»Ikbala, was tust du da?« fragte die Mutter.
»Derisini tschykar-im – ich häute ab,« antwortete die Gefragte.
»Nereje – wohin?«
»Aghyz itschine – in den Mund hinein.«
»Aber diese Häute sollst du doch auf einen Teller oder in einen Topf tun, keineswegs aber in den Mund.«
»Es schmeckt gut!«
Das war allerdings ein sehr triftiger Grund, welchen das Mädchen da angab. Die Mutter ließ ihn auch gelten, denn sie trat auf die Tochter zu, klopfte ihr zärtlich auf die volle Wange und sagte in liebkosendem Tone:
»Benim tschüstlüka – mein Leckermäulchen!«
Dieses Leckermäulchen richtete einen sehr erstaunten Blick auf mich. Die Mutter erklärte:
»Dieser Effendi will sich hier bei uns ausruhen.«
»Warum?«
»Er ist ermüdet.«
»So mag er draußen im Grase liegen. Wie kannst du ohne Schleier mit einem Fremden verkehren und ihn zu mir bringen, da du doch weißt, daß ich hier keinen Schleier trage?«
»O, er ist mein Freund, mein Erretter!«
»Warst du in Gefahr?«
»In großer Lebensgefahr.«
Jetzt richtete die Tochter ihre Augen mit verminderter Strenge auf mich; dann sagte sie:
»Du kannst noch gar nicht zurück sein. Es muß dir unterwegs etwas geschehen sein?«
»Freilich ist mir etwas geschehen.«
»Was denn?«
»Ein Unglück.«
»Das vermute ich allerdings. Aber was denn für ein Unglück?«
»Ich hatte nicht daran gedacht, daß heute einer der fünfzig unglücklichen Tage des Jahres ist; sonst wäre ich daheim geblieben. Ich war kaum eine halbe Stunde geritten, da tat sich vor mir die Erde auf – —«
»O Allah!« sagte die Tochter erschrocken.
»Ein blauer Rauch stieg hervor,« fuhr die Mutter fort.
»Wai sana – wehe dir!«
»Und aus diesem Rauche trat ein Geist, ein Gespenst hervor, welcher hundertvierundvierzig Arme nach mir ausstreckte – —«
»Allah beschütze dich! Es gibt viele und schlimme Gespenster auf der Erde!«
»Allerdings, mein Kind. Mein Esel erschrak natürlich ebenso wie ich und entfloh, so schnell er konnte. Ich bin eine sehr gute Reiterin, wie du weißt; aber ich kam dennoch zu Falle, und der Esel entfloh.«
»Welch ein Unglück! Ist er fort?«
»Nein. Dieser Effendi kam geritten, nahm den Esel gefangen und hob auch mich von der Erde auf, um mich heimzugeleiten. Wo ist dein Vater?«
»Er ist in das Dorf gegangen.«
»Was will er da?«
»Er will Rosinen und Mandeln kaufen.«
»Hat er gesagt, wann er wieder kommt?«
»Er sagte, daß er nicht lange ausbleiben werde.«
»So bediene diesen Effendi, bis ich zurückkehre. Ich muß ein anderes Kleid anlegen.«
Sie wollte sich durch eine zweite Tür zurückziehen, aber ihre Tochter faßte sie am Arme und sagte:
»Sage mir vorher, was aus dem Geiste, aus dem Gespenste geworden ist.«
»Ich habe keine Zeit; frage den Effendi, er wird es dir sagen.«
Damit entfernte sich die Schlaue und überließ es mir, ihr Gespenstermärchen bis zu Ende zu führen.
Was mich betrifft, so hatte ich mich bereits nach den ersten, zwischen Mutter und Tochter gewechselten Worten auf eine an der Wand liegende Matte gesetzt.
Die junge »Erdbeere« sah sich nun mit mir allein und war in sichtlicher Verlegenheit. Nach einer Pause fragte sie:
»Bist du müde, Effendi?«
»Nein.«
»Oder hungrig?«
»Auch nicht, mein Kind.«
»Aber durstig?«
»Es ist warm. Würdest du mir einen Schluck Wasser geben, du Tochter der Holdseligkeit?«
Da griff sie nach einer der Milchschüsseln, von deren Inhalt sie mit ihren zarten Zeigefingern das »Dicke« vorhin >abgehäutet< hatte. Sie hielt mir die Schüssel vor und sagte:
»Hier hast du Kuhmilch. Sie ist frisch und wird dir schmecken. Oder ist dir vielleicht Ziegenmilch noch lieber als diese?«
»Ist von der letzteren auch bereits die Milchhaut abgenommen?«
»Ja, ich habe es selbst getan.«
»So gib mir Wasser. Ich trinke nur dann Milch, wenn sie ihre Haut noch hat.«
Sie ging hinaus und brachte mir einen tönernen Becher voll Wasser, welches genau so roch und so aussah, als ob ein alter Tabaksbeutel oder ein schmutziger Pudelhund darin gewaschen worden sei.
»Wo hast du dieses Wasser geschöpft?« fragte ich.
»Ich habe es aus dem Backtrog genommen,« antwortete sie.
»Hast du kein anderes Wasser?«
»Ja, wir haben nicht weit vom Hause ein fließendes Wasser.«
»Kannst du mir nicht von diesem bringen?«
»Ich könnte es; aber du wirst es nicht trinken.«
»Warum nicht?«
»Es sind Frösche und Kröten darin, so groß wie ein Schäferhund oder ein Igel, wenn er recht fett geworden ist.«
»Habt ihr denn keinen Brunnen in der Nähe?«
»Ja; aber es sind Eidechsen darin, so lang und so stark wie ein Aal.«
»O wehe! Da will ich lieber nicht trinken.«
»Herr, einen guten Most könnte ich dir geben.«
»Ist er wirklich gut?«
»Er ist so süß wie Zucker und Honig.«
»So bitte ich dich, mir davon zu geben!«
Sie entfernte sich abermals. Als sie zurückkehrte, brachte sie mir einen ausgehöhlten halben Kürbis, in welchem sich eine Flüssigkeit befand, deren Aussehen ein geradezu lebensgefährliches war. Ich roch daran und wurde dadurch nur in dem Vorsatze bestärkt, mich äußerst reserviert zu verhalten.
»Aus welchen Früchten ist der Most gepreßt?« erkundigte ich mich.
»Aus Maulbeeren, Beeren der Eberesche und Zitronen. Er ist mit gelben Pilzen gewürzt und mit Sirup gesüßt. Er wird dich erquicken und stärken, wie ein Strom des Paradieses.«
Also Maulbeeren, welche an und für sich einen eklen Geschmack besitzen, Ebereschenbeeren, welche ein Futter für Gimpel und andere Vögel bilden, und saure Zitronen! Mit Gelbschwämmen gewürzt und mit Zucker süß gemacht. Der Geschmack ließ sich denken und die Wirkung ahnen. Ein Leibschneiden oder ähnliches mußte die unvermeidliche Folge sein. Aber ich hatte wirklich Durst und setzte darum den Kürbis an die Lippen, machte die Augen zu und tat einige Züge. Da aber hatte mich das Mädchen schnell beim Arme.
»Dur, dur – halt, halt!« rief sie. »Salt bir itschimi, salt bir itschimi – nur einen Schluck, nur einen Schluck!«
»Warum?« fragte ich.
Und indem ich das Gefäß absetzte, bemerkte ich erst den widerlichen Geschmack des hinterlistigen Getränkes.
»Sandschy, korkulu sandschy – Bauchgrimmen, fürchterliches Bauchgrimmen!« antwortete sie.
»Warum