Man hatte nur auf unsere Pferde geschossen; man wollte uns also lebendig gefangen nehmen. Infolgedessen ließ ich den Stutzen hangen und griff zur schweren Büchse.
»Wurm, jetzt hab ich dich!« rief der Scheik. »Du entkommst mir nicht wieder!«
Er holte mit der Keule aus, aber in demselben Augenblick sprang Dojan an ihm empor und faßte mit seinen Zähnen den Oberschenkel des Feindes. Dieser stieß einen Laut des Schmerzes aus, und der Hieb, welcher mir gegolten hatte, traf den Kopf meines Pferdes. Es wieherte laut auf, schnellte sich mit allen vieren in die Luft und ließ mir also Zeit, dem Bebbeh einen Kolbenschlag auf die Schulter zu versetzen – dann stürmte es davon, vor Schmerz keiner Führung mehr gehorchend.
»Dojan!« rief ich noch laut hinter mich, denn den braven Hund wollte ich nicht verlieren; dann streckten sich mir viele Lanzenspitzen entgegen; ich schlug sie mit der Büchse von mir ab, mehr wußte ich nicht; aber den Ritt, welcher nun kam, will ich mein Leben lang nicht vergessen. Kein Graben war zu tief, kein Stein zu hoch, kein Riß zu breit, kein Felsen zu glatt und kein Sumpf zu trügerisch – alles, alles, Bäume, Büsche, Felsen, Berg und Tal flogen an mir vorüber, bis ich nur nach und nach wieder die Herrschaft über das rasende Tier gewann. Dann befand ich mich allein in einer wilden, unbekannten Gegend; aber die Richtung hatte ich mir gemerkt, aus welcher ich gekommen war, und grad vor mir lag jener hohe Berg, von dem wir kurz vorher gesprochen hatten.
Was war zu tun? Den Gefährten beispringen? Das war nicht mehr möglich, sondern es stand vielmehr zu erwarten, daß die Bebbeh auch mich verfolgen würden. Aber wie kamen diese Kurden so tief zwischen die Berge herein? Wie hatten sie erfahren, daß wir diesen Weg einschlagen würden? Das war mir ein Rätsel.
Augenblicklich konnte ich für meine Kameraden nicht das Mindeste tun. Sie waren entweder tot oder gefangen. Vor allem mußte ich mich versteckt halten und erst morgen sehen, was auf dem Kampfplatze zu entdecken sei. Dann erst konnte ich etwas für sie tun.
Zunächst untersuchte ich den Kopf meines Pferdes. Es war eine tüchtige Beule aufgelaufen. Ich führte den Hengst an ein nahes Wasser, wo er sich niederlegen mußte. Hier machte ich ihm Umschläge mit derselben Sorgfalt, mit welcher eine Mutter für ihr Kind bedacht wäre. Darüber war wohl eine Viertelstunde vergangen, als ich von ferne her ein Geräusch vernahm. Es war ein Aechzen und Schnauben, als wenn jemand den Atem verlieren will – im nächsten Augenblick kam es dahergesaust, stieß ein lautes Freudengeheul aus und sprang mit solcher Gewalt auf mich ein, daß ich in das Gras stürzte.
»Dojan!«
Der Hund heulte und winselte – seine Freude war nicht zu bändigen. Er sprang einmal auf mich und das andere Mal wieder auf das Pferd ein; ich mußte ihn gewähren lassen, bis er sich allmählich von selbst beruhigte. Auch er war ohne alle Verletzung davongekommen.
Das kluge Tier schien sehr bald zu merken, weshalb ich mich um das Pferd bemühte; denn nachdem Dojan mir eine Weile zugesehen hatte, richtete er sich empor und begann die betroffene Stelle an dem Kopfe seines Freundes sehr sorgsam zu belecken. Rih litt es ruhig und stieß sogar von Zeit zu Zeit ein freundliches Schnauben aus.
So lagen wir noch eine lange Zeit, bis ich es für geraten hielt, diesen Ort zu verlassen. Es war jedenfalls das beste, den Fuß jenes Berges aufzusuchen, von dem der Köhler gesprochen hatte. Ich setzte mich also wieder auf und ritt diesem nahen Ziele entgegen.
Die Seiten des Berges waren mit dichtem Walde bedeckt, und nur tief unten im Tale, durch das uns jedenfalls unser Weg geführt hätte, war Raum zur freien Bewegung vorhanden. Dort erblickte ich eine weit vorstehende Waldesecke, von der aus man jeden Ankommenden bemerken konnte; ich hielt auf sie zu. Als ich sie erreichte, stieg ich ab, zunächst besorgt, für das Pferd ein sicheres Versteck zu suchen. Kaum aber war ich einige Schritte in den Forst eingedrungen, so gab mir Dojan das bekannte Zeichen, daß er etwas Auffälliges wittere. Die Sache war mir zu bedenklich, als daß ich ihn sich selbst überlassen mochte. Ich nahm ihn also an die Leine, band das Pferd an einen Baum und folgte ihm, mit dem schußfertigen Stutzen in der Hand.
