Donnernd und polternd lachte der große Schauspieler Armin Horch auf.
»Meine Herrschaften, nun muß es heraus! Auch ich werde Oesterreich verlassen müssen! Denn ich, den die »Wehr« und andere Zeitungen immer als den Verkörperer des christlichen Schönheitsideals gepriesen haben, ich bin ein ganz gewöhnlicher Judenstämmling! Mein Vater stammte aus Brody und hieß nicht Horch, sondern Storch!«
Schallendes Gelächter ringsumher, Galgenhumor quoll auf, Scherze, die zur Situation paßten, wurden erzählt.
»Na und Sie, Herr Pinkus, wohin werden Sie Ihren Buchverlag transferieren?« fragte einer den dicken, kleinen Verleger mit den krummen Beinen und dem prononciert jüdischen Gesicht.
»Ich? Ich bleibe! Ich bin doch Urchrist!«
Und als alles lachte, sagte er behaglich schmunzelnd:
»Spaß beiseite, ich bin ein waschechter Goi! Mein Großvater Amsel Pinkus war ein Tuchhändler in Frankfurt am Main und ein braver, frommer Jude. Als er sich aber in meine Großmutter, Christine Haberle, eine kleine Sängerin aus Stuttgart, verliebte, ließ er sich, da sie anders nicht die Seine werden wollte, taufen. Nun, mein Vater heiratete wieder eine Christin und so bin ich Christ in dritter Generation, also werde ich nicht ausgewiesen, obwohl ich in Art und Aeußerem ganz entschieden ein Duplikat meines Großvaters bin.«
»Es lebe der Urchrist Pinkus,« rief der Hausherr belustigt und alle hoben lachend die Gläser. Da klang vom See her ein Knall wie ein Peitschenhieb. Und von seltsamer Ahnung ergriffen, rief Villoner: »Wo ist Seider?«
Aber schon brachten Leute die Leiche des jungen Lyrikers. Er hatte sich unten am See erschossen, um seine müde, empfindsame Seele nicht in der Fremde frieren lassen zu müssen.
Bei der Lona in der Gumpendorferstraße herrschte geradezu Panikstimmung. Acht junge Damen, eine schöner als die andere, waren schon versammelt und immer wieder mußte die dicke Wirtschafterin, Frau Kathi Schoberlechner, die Wohnungstür öffnen und ein Fräulein hereinlassen. Im Salon roch es außerordentlich kräftig nach Houbigant, Ambre, Coty, Rouge und Zigaretten, und es leuchtete und funkelte von hellblonden, rotblonden, schwefelgelben und schwarzen Haaren, Diamanten und Perlen. Alle waren in Spitzen und Seide gekleidet, nur die Lona trug einen duftigen Schlafrock, der vorn offen war, so daß ihr der schneeweiße Busen fast entquoll, und ihre nackten Füße steckten in roten Pantöffelchen.
Die schwarze Yvonne weinte zum Herzzerbrechen, die rote Margit aber schlug auf den Tisch und schrie erbost:
»Mir müssen demonschtrieren! Wann i' so an Nationalpülcher derwisch, kratz' i eahm die scheangleten Augen aus!«
»A so a Gemeinheit! Was soll'n mir denn machen, wann s' die Juden hinausschmeißen?«
Yvonne weinte noch heftiger. »Und grad jetzt, wo mir der Fredi Pollak a neuches Automobil bestellt hat.«
»Mir gibt der Reizes, mit dem was ich seit zwei Wochen geh', fünfhundert Fetzen im Monat! Möcht' wissen, ob die Herren Christen auch so splendid sein wer'n?«
»Ihr wißt ja eh, ich hab' den Zwitterbauch aus Mährisch-Ostrau, der mich ganz aushält und nur amal im Monat auf a Wochen nach Wien kummt!«
Eine üppige Juno mit gelben Haaren schlug die starken, aber schönen Beine übereinander, daß man die blauseidenen Strumpfhalter sah, leerte ein Gläschen Cointreau und sagte mit klingender Altstimme:
»Kinder, am meisten Erfahrung habe wohl ich im Leben! Und ich kann nur sagen, wenn die Juden verschwunden sind, müssen wir alle verhungern oder uns um Stellen als Klosettfrauen in Kaffeehäusern umsehen. Geld lassen tun nur die Juden, die anderen wollen alle viel Liebe und wenig Spesen! Zehn Jahre bin ich mit dem Baron Stummerl vom Auswärtigen Amt gegangen, und in diesen zehn Jahren hat er mir ein goldenes Armband, einen Pelzkragen und tausend Gulden geschenkt. Ein Glück, daß ich dabei noch den Herschmann von der Anglobank gehabt habe, sonst hätte ich am Ende noch arbeiten müssen. Seither flieg' ich nur auf die Israeliten!«
Claire spielte nervös mit dem goldenen, diamantbesetzten Kreuz, das sie an einer Platinkette trug. »Was wohl der Karl sagen wird, wenn ich vom Doktor Baruch nichts mehr bekomm'!«
Neue Klagen erhoben sich, Wehrufe wurden laut. Daran hatte man im Drange der Geschehnisse noch gar nicht gedacht! Was sollte mit den Freunden werden, die man liebte und aushielt, wenn die Freunde, die zahlten, nicht mehr waren?
Da führte die Frau Kathi einen dieser Freunde herein. Pepi war das Ideal eines feschen Kerls. Tiptop vom staubgrauen Samthut über die gestrickte Krawatte hinweg bis zu den gelben Halbschuhen, über denen man sanft getönte, blaue Seidenstrümpfe sah.
Schluchzend warf sich die reizende schwarze Yvonne in die Arme ihres Herzensfreundes. Alle begrüßten ihn stürmisch, ein Hagel von Rufen und Fragen ergoß sich über ihn. Pepi ließ sich ruhig in einen Fauteuil fallen, zog Yvonne auf seine Knie, zwickte die neben ihm sitzende Lona in die nackten Waden und sagte, nachdem er sich eine Zigarette hatte in den Mund stecken lassen:
»Kinder, da kann man halt nichts machen, als auch auswandern!«
»Ja, woher wirst an' Auslandspaß kriegen und wer laßt dich denn hinein?«, entgegnete die kluge goldblonde Carola.
»Sehr einfach«, lachte Pepi. »Morgen geh' ich aufs Rathaus, werde konfessionslos, übermorgen geh' ich zur israelitischen Kultusgemeinde, erkläre mich solidarisch mit dem mißhandelten Judentum und werde Israelit. Hoffentlich ohne Operation. Dann heiraten wir, bekommen unser Ablösegeld vom Staat und können nach den Bestimmungen des Völkerbundes uns anderswo ansiedeln. Wir gehen nach Paris oder nach Brüssel oder sonst wohin, wo was los ist.«
Yvonne lachte unter Tränen. »Geh', was soll ich denn in Paris als verheiratete Frau machen?«
»Tschapperl! Braucht ja niemand zu erfahren, daß wir verheiratet sind! Nimmst dir eine Wohnung, suchst einen Freund, der dich ordentlich aushält und ich bin so wie jetzt fürs Herz da!«
In den nächsten Tagen wußten die liberalen Blätter zu berichten, daß hunderte von wackeren christlichen Jünglingen, empört über das den Juden angetane Unrecht, demonstrativ ihren Uebertritt zum Judentum beschlossen hätten, um das Schicksal dieses schwer geprüften Volkes zu teilen.
Der Bundeskanzler, der auch Minister für auswärtige Angelegenheiten war und seine Wohnung im Auswärtigen Amte hatte, stand an einem milden Septembertag an der offenen Balkontüre und sah über die Straße hinweg auf das Getriebe des Volksgartens. Aber dieses Treiben schien ihm weniger lebhaft zu sein als in den vergangenen Jahren, die weißlackierten Kinderwägelchen rollten nur vereinzelt durch die Alleen, die Sesselreihen und Bänke waren trotz des warmen Wetters nur spärlich besetzt.
Es klopfte, der Kanzler rief scharf: »Herein!« und stand nun seinem Präsidialchef, dem Doktor Fronz, gegenüber.
Schwertfeger war Ende Juni, kurz nach der Annahme des Ausweisungsgesetzes, nach Tirol gefahren, um seine unter der Last der Verantwortung und Arbeit fast zusammengebrochenen Nerven zu erholen. In einem Dorf am Arlberg blieb er mehr als zwei Monate inkognito, niemand außer seinem Präsidialchef kannte seinen Aufenthalt, er ließ sich weder Briefe noch Akten nachschicken, kümmerte sich nicht um die Zeitereignisse, und nur von ganz eminent wichtigen Vorfällen durfte ihm Fronz schriftlich Mitteilung machen. Tatsächlich war ja für alles vorgesorgt, der Wiener Polizeipräsident wie die Bezirkshauptleute hatten ihre genauen Instruktionen, das Parlament war bis zum Herbst vertagt, also fühlte sich Doktor Schwertfeger entbehrlich, ja er hielt es für seine Pflicht, neue Kräfte zu sammeln, um der kommenden Arbeit frisch und stark gegenübertreten zu können. Heute vormittag war er nach Wien zurückgekehrt und nun mußte ihm Fronz gründlich referieren. Nachdem verschiedene Personalangelegenheiten erledigt waren, ließ sich Schwertfeger schwer und wuchtig vor seinem Schreibtisch nieder, nahm Papier und Feder, um sich stenographische Notizen zu machen und sagte äußerlich ruhig und kalt, während vor Spannung jeder Nerv in ihm vibrierte:
»Nun, lieber Freund, berichten Sie mir über den bisherigen Vollzug des neuen Gesetzes und seine sichtbaren Folgen. Wie ist unsere Finanzlage? Sie