Ingram reichte ihm die Hand. »Geh doch, Fremdling, tief bin ich verstrickt und meine Stunde ist gekommen, wo ich die Hohen fragen will, ob sie retten oder verderben.«
Der Sorbe ging unzufrieden hinaus, Ingram legte das Haupt auf den Tisch. »Seit der Fremde den Mühlstein unter dem Baume heraufscharrte, ist das Glück von mir gewichen und der Segen, den die Ahnen mir hinterlassen, hat seine Kraft verloren. Eine hat sich zornig von mir gewendet, ich aber will prüfen, ob ich noch die Kraft habe, sie durch meine Beschwörung zu gewinnen, oder ich will ihr Los teilen.«
Draußen klang der Tritt bewaffneter Männer. Ratiz trat ein, begleitet von einem Teil seiner Krieger. Ihm lagen die Augen noch tief im Kopf und heiser war seine Stimme, als er sprach: »Du kamst als ein eifriger Spieler. Den ersten Kampf bot ich, den zweiten bietest du. Fürwahr, hoch achtest du dich selbst, lieber mag ich das Weib und das Roß als dich, und ungern tue ich deinen Willen. Aber meine Krieger fordern, daß ich dein Spiel nicht zurückweise. Dein Einsatz gilt, Roß und Weib für dich oder du für mich, ein Würfel und ein Wurf.«
»Weib und Roß, beide unversehrt zur Stelle für mich, oder mein Lösegeld für dich, so wie mich deine Krieger ehrlich schatzen«, versetzte Ingram.
»Wir werden dich ehren als Krieger, wenn wir dich schatzen«, bestätigte der Häuptling. »Beide wollen wir‘s geloben.« Die Männer faßten an ihre Schwerter und sprachen den Eid. »Hast du einen Mann,« fuhr Ratiz fort, »dessen Würfel du vertrauen kannst, wie ich ihm vertraue, so nenne den Namen.«
»Mein Wirt Miros«, antwortete Ingram.
Miros trat in eine Ecke der Hütte, holte den Würfel aus dem Kasten und stellte ihn auf den Tisch, einen Holzbecher dazu. »Ehrlich ist der Würfel und ehrlich sei das Spiel,« sagte Miros, »und jeder, der hier steht, gelobe dem Sieger treue Erfüllung.«
Die Männer schwuren, die Kämpfer traten beiseite und sprachen leise ihre Beschwörung. »Der das Spiel gefordert hat, tue den ersten Wurf«, gebot Miros. Er legte den Würfel in den Becher und bot ihn Ingram. Das Angesicht des Thürings war bleich und ebenso das des Ratiz, Stille war in der Hütte und alle starrten auf den Tisch. Ingram schüttelte und warf. »Fünf«, rief Miros. »Ein guter Wurf,« sprach Ratiz, er nahm den Becher, schüttelte und warf. »Sechs«, rief Miros. Ein gellender Siegesruf, der weit über das Tal zog, erscholl in der Hütte, alle traten von Ingram zurück. Er stand einen Augenblick mit geneigtem Haupte, dann löste er sein Schwert und warf es auf den Boden. Ratiz legte die Hand auf ihn: »Mein Knecht bist du, holt die Weide und bindet ihm die Hände.«
Vor der Hütte des Ratiz, in welcher Walburg lag, saß der Mönch. Vor ihm tummelten sich wilde Gesellen mit den Rossen, die sie aus den Ställen gezogen hatten, und ansehnliche Sorbenkrieger eilten einzeln oder in kleinen Haufen zu der Halle des Häuptlings. Aber gleichgültig sah der Mönch auf dies fremdartige Kriegertreiben; er hatte die Nacht vor der Hütte gewacht, zuweilen war er eingetreten und hatte die Slawenfrau geweckt, welche neben dem Lager der Verwundeten lag, daß sie die Wunde mit kaltem Wasser netze, oder er hatte der Fiebernden einen Trunk gereicht und leise an ihrem Haupt gebetet. Jetzt schauerte sein erschöpfter Leib in der warmen Morgensonne, aber seine Gedanken flogen unablässig zu dem Christenmädchen in der Hütte. Zum erstenmal in seinem Leben hatte er um ein Weib zu sorgen, er fühlte darüber eine wonnige Freude, lächelte vor sich hin und sah dann wieder ernsthaft und demütig nach der Höhe.
