Die Natur hätte hier also alles vereinigt, um diesen Ort zu einem höchst wünschenswerten Aufenthalt für den Menschen zu machen, wenn sie ihn nicht bisweilen durch Erdbeben und furchtbare Stürme erschreckte. Die Orkane entfalten bekanntlich in den chinesischen und japanischen Meeren eine furchtbare Wut und rasen in ihrer ganzen entsetzlichen Stärke auch über die nahe liegenden Bonin-Inseln. Sogar im Innern der Bai geraten dann die Gewässer in einen so furchtbaren Aufruhr, daß sie den Anblick einer einzigen Masse weißen Schaumes darbieten. Und findet eines der hier nicht seltenen Erdbeben statt, so wird das Land bis in seine tiefsten Grundfesten erschüttert, und die Sturmflut steigt dabei zu einer solchen Höhe, daß sie alle Flächen und Thäler weithin unter Wasser setzt.
Wittrin und Petersen verließen mit der russischen Expedition ihre Einsiedelei, und Bonin blieb auf kurze Zeit den verwilderten Schweinen und fliegenden Bären überlassen.
Dann gründeten zwei unternehmende Männer, Richard Millichamp aus Devonshire in England und Mateo Mozaro aus Ragusa, mit einem Dänen, zwei Amerikanern und einer Anzahl Sandwich-Insulanern (fünf Männern und zehn Frauen) hier eine Kolonie, welche sich bald durch Matrosen, die von ihren Schiffen ausrissen, weiter vermehrte. Die Leute bauten süße Kartoffeln, Mais, Kürbisse, Tarowurzeln, Bananen, Ananas und eine Menge anderer Früchte so reichlich an, daß sie die hier nun oft anlegenden Schiffe vollauf damit zu versehen vermochten. Auch der Tabak war von außerordentlicher Güte und erreichte oft eine Höhe von über fünf Fuß. Später gab die einstweilen sich selbst regierende Kolonie sich eine Konstitution. Die Regierung liegt in den Händen eines Chefs und zweier Ratsherren, welche auf zwei Jahre gewählt werden. – —
Also diese Inselgruppe wollten wir ansegeln, hatten sie aber noch nicht erreicht, als der Kapitän plötzlich einige Striche mehr nach Südwest abfallen ließ, eine Maßregel, welche sofort meine Verwunderung erregte.
»Wollt Ihr vielleicht an den Bonin-Islands vorbei, Kapt’n?« fragte ich ihn.
Er sog die Luft mit der Bedachtsamkeit eines nach Champignons suchenden Wachtelhundes ein und machte ein sehr bedenkliches Gesicht.
»Vorbeigehen? Hin, fällt mir gar nicht ein! Aber Ihr gebt doch zu, daß es gut sein wird, uns für jetzt ein wenig seewärts vom Lande zu halten.«
»Warum?«
»Riecht Euch doch einmal diese Luft an! Merkt Ihr etwas?«
Ich konnte trotz aller Aufmerksamkeit weder einen Veilchen-, noch einen andern Duft als den gewöhnlichen Seegeruch wahrnehmen, und antwortete darum:
»Ich merke nichts.«
»Und seht auch nichts?« ich musterte den ganzen Gesichtskreis. Im Nordosten war es, als sei der Himmel da, wo er den Horizont berührte, mit glänzenden und maschenartig gekreuzten Nachsommerfäden überzogen, an deren oberem Rande sich eine kleine, helle und kaum einen Fuß im scheinbaren Durchmesser haltende Oeffnung befand. Das alles war so seidenartig, so zart und weich gezeichnet, als hätte der Mundhauch einer Fee den sonst so freundlichen und lichten Horizont berührt, und ich konnte mir nicht denken, daß diese kaum bemerkbaren Linien in einem Zusammenhange mit der plötzlichen Veränