Die Mutter rief jetzt zum Essen. Auf der Decke standen zwei Schalen mit dem Habermus, eine größere für den Vater und die beiden Buben, eine kleinere für die Mutter und das Gössel. Die gesamte Abendmilch war auf die beiden Schalen verteilt. Die arme Buntscheck gab in diesen Wandertagen nicht viel her! — Der Vater verzichtete auch heute abend auf seine Milch: sie habe Beigeschmack, und er trinke lieber Wasser zum Mus. Als aber auch der Ole sich über den Geschmack der Milch zu beschweren begann und lieber Wasser haben wollte, da hieß ihn der Vater gefälligst den Schluck Milch hinuntertrinken. — Mehr als die Milch und die beiden Schüsseln Mus bescherte der Abendbrottisch nicht.
Plötzlich gerieten der Ole und der Große-Hans sich in die Haare; der eine warf dem andern vor, er esse zu weit da hinein, wo das Mus schon kalt geworden. Der Vater hörte erheitert zu. Dann stellte er Frieden her, indem er mit seinem Löffel drei Linien über die Musoberfläche zog.
»Schaut her, ihr Buben! Dies ist dein Landstück, Großer-Hans; nimm es in Besitz und gib dich damit zufrieden! Der Ole muß einen Morgen Land mehr haben, weil er größer ist als du. Und nun stopft euch die Mäuler!« Der Per Hansen selbst bekam an dem Abend das kleinste Mus-Areal.
Im übrigen wurde bei Tisch nicht gesprochen. Auf ihnen allen lastete etwas, und sie vermochten es nicht abzuschütteln.
Als der Vater gegessen, leckte er den Löffel gründlich ab, wischte ihn am Hemdärmel trocken und warf ihn auf das Tischtuch. Die Buben machten‘s ihm nach; nur das Gössel wollte seinen Löffel in sein Röcklein einwickeln und ihn bis morgen früh da aufheben.
Jetzt waren sie fertig. Und das Kleinste sagte mit feinem Stimmchen das Tischgebet her: »Hab Dank, o Gott im Himmelreich, der du uns geschaffen hast ... — Und jetzt lege ich mich zu dir!« erklärte sie, kaum daß sie das Amen vorgebracht, kletterte in den Schoß der Mutter und hing sich ihr an den Hals.
Die Mutter drückte das Kind an sich. — »Huff, wie schnell es hier finster wird!« entfiel es ihr.
»O ja,« meinte Per Hansen trocken und wiegte den Oberkörper, »desto schneller wird es wohl morgen früh wieder hell!«
Und jetzt braute sich weit weit weg, dort hinten, wo sie hergekommen waren, etwas zusammen. Das Himmelsgewölbe wurde vom Rande her in trollhafte Helle getaucht, — mattgelb, grünspanfarben, mit einem Fünkchen Rot darin. Die Helle verbreiterte sich nach oben, wurde farbenfrischer, gewaltiger, — noch zauberischer kupfergrün.
Sie schauten stumm zu.
Das Gössel vermochte zuerst die Zunge wieder zu rühren, und am Halse der Mutter hängend, rief es: »Nein, schaut die Sonne! — — Da ist ja die Sonne!«
Ernst erhob sich über der Einöde der Mond. Schon mehrere Abende war er so früh aufgegangen, und doch erschien ihnen der Anblick jedesmal gleich neu und gewaltig. Wie am Abend zuvor irgendwo weiter östlich auf der Prärie sahen sie ihn langsam über dem Himmelsrand aufsteigen. Die Silberstreifen verstärkten sich, das erste mattgrüne Kupferlicht fing an zu zittern, wechselte in grünblaue, gelbgrüne Nebel hinein.
Das Gössel war ganz überzeugt, daß der Mond heute abend noch viel größer sei. Das war sie auch gestern schon gewesen; trotzdem versuchte der Große-Hans sich noch einmal mit der Erklärung, daß der Mond doch wohl ebensogut wachsen dürfe, wie sie selbst! Das fand sie auch recht und billig und wollte nur noch von der Mutter wissen, ob denn auch der liebe Mond jeden Abend Mus und Milch bekomme wie sie.
Der Per Hansen hatte derweil, auf der Wagenstange sitzend, seine Pfeife geraucht. Jetzt stand er auf, klopfte die Asche aus, steckte die Pfeife in die Tasche, sah auf die Uhr und kommandierte alle Mann in die Kojen.
Gleich darauf streckten sie sich unter die Decken und sahen in das grünblaue Licht,
Als die Mutter glaubte, daß die Kinder schliefen, sagte sie sorgenvoll: »Glaubst du, daß wir sie wieder auffinden?«
Der Per Hansen antwortete so sonderbar gedehnt: »Das meine ich wohl. Wenn sie nicht geradeswegs in die Erde gesunken sind!« Und dann gähnte er lange und nachdrücklich, als sei er entsetzlich schläfrig, und legte sich auf die andre Seite.
