»Herrlich! Unvergleichlich! Wer ist sie? Unbekannt! Eine Venus! Nein, eine Diana! Vielmehr eine Minerva!«
So rief es rund im Kreis. Golzen, der Gardekürassier, drehte sich um, zeigte auf die Equipage und rief:
»Ravenow, diese hier!« – »Ah, einverstanden, ganz und gar einverstanden!« rief dieser in einem beinahe jubelnden Ton.
Dann zupfte er sich die Uniform zurecht, warf einen Blick in den Spiegel, nahm den Degen unter den Arm und eilte hinaus.
»Ein Glückspilz, auf Ehre!« schnarrte der lange Hauptmann, indem er ihm neidisch nachblickte. »Ich bin doch begierig, wie er es anfangen wird!« – »Pah, er wird ihnen per Droschke nachfahren, um zunächst ihre Adresse zu erfahren«, meinte einer der Herren.
Golzen lachte kühl und antwortete:
»Und dabei einen Tag versäumen. Nein, er wird Sorge tragen, mit ihnen bereits heute in ein Gespräch zu kommen.« – »Wie wird er dies anfangen?« – »Das laßt seine Sorge sein. Er hat in diesem Punkt Erfahrung genug, und um einen Araber zu retten, strengt man schon seine Erfindungsgabe an.« – »Ah, er nimmt wirklich eine Droschke und fährt ihnen nach. Wer doch dabeisein könnte!«
Ravenow hatte wirklich einen Fiaker genommen, der an der nahe liegenden Haltestation sehr leicht zu haben war, und gebot dem Kutscher, die Equipage, die von zwei Trakehnern gezogen wurde, zu verfolgen. Die zwei Fuhrwerke bogen nach dem Tiergarten ein, und es wurde ersichtlich, daß die Besitzerinnen der Equipage eine Spazierfahrt durch den letzteren beabsichtigten.
Als man eine sehr wenig belebte Allee erreichte, befahl der Leutnant dem Kutscher, die Equipage zu überholen, griff aber vorher in die Tasche, um ihn zu bezahlen. Als die Droschke an den Damen vorüberrollte, bog er sich seitwärts nach ihnen hin, machte ein sehr überraschtes Gesicht und grüßte in einer Weise, als ob er Bekannten begegne, winkte dem Kutscher der Equipage zu halten und sprang zu gleicher Zeit aus seinem Wagen, der sofort umlenkte und zurückkehrte. Die Equipage hielt.
»Weiter!« gebot er, und während sie sich wieder in Bewegung setzte, hatte er bereits den Schlag geöffnet und stieg ohne Umstände ein, um sich hier mit einem vor Freude strahlenden Gesicht auf den Sitz niederzulassen und ganz so zu tun, als ob er die erstaunten, ja indignierten Mienen der beiden Damen gar nicht bemerke. Dann streckte er dem Mädchen beide Hände entgegen und rief mit außerordentlich gut gespieltem Enthusiasmus:
»Paula, ist‘s möglich? Welch ein Zusammentreffen! Sie sind in Berlin? Warum haben Sie mir nicht vorher geschrieben?« – »Mein Herr, Sie scheinen uns zu verkennen!« sagte die ältere Dame mit einem sehr ernsten Gesicht.
Ravenow markierte eine Miene, die teils Überraschung ausdrückte, teils die Vermutung aussprach, daß man mit ihm scherzen wolle, und antwortete:
»Ah, gnädige Frau, Verzeihung! Wie es scheint, habe ich allerdings noch nicht die Ehre, von Ihnen gekannt zu sein, Paula jedoch wird diesen Umstand gern beseitigen.« Und sich zu der jungen Dame wendend, bat er: »Bitte, Fräulein, haben Sie die Güte, mich dieser Dame vorzustellen!«
Aus den tiefen, ernsten Augen des Mädchens fiel ein forschender, scharfer Blick auf ihn, und er hörte eine Stimme, goldig und wohltuend, wie der sympathische Klang eines Glöckchens:
»Dies ist mir unmöglich, denn ich kenne Sie nicht. Wer sind Sie?«
Da fuhr er mit dem Ausdruck der höchsten Befremdung zurück und sagte:
»Wie, Sie verleugnen mich, Paula? Womit habe ich das verdient? Ah, ich vergesse, daß Sie immer gern ein wenig zu scherzen belieben!«
Wieder traf ihn ein forschender Blick, aber finsterer als vorher, und als sie antwortete, sprach sich eine so stolze, hoheitsvolle Zurückweisung in dem Ton aus, daß er sich ganz überrascht fühlte.
