Bei diesen Worten nahmen die Zigeuner Cortejo in ihre Mitte und führten ihn von dannen. Er mußte sich darein fügen und konnte seinem Zorn nicht einmal durch Grobheiten Luft machen. Dieser Ärger wiederholte sich, als er Schwester Clarissa dieses Abenteuer erzählte.
»O weh«, meinte diese. »So ist sie entkommen?« – »Noch nicht. Ich forsche ihr nach. Mein muß sie werden.« – »So willst du die Zigeuner verfolgen?« – »Ja.« – »Doch sofort morgen früh?« – »Nein. Die Fahrt nach Barcelona ist notwendiger. Die Zigeuner entgehen mir nicht.«
Es war noch während der Nacht, als Cortejo sich unterwegs nach der genannten Stadt befand. Dort angekommen, ließ er seinen Wagen im Gasthof halten und begab sich zu Fuß nach einer der unscheinbarsten Seitenstraßen: Dort trat er bei einem armen Flickschuster ein, der von seiner an und für sich engen Wohnung ein Stübchen vermietet hatte. Der Inhaber desselben war kein anderer als Kapitän Henrico Landola, der allerdings unter einem anderen Namen hier wohnte.
Als Cortejo bei ihm eintrat, fand er ihn von Langeweile geplagt.
»Habt keine Sorge«, meinte er. »Ich bringe Euch ein Thema, das Euch sehr viel Kurzweil machen wird.« – »Mir sehr recht und lieb. Übrigens werde ich es nicht mehr lange hier aushalten. Die Nachforschungen nach mir sind eingeschlafen, und ich liebe Kampf und Arbeit mehr als Frieden und Faulheit.« – »Schön! Da könnte ich Euch gleich Arbeit geben.« – »Was für welche?« – »Eine Fahrt nach Mexiko.« – »Hm! Als Passagier oder mit eigenem Schiff?« – »Ganz nach Belieben. Man hat sich nämlich höheren Ortes sehr unzufrieden darüber ausgesprochen, daß die Überreste des Grafen Ferdinando drüben in Mexiko liegenbleiben, anstatt in der Familiengruft der Rodriganda beigesetzt zu werden. Um weitere Vorwürfe zu vermeiden, soll ein Mann hinübergeschickt werden, um den Sarg nebst Inhalt herüberzubringen. Wollt Ihr das übernehmen?« – »Hole Euch der Teufel!« antwortete Landola. – »Nicht! Warum nicht?« – »Eine Leiche an Bord bringt stets Unglück.« – »Aberglaube! Das habe ich doch bei Euch noch gar nicht bemerkt.« – »Meinetwegen. Laßt den alten Kerl ruhen, wo er ruht.« – »Wo denn?« – »Na, drüben in Mexiko. Wo denn sonst?« – »Oder in der Sklaverei?«
Landola erschrak, er fuhr zurück, blickte Cortejo starr an und fragte:
»Sklaverei? Wie meint Ihr das?« – »Na, daß Ihr den Grafen an Bord genommen und fortgeschafft habt.« – »Donnerwetter! So hat Euer Bruder den Mund doch nicht gehalten.« – »Also auf seinen Befehl mußtet Ihr das tun?« – »Ja.« – »Er galt also mehr als ich?« – »Pah; er war drüben, wo die Geschichte vorgenommen wurde. Da mußte ich mich natürlich nach ihm richten.« – »Soso! Habt Ihr Euch auch später in solcher Weise nach ihm gerichtet?« – »Daß ich nicht wüßte.« – »Zum Beispiel mit Sternau und Konsorten?« – »Die sind ja tot!« – »Oder auch in der Sklaverei?« – »Unsinn!« – »Oder auf einer Insel ausgesetzt?«
Bei dieser Frage zeigte sich Landolas Gesicht fast zinnoberrot. Woher hatte Cortejo das erfahren? Es gab keinen Zeugen seiner damaligen Taten und Handlungen. Schlug Cortejo vielleicht nur auf den Strauch? Das war doch möglich, darum antwortete Landola:
»Erlaubt Señor, daß ich Euch frage, ob Ihr gerade jetzt träumt.« – »Ja, mir hat geträumt. Wißt Ihr was?« – »Ich werde es wohl hören.« – »Ich will es Euch sagen. Mir träumte nämlich, daß Ihr um gewisser Gründe willen, die ich hier nicht des näheren zu erörtern brauche, jene Gefangenen damals nicht habt ertrinken lassen.« – »Alle Teufel! Was hätte ich denn sonst mit ihnen tun sollen?« – »Ihr habt sie eben auf irgendeine Insel gebracht, um sie gleich bei der Hand zu haben, wenn es einmal einen Streich gegen mich galt.«
Jetzt hatte die Verlegenheit des Kapitäns einen hohen Grad erreicht. Er sah ein, daß Cortejo wußte, was er sagte, aber dennoch fiel es ihm nicht ein, so ohne weiteres ein Geständnis abzulegen.