Da sagte auch sie nichts mehr.
IV
Aber der Per Hansen war. in jener Nacht keineswegs schläfrig. Er lag völlig wach und sah in die Ferne. Trotz der nächtlichen Kühle schwitzte er bei den Gedanken, die sich ihm jetzt unwiderstehlich aufdrängten.
Und er hatte dazu allen Grund! Denn wie war das doch alles gekommen? — Übrigens war ihm nicht bloß heute abend so; es war ihm schon den ganzen Tag so gegangen und gestern abend und vorher auch, — er wurde gar nicht mehr damit fertig. Und jetzt überfielen sie ihn wieder mit neuer Gewalt, alle die Besorgnisse und Einwände der Frau, bevor sie sich auf diese Fahrt begeben hatten, die ausgesprochenen sowohl wie auch die, die keine Worte gefunden. Und gerade die letzten wurden, während sie hier im Ungewissen herumtappten, mit jedem Tage schlimmer. — Dumm war sie keineswegs, die Frau, — und um die Wahrheit zu sagen, so hatte sie reichlich soviel Witz wie andere Leut!
Nein, es war ihm nicht leicht ums Herz, dem Per Hansen! Aber das war‘s ihm in keiner Nacht gewesen, seit er neulich nachmittags diesseits Jackson das Pech gehabt; da hatte sich der größere Wagen in einem Moorloch festgefahren und war beim Herausziehen so rettungslos kaputt gewesen, daß er wieder nach Jackson zurückgemußt, um Reparaturwerkzeug zu holen. Damals war es ihm überflüssig und sinnlos vorgekommen, daß der ganze Auswandererzug volle vier Tage auf ihn warten solle, und er hatte nichts davon hören wollen; denn sie hätten bis zum Winter noch den Erdhüttenbau vor sich und müßten auch Neuland umbrechen, wollten sie dies Jahr noch Saat in die Erde bringen, — nein, keineswegs sollten sie auf ihn warten, — er wisse sich schon zu helfen! Und er hatte sich genau über Weg und Kurs und Rastplätze unterrichten lassen. Alles war ihm so überaus einfach erschienen, — damals. Und da waren die andern halt ihres Weges gezogen, sowohl Tönset‘n, der landeskundig war, wie auch der Hans Olsen und die beiden Solumbuben. Die hatten Pferde und brauchbare Wagen, die kamen schnell vorwärts, die Kerle!
Hätte er doch auf den Hans Olsen, seinen alten Lofot-Gefährten, gehört, der durchaus hatte warten wollen! Aber — er hatte es also an jenem Tage nicht gekonnt.
Und neulich, da hatte er sich also verirrt; Nebel und Regenschauer bis weit in den Nachmittag hinein; er hatte nicht mehr gewußt, wo er tappte und taumelte. Da war er darauf verfallen, möglichst weit vorauszumarschieren, — um den Fragen der andern, die er doch nicht beantworten konnte, zu entgehen! —
Nur eines wußte er sicher: er hatte die Spur nicht; denn sonst hätte er doch irgendeinen verlassenen Lagerplatz finden müssen! — Und jetzt galt es bald das Leben, sie wieder aufzufinden. — Bis zum Stillen Ozean war es gewiß noch weit! Und bis dahin hielt der Wagen nimmer. — Wahrhaftig: es galt das Leben. Kaum noch Vorrat war in den Wagen. — Dem Per Hansen entrang sich ein schwerer Seufzer, den er nicht mehr rechtzeitig zu unterdrücken vermochte.
Ach ja, für den Hans Olsen war alles nicht so schlimm! Der war wohlhabend und hatte die Mittel, gleich im großen anzufangen, — hatte ein Weib, das keine Furcht kannte! — — Der Herrgott mochte wissen, ob die Fahrtgenossen sich jetzt östlich oder westlich von ihm befanden! — Und Tönset‘n mit seiner Kjersti, die beide in Amerika groß geworden, die Sprache und alles kannten, waren mit bei denen. Und die Solumbuben, die sogar hier geboren waren. — Ja, denen konnt‘s freilich einerlei sein, wo sie heute nacht lagerten!
Aber er, der Neuankömmling, der nichts hatte und nichts kannte und mit den Seinen in dieser Grenzenlosigkeit umhertaperte! — — Die Beret hatte auch gar so wenig Lust zu dieser Fahrt gehabt, und sie war doch in mancher Hinsicht verständiger als er.
Wahrlich — er hatte sich bequem gebettet!
War ihm auch ganz unbegreiflich, warum er nicht die kurze Spanne Zeit