»Ich scherze nie mit Personen, die ich nicht kenne oder nicht zu kennen wünsche, mein Herr. Ich hoffe, daß es nichts anderes ist, als eine mir allerdings fatale Ähnlichkeit, die Sie veranlaßt, unseren Wagen so ohne alle weiteren Umstände zu überfallen, und bitte Sie, sich zu legitimieren!«
Es gelang ihm sehr gut, die höchste Bestürzung zu forcieren, und mit ebenso gut simulierter Hastigkeit antwortete en
»Ah, wirklich? Mein Gott, sollte ich mich denn wirklich täuschen! Aber dann wäre ja diese Ähnlichkeit eine so frappante, wie ich sie nie und nimmermehr für möglich gehalten hätte. Doch das Rätsel muß sich ja gleich lösen.« Und mit einer doppelten Verbeugung gegen die beiden Damen fügte er hinzu: »Mein Name ist Hugo von Ravenow, Graf Hugo von Ravenow, Leutnant bei den Gardehusaren Seiner Majestät.« – »So bestätigt es sich, daß wir Sie nicht kennen«, sagte das Mädchen. »Mein Name ist Rosa Sternau, und diese Dame ist meine Großmama.« – »Rosa Sternau?« fragte er scheinbar ganz erschrocken. »Ist dies denn wirklich möglich? Sie sehen mich ganz und gar erschreckt, auf Ehre, meine Damen! Ich bin allerdings das Opfer einer ganz außerordentlichen, ganz unglaublichen Ähnlichkeit und ersuche Sie dringend, mir zu verzeihen!« – »Wenn es sich wirklich um eine solche Ähnlichkeit handelt, so müssen wir allerdings verzeihen«, entgegnete Rosa, aber in ihrem Ton sowohl, als auch in dem Blick ihres prächtigen Auges sprachen sich deutliche Zweifel aus. »Darf ich Sie um die Mitteilung ersuchen, wer meine Doppelgängerin ist?« – »Gewiß, gewiß, Fräulein Sternau! Es ist meine Cousine Marsfelden.« – »Marsfelden?« fragte Rosa, indem ein eigentümlicher Blick von ihr hinüber zu ihrer Großmutter glitt. »Marsfelden ist ein adliger Name. Wo befindet sich diese Cousine, die also Paula von Marsfelden heißt?«
Das Gesicht des Leutnants klärte sich auf. Er vermutete aus der an ihn gerichteten Frage, daß die Dame bereit sei, auf ein Gespräch mit ihm einzugehen, und dies war es ja gerade, was er beabsichtigt hatte. Er glaubte überhaupt, leichtes Spiel zu haben. Die Damen hießen einfach Sternau, waren also bürgerlich, und welches Mädchen aus diesem gewöhnlichen Stand wäre nicht ganz glücklich, einen Gardeleutnant kennenzulernen, der noch dazu ein Graf war. Er vermutete nicht im geringsten eine Verfänglichkeit in der Frage Rosas und antwortete darum höchst unbefangen:
»Ja, Paula von Marsfelden. Sie ist am Hof der Großherzogin von Hessen-Darmstadt. Da sie von der Großherzogin bevorzugt wird und immer in ihrer Nähe ist, wunderte ich mich außerordentlich, sie hier in Berlin zu sehen. Ich muß ihr wirklich heute gleich schreiben, daß es in unserer Residenz ein so schönes und bewundernswertes Ebenbild von ihr gibt«
Es lag ein höchst fatales, beleidigendes Lächeln um den kleinen Mund des Mädchens, als es jetzt antwortete:
»Ich ersuche Sie, sich diese Mühe zu ersparen!« – »Warum, mein Fräulein?« – »Weil ich selbst Fräulein von Marsfelden davon benachrichtigen werde.« – »Sie selbst? Aus welchem Grund?« – »Weil diese Dame meine Freundin ist. Ich teile Ihnen, allerdings fast überflüssigerweise, mit, daß auch ich die Ehre habe, von der Großherzogin bevorzugt zu werden, wie Sie sich auszudrücken beliebten.« – »Ah!«
Diese Silbe klang fast wie ein Ruf des Schrecks. Ravenow sah ein, daß er, wenn auch nicht das ganze Spiel, so doch den Hauptzug verloren geben müsse. Dieses bürgerliche Mädchen hatte Zutritt am großherzoglichen Hof? Dieses Mädchen kannte jene Dame, deren Namen er genannt hatte, nur weil ihm gerade kein anderer eingefallen war? Paula von Marsfelden war mit ihm nicht im geringsten verwandt, er hatte sie nur seine Cousine genannt, um einen Grund für die unverfrorene Beschlagnahme der Equipage zu haben.
»Sie