»Sagt doch einmal, Señor, was ich von Euch halten soll«, meinte er. – »Sagt Ihr das lieber mir. Ich habe Euch Eure Dienste zu jeder Zeit prompt und reichlich bezahlt, und nun muß ich in Erfahrung bringen, daß Ihr Unehrlichkeiten gegen mich begangen habt, die geradezu haarsträubend sind und mich in die schauderhafteste Verlegenheit bringen können.« – »Ich bitte euch, mir eine einzige Unehrlichkeit zu nennen.« – »Nun, eben die, daß Sternau und Konsorten nicht gestorben, sondern ausgesetzt worden sind.« – »Donnerwetter! Wie wolltet Ihr das beweisen?« – »Damit, daß sie alle, alle gerade jetzt drüben in Mexiko lebendig herumlaufen, und zwar im Hauptquartier des Präsidenten Juarez.«
Landola fuhr abermals erschrocken zurück.
»Das müßten ja Gespenster sein.« – »Dann wäre Don Ferdinando ebenfalls ein Gespenst, von dem Ihr doch zugebt, daß er lebt.« – »Der? Der wäre auch dabei?« – »Ja. Sie sind alle beisammen.«
Cortejo sprach diese Worte im höchsten Zorn. Landola konnte vor Schreck und Verlegenheit kaum ein Wort hervorbringen.
»Don Ferdinando soll dabeisein?« fragte er endlich. »Welch eine Fabel oder was für ein Märchen hat man Euch denn da aufgehängt?« – »Eine Fabel? Ein Märchen?« rief Cortejo. »Das wagt Ihr, mich zu fragen? Ihr, der doch am besten weiß, ob es eine Fabel oder ein Märchen ist! Wißt Ihr, daß dies eine Frechheit ist, die ihresgleichen sucht? Glaubt Ihr, daß ich anspannen lasse und von Rodriganda nach Barcelona komme, nur um Euch eine Fabel zu erzählen?«
Landola faßte sich. Er sah ein, daß er auf irgendeine Weise durchschaut worden sei, und nahm sich vor, durch ein forciertes Auftreten dem Gegner die Spitze zu bieten.
»Ihr sprecht von Frechheit«, sagte er in jenem kalten Ton, der vermuten ließ, daß in seinem Innern ein Vulkan in Tätigkeit sei. »Ich muß Euch ersuchen, auf dergleichen Ausdrücke sofort zu verzichten, wenn Ihr überhaupt wollt, daß ich Euch weiterhin Rede stehe. Ich bin kein Halunke.«
Ein drohender Blitz traf ihn aus Cortejos Augen. Derselbe zuckte verächtlich die Achseln und fragte:
»Wollt Ihr einen Menschen, der von der Polizei gesucht wird, etwa anders nennen?« – »Señor«, zürnte Landola in erhobenem Ton, »die gegen mich gerichteten Recherchen sind nur eine Folge meiner letzten politischen Tätigkeit.« – »Ah! Wirklich?« – »Ja. Ihr wißt, daß ich als Spaniens Emissär die Mittelstaaten Europas bereiste. Preußen will mich ausgeliefert haben.« – »Nur weil Ihr als Emissär agitiert habt?« – »Ja.« – »Lüge!« – »Señor Cortejo!« – »Ich wiederhole es: Lüge! Es wird Preußens erstem Minister nicht einfallen, Eure Auslieferung von Spanien zu verlangen, von Spanien, das ihn ganz einfach auslachen würde. Nach den bestehenden Gesetzen hat er kein Recht zu dieser Forderung.« – »O doch!« – »Nein, Politiker werden nicht ausgeliefert. Ihr seid für Spanien tätig gewesen, es würde Euch beschützen. Aber anstatt dies zu tun, fahndet es nach Euch. Sagt mir doch, warum?« – »Es tut nur zum Schein so, um Preußen zu beruhigen.« – »Pah, ich weiß es besser.« – »Wirklich? So redet doch.« – »Glaubt Ihr denn, daß ich mit den Kreisen, um welche es sich hier handelt, keine Verbindung unterhalte? Es sind Euch zur Ausführung Eurer Aufträge und zur Auszahlung an gewisse andere Agenten bedeutende Summen anvertraut worden. Ihr habt alles für Euch behalten. Ihr habt diese Summen einfach unterschlagen.« – »Señor, wollt Ihr diese Behauptung wohl sofort zurücknehmen?« – »Fällt mir nicht ein. Dieser Unterschleife wegen werdet Ihr nun auch noch von den hiesigen Behörden gesucht. Man will Euch nicht an Preußen ausliefern, aber man will Euch unschädlich machen auf irgendeine Weise.« – »Das soll man doch nur versuchen, ich würde reden.« – »Pah! Wenn man Euch erwischt, werdet Ihr spurlos verschwinden. Man wird Euch gar nicht Gelegenheit geben, zu sprechen.« – »Aber man wird mich auch nicht erwischen.« – »Traut Euch nicht