»Hatte er Besuch, als Ihr bei ihm waret?«
»Den hatte er. Es waren Männer, welche bei ihm saßen, ein junger und ein älterer.«
»Wurden ihre Namen genannt?« warf ich gespannt ein.
»Ja. Wir saßen fast eine Stunde lang beisammen, und während einer solchen Zeit bekommt man schon die Namen derjenigen, mit denen man redet, zu hören. Der jüngere hieß Ohlert, und der ältere wurde Sennor Gavilano genannt. Dieser letztere schien ein Bekannter von Cortesio zu sein, denn sie sprachen davon, daß sie sich vor mehreren Jahren in der Hauptstadt Mexiko getroffen hätten.«
»Gavilano? Kenne den Mann nicht. Sollte Gibson sich jetzt so nennen?«
Diese Frage war an mich gerichtet. Ich zog die Photographien hervor und zeigte sie dem Schmiede. Er erkannte die beiden sofort und bestätigte:
»Das sind sie, Sir. Dieser hier mit dem hagern, gelben Kreolengesichte ist Sennor Gavilano; der andere ist Master Ohlert, welcher mich in eine nicht geringe Verlegenheit brachte. Er fragte mich immerfort nach Gentlemen, die ich in meinem Leben noch nicht gesehen hatte, so z. B. nach einem Nigger, Namens Othello, nach einer jungen Miß aus Orleans, Johanna mit Namen, welche erst Schafe weidete und dann mit dem König in den Krieg zog, nach einem gewissen Master Fridolin, welcher einen Gang nach dem Eisenhammer gemacht haben soll, nach einer unglücklichen Lady Maria Stuart, der sie in England den Kopf abgeschlagen haben, nach einer Glocke, die ein Lied von Schiller gesungen haben soll, auch nach einem sehr poetischen Sir, Namens Ludwig Uhland, welcher zwei Sänger verflucht hat, wofür ihm irgend eine Königin die Rose von ihrer Brust herunterwarf. Er freute sich, einen Deutschen in mir zu finden, und brachte eine Menge Namen, Gedichte und Theaterhistorien zum Vorscheine, von denen ich mir nur das gemerkt habe, was ich soeben sagte. Das ging mir alles wie ein Mühlenrad im Kopf herum. Dieser Master Ohlert schien ein ganz braver und ungefährlicher Mensch zu sein, aber ich möchte wetten, daß er einen kleinen Klapps hatte. Und endlich zog er ein Blatt mit einer Reimerei hervor, welche er mir vorlas. Es war da die Rede von einer schrecklichen Nacht, welche zweimal hintereinander einen Morgen, aber das drittemal keinen Morgen hatte. Es kamen da vor das Regenwetter, die Sterne, der Nebel, die Ewigkeit, das Blut in den Adern, ein Geist, der nach Erlösung brüllt, ein Teufel im Gehirn und einige Dutzend Schlangen in der Seele, kurz, lauter konfuses Zeug, was gar nicht möglich ist und auch gar nicht zusammenpaßt. Ich wußte wirklich nicht, ob ich lachen oder ob ich weinen sollte.«
Es war kein Zweifel vorhanden, er hatte mit William Ohlert gesprochen. Sein Begleiter Gibson hatte jetzt zum zweitenmale seinen Namen geändert. Wahrscheinlich war der Name Gibson auch nur ein angenommener. Daß der Ver- und Entführer einen gelben Kreolenteint hatte, wußte ich auch, denn ich hatte ihn ja gesehen. Vielleicht stammte er wirklich aus Mexiko und hieß ursprünglich Gavilano, unter welchem Namen ihn Sennor Cortesio kennen gelernt hatte. Gavilano heißt zu deutsch Sperber, eine Bezeichnung, welche dem Mann freilich alle Ehre machte. Vor allen Dingen lag mir daran, zu erfahren, welches Vorwandes er sich bediente, William so mit sich herumzuführen. Dieser Vorwand mußte für den Geisteskranken ein sehr verlockender sein und mit dessen fixer Idee, eine Tragödie über einen wahnsinnigen Dichter schreiben zu müssen, in naher Verbindung stehen. Vielleicht hatte Ohlert sich auch darüber gegen den Schmied ausgesprochen. Darum fragte ich den letzteren:
»Welcher Sprache bediente sich dieser junge Mann während des Gespräches mit Euch?«
»Er redete Deutsch und sprach sehr viel von einem Trauerspiel, das er schreiben wollte, es sei aber nötig, daß er alles das, was in jenem enthalten sein solle, auch selbst vorher erlebe.«
»Das ist ja gar nicht zu glauben!«
»Nicht? Da bin ich ganz anderer Meinung, Sir! Die Verrücktheit besteht ja grad darin, Dinge zu unternehmen, die einem vernünftigen Menschen gar nicht in den Sinn kommen. Jedes dritte Wort war eine Sennorita Felisa Perilla, die er mit Hilfe seines Freundes entführen müsse.«
