oder ich weiß nicht, ob ich mich beherrschen kann.“ – „Du irrst, Anders; ich bereue – .“ – „Geh, Baard, oder Gott sei dir und mir gnädig.“ – Baard trat ein paar Schritte zurück; mit bebender Stimme sagte er: „Wenn du die Uhr haben willst, so sollst du sie bekommen!“ – „Geh, Baard!“ schrie der andre, und Baard wagte nicht länger zu bleiben, sondern ging.
Mit Baard aber war es so zugegangen. Sobald er hörte, daß der Bruder Not leide, taute ihm das Herz auf, aber der Stolz hielt ihn zurück. Er empfand das Bedürfnis, zur Kirche zu gehn, und dort faßte er gute Vorsätze, allein er brachte sie nicht zur Ausführung. Oft kam er so weit, daß er das Haus sehen konnte, bald aber kam jemand aus der Tür, bald war ein Fremder dort, oder auch Anders stand draußen und hackte Holz, genug, es war immer irgend etwas im Wege. Aber eines Sonntags zu Ende des Winters war er wieder in der Kirche, und da war Anders auch dort. Baard sah ihn; er war blaß und mager geworden, er trug noch dieselben Kleider wie früher, als sie noch zusammen gewesen waren, aber sie waren jetzt alt und geflickt. Während der Predigt sah er zum Pfarrer hinauf, und Baard erschien es, als sähe er gut und sanft aus, er gedachte ihrer Kinderjahre und was für ein guter Junge er gewesen war. Baard selber ging an jenem Tage zum Abendmahl, und er legte seinem Gott das feierliche Gelübde ab, daß er sich mit seinem Bruder versöhnen wolle, es möchte kommen, was da wollte. Dieser Vorsatz ging in dem Augenblick durch seine Seele, als er den Wein trank, und als er sich erhob, wollte er geradeswegs zu ihm hingehn und sich neben ihn setzen; aber es saß jemand im Wege, und der Bruder sah nicht auf. Auch nach der Predigt war wieder etwas im Wege; da waren zu viel Leute, die Frau ging neben ihm, und die kannte er nicht – er meinte, es sei das beste, zu ihm ins Haus zu gehn und ernstlich mit ihm zu reden. Als der Abend kam, tat er das. Er ging auf die Stubentür zu und lauschte; da aber hörte er seinen Namen nennen, und zwar von der Frau: „Er ging heute zum Abendmahl,“ sagte sie; „er hat gewiß an dich gedacht.“ – „Nein, er hat nicht an mich gedacht,“ sagte Anders. „Ich kenne ihn; er denkt nur an sich.“
Dann wurde nichts mehr gesagt. Baard schwitzte, wo er stand, obwohl