In der Nähe hörte er Eisengeklirr und schnellen Tritt, Ratiz stand mit seinem Gefolge vor ihm in Waffen, zum Auszug gerüstet, unter den Kriegern Ingram, waffenlos mit gesenktem Haupt, die Arme durch starke Weiden auf den Rücken gebunden. Ratiz wies auf die Sonne. »Weit ist dein Weg, junger Bote, und widerwärtig ist dein Anblick meinem Volke. Das Spiel, welches in meiner Halle begann, ist beendigt. Sieg und Ruhm haben mir die Götter verliehen. Dennoch will ich dir halten, was ich dir gestern bot, wenn du deinem Bischof mich rühmen willst. Gib mir das Silber und nimm die Gefangenen.«
»Willst du jetzt die Antwort des Bischofs auf deine Frage hören?«
»Sprich,« antwortete Ratiz, »ich und meine Edlen, wir hören.«
»Du begehrst Gesandte an den Hof des Helden Karl nach dem Westland zu senden, und du begehrst, daß mein Herr, der Bischof, ihnen Geleit werbe und geziemenden Empfang bei dem Frankenherrn. Habe ich recht deine Meinung gesagt, so bestätige mir sie vor diesen.«
»Seine eigene Sorge hat jeder Tag,« versetzte der Sorbe, »viele Monde ist‘s her, daß ich nicht an die Gesandtschaft dachte, meine Krieger fürchten nicht die Macht der Franken, wo sind ihre Heere, wir sehen sie nicht.«
»Hast du deinen Sinn geändert, dann bin ich der Rede enthoben.« Er trat zur Seite, Ratiz aber begann einlenkend: »Auf scharfer Wage wägst du die Worte, Fremder, noch ist es möglich, daß mir‘s gefällt die Boten zu entsenden, vielleicht auch nicht.«
Gottfried schwieg.
»Will der Mann, den sie Winfried nennen, mir Bürge werden, daß meine Krieger am Hofe des Frankenherrn freundlichen Empfang finden und Gewähr ihrer Forderung?«
»Nein«, versetzte Gottfried nachdrücklich. »Deine Forderung kennt mein Herr nicht, wie kann er Fürsprech werden? Zu gewähren und zu versagen steht allein bei Herrn Karl, nur daß deine Boten das Ohr des Fürsten erreichen, dazu kann er helfen, und ob er dazu helfen wird, das steht bei dir. Auf seinem Wege sah er brennende Höfe und erschlagene Christen.«
»Du bist ein Fremder und unkundig des Grenzbrauches,« versetzte der Sorbe mit querem Blick, »nur Notwehr üben wir und Vergeltung. Auch unsere Krieger liegen erschlagen und unerträglich sind die Frevel der Franken.«
»Du klagst über Unrecht der Franken, ebenso der Franke über das eure, der große Gott im Himmel allein weiß, wer den größeren Frevel gewagt hat. Jetzt aber suchst du das Ohr des Frankenherrn. Wie mag Herr Karl anders urteilen als sein Volk? Und du suchst die gute Meinung eines Bischofs der Christen, auch der Christ sieht das Unrecht, das den Bekennern seines Glaubens zugefügt ist. Ich kann nicht gehen, Herr, ohne das Weib in der Hütte und ohne meinen Gefährten, den ich schwertlos und gebunden sehe.«
»Er war dein Gefährte, jetzt ist er mein eigener Knecht. Sein Wille war‘s, verspielt hat der Narr sein Roß und sein Schwert, und in Banden harrt er des Schicksals, das wir ihm fügen.«
Ein leiser Seufzer Ingrams wurde gehört, zitternd schwand der Ton in der Morgenluft, aber aus der Hütte klang ein lauter Schrei der Frau. Ratiz herrschte den Gebundenen an: »Rede, Knecht, damit der Mann, der dich gesandt hat, nicht deinetwegen von unserem Vertrag weiche.« Ingram wandte sich ab, aber er senkte bestätigend das Haupt.
»Die Sorge für ihn und das Weib ist mir auf die Seele gelegt,« rief Gottfried, »wie soll ich vor das Antlitz dessen treten, der mich zu dir gesandt hat, wenn ich sie nicht mitbringe?«
»Habe ich nicht schon vorher einen Mann deines Bischofs ohne Losung entlassen?« rief Ratiz zornig dagegen, »und auch du stehst noch unverletzt vor mir. Weißt du nicht, du Tor, wenn ich meine Hand aufhebe, so springen meine Krieger auf dich und schälen mit ihren Messern dein geschorenes Haupt.«
»Mein Schicksal steht nicht in deiner Hand, sondern in der Hand meines Gottes«, versetzte Gottfried mutig. »Tue was du darfst, binde mich, töte mich, wenn dein wilder Sinn dich dazu treibt, aber freiwillig verlasse ich diese Höhe nicht ohne die Gebundenen.«
Ratiz stieß einen Fluch aus und stampfte mit dem Fuß. »So lasse ich dich durch meine Krieger an den Grenzzaun führen und hinüberwerfen, du hartnäckiger Tor.«
»Laß sie frei und behalte mich zurück als Knecht oder als Opfer, wie du willst.«
»Unsinnig wäre der Tausch, ein junges Weib und einen Krieger gegen dich, der nicht Mann und nicht Weib ist.«
Gottfried erblich, aber in strenger Zucht gewöhnt sich zu bezwingen, antwortete er: »Verachtest du den Boten, so höre um deiner selbst willen die Botschaft. Mit einem Volksheer zieht der siegreiche Frankenfürst gegen seine