»Das ist ja wirklich Wahnsinn, der reine Wahnsinn! Wenn dieser Mann die Gestalten und Begebenheiten seines Trauerspiels in die Wirklichkeit überträgt, so muß man das unbedingt zu verhindern suchen. Hoffentlich ist er noch hier in La Grange?«
»Nein. Er ist fort, gestern abgereist. Er ist eben mit Sennor Cortesio nach Hopkins Farm, um von da nach dem Rio grande zu gehen.«
»Das ist unangenehm, höchst unangenehm! Wir müssen schleunigst nach, womöglich noch heute. Wißt Ihr vielleicht, ob man hier zwei gute Pferde zu kaufen bekommen kann?«
»Ja, eben bei Sennor Cortesio. Er hat immer Tiere, jedenfalls, um sie den Leuten abzulassen, welche er für Juarez anwirbt. Aber von einem nächtlichen Ritte möchte ich Euch doch abraten. Ihr kennt den Weg nicht und bedürft also eines Führers, den Ihr für heute wahrscheinlich nicht mehr bekommen werdet.«
»Vielleicht doch. Wir werden alles versuchen, heute noch fortkommen zu können. Vor allen Dingen müssen wir mit Cortesio sprechen. Es ist zehn Uhr vorüber, und da er um diese Zeit zu Hause sein wollte, so möchte ich Euch bitten, uns jetzt seine Wohnung zu zeigen.«
»Gern. Brechen wir also auf, wenn es Euch beliebt, Sir!«
Als wir aufstanden, um zu gehen, hörten wir Hufschlag vor dem Hause und einige Augenblicke später traten neue Gäste in die vordere Stube. Zu meinem Erstaunen und nicht mit dem Gefühle der Beruhigung erkannte ich diese Leute, neun oder zehn der Sezessionisten, welchen der Kapitän heute so schöne Gelegenheit gegeben hatte, sich an das Ufer zu retten. Sie schienen mehreren der anwesenden Gäste bekannt zu sein, denn sie wurden von denselben lebhaft begrüßt. Wir hörten aus den hin und her fliegenden Fragen und Antworten, daß sie erwartet worden waren. Sie wurden zunächst so in Beschlag genommen, daß sie keine Zeit fanden, auf uns zu achten. Das war uns auch sehr lieb, denn es konnte keineswegs unser Wunsch sein, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Darum setzten wir uns einstweilen wieder nieder. Wären wir jetzt gegangen, so hätten wir an ihnen vorüber gemußt, und diese Gelegenheit hätten sie ganz sicher benutzt, mit uns anzubinden. Als Lange hörte, wer sie waren, stieß er die Verbindungstüre so weit zu, daß sie uns nicht sehen, wir aber alles hören konnten, was gesprochen wurde. Außerdem tauschten er und die Andern mit uns die Plätze, so daß wir mit dem Rücken nach der vorderen Stube saßen und die Gesichter von derselben abgewendet hatten.
»Es ist nicht notwendig, daß sie Euch sehen,« meinte der Schmied. »Denn schon früher herrschte eine für uns nicht eben günstige Stimmung da draußen, Bemerkten sie Euch, die sie für Spione halten und heute schon aufknüpfen wollten, so wäre der Krawall sofort fertig.«
»Das ist ganz gut,« antwortete Old Death. »Aber meint Ihr etwa, daß wir Lust haben, hier sitzen zu bleiben, bis sie sich entfernt haben? Dazu ist keine Zeit vorhanden, da wir unbedingt zu Cortesio müssen.«
»Das könnt Ihr, Sir! Wir gehen einen Weg, auf welchem sie uns nicht sehen.«
Old Death schaute sich in dem Zimmer um und sagte dann:
»Wo wäre das? Wir können ja nur durch die Vorderstube.«
»Nein. Da hinaus haben wir es viel bequemer.«
Er deutete nach dem Fenster.
»Ist das Euer Ernst?« fragte der Alte. »Ich glaube gar, Ihr fürchtet Euch! Sollen wir uns französisch empfehlen wie Mäuse, welche aus Angst vor der Katze in alle Löcher kriechen? Man würde uns schön auslachen.«
»Furcht kenne ich nicht. Aber es ist ein gutes, altes, deutsches Sprichwort, daß der Klügste nachgibt. Es genügt mir vollständig, mir selbst sagen zu können, daß ich es nicht aus Furcht, sondern nur aus Vorsicht tue. Ich will gar nicht erwähnen, daß da draußen eine zehnfach größere Zahl, als wir sind, sitzt. Die Vagabunden sind übermütig und ergrimmt. Sie werden uns nicht vorüberlassen, ohne uns zu belästigen, und da ich nicht der Mann bin, der dies duldet, und Euch auch nicht für Leute halte, die so etwas ruhig hinnehmen, so wird es eine bedeutende Keilerei geben. In einem Kampfe mit der Faust, mit Stößen oder mit abgebrochenen Stuhlbeinen scheue ich eine solche Übermacht nicht, denn ich