Ich schritt dem Hunde zu langsam vorwärts. Er zog so stark an der Schnur, daß sie zu zerreißen drohte; dann gab er zwischen zwei hohen Pinien Laut. Dort standen mehrere Farrn beieinander, und als ich die Wedel derselben mit dem Stutzen auseinander stieß, gewahrte ich, daß ein Loch, das zwei Fuß im Durchmesser haben mochte, hier schräg in die Erde führte.
War ein Tier darin? Wohl nicht. Aber als ich mit dem Stutzen hineinstieß, fühlte ich doch, daß irgend ein Körper darin vorhanden sei, und dieser konnte nichts Feindliches sein, wie ich an dem Gebaren des Hundes bemerkte. Ich bedeutete ihm, hineinzugehen; aber er tat es nicht, sondern wedelte mit dem Schwanze und warf einen freundlichen, erwartungsvollen Blick in das Loch.
Da entschloß ich mich, hineinzugreifen. Ich tat es und erfaßte – einen stark behaarten, zottigen Kopf. Ah, nun war das Rätsel gelöst! Es war der Hund des Köhlers, welcher da drinnen stak. Das Tier war entflohen, als es die Schüsse hörte, und von seiner Angst zufällig hierher geführt worden.
»Eisa!« rief ich.
Ich hatte nämlich beobachtet, daß der Köhler seinen Hund bei diesem Namen rief. Es blieb still in dem Loch; aber als ich den Ruf wiederholte, begann es sich zu regen. Ich schob die Farrnwedel beiseite, und was erblickte ich? Zunächst vernahm ich ein sehr vergnügtes Brummen im großen C oder Kontra-A; dann erschien ein wirres Haargestrüpp, zwischen dem nur eine breite Nase und zwei Aeuglein zu erkennen waren; hierauf kamen zwei Hände, die mit breiten Krallen versehen waren, und sodann ein zerlöcherter Sack, zwei schmierige Lederfutterale, parallel miteinander, und endlich an jedem der Futterale einer der bekannten Koloß-von-Rhodus-Stiefel – Allo stand vor mir, wie er leibte und lebte.
Es war ein freudiger Schreck, der mich bei seinem Anblick ergriff; denn wenn dieser Mann sich gerettet hatte, so konnte es auch den andern gelungen sein, zu entkommen.
»Allo, du hier?« rief ich.
»Ja,« antwortete er ebenso einfach wie richtig.
»Wo ist dein Hund?«
»Zertreten, Chodih!« sagte er mit einem starken Anflug von Trauer in seinem Tone.
»Wie bist du entkommen?«
»Als alle hinter dir herritten, sah niemand auf uns, und ich sprang in die Büsche. Ich kam dann hierher, weil ich dir gesagt hatte, daß wir hier vorüber müßten. Ich dachte, daß du kommen würdest, wenn die Bebbeh dich nicht fänden.«
»Wer ist noch entkommen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wir müssen hier warten, ob sich noch einer zu uns finden wird. Suche mir ein Versteck für mein Pferd.«
»Ich weiß ein sehr gutes, Chodih.«
»Ah! Du bist hier bereits bekannt?«
»Ich habe auch hier schon Kohlen gebrannt. Folge mir mit dem Pferde!«
Er führte mich eine Strecke von vielleicht einer Viertelstunde aufwärts. Dort fand sich eine Felsenwand, die dicht und vollständig mit langen Brombeerranken bewachsen war. Er schob an einer Stelle die Ranken auseinander, und es war eine sehr beträchtliche, spaltenähnliche Vertiefung zu sehen, in der ein Pferd ganz gut Platz haben konnte.
»Hier wohnte ich,« erklärte er mir. »Binde das Pferd da drinnen an; ich werde ihm Futter schneiden.«
Es waren in der Spalte mehrere Hölzer eingeschlagen, die früher wohl als Tischbeine gedient haben mochten, obgleich dieser Tisch nach orientalischer Weise gewiß sehr niedrig gewesen war. An diese Tischbeine band ich das Pferd fest, so daß es das Versteck nicht ohne mein Wissen verlassen konnte. Draußen fand ich den Kurden beschäftigt, mit seinem Messer fettes Luftgras zu schneiden.
»Gehe hinab, Chodih,« bat er. »Es könnte unterdes jemand kommen. Ich folge nach, sobald ich fertig bin.«
Ich gehorchte seinem Rate und nahm in der Waldecke einen solchen Platz, daß ich alles sehen konnte, ohne selbst bemerkt zu werden. Nach einer Viertelstunde kam der Köhler.
»Ist das Pferd sicher?« fragte ich und setzte, als er bejahte, hinzu: »Hast du Hunger?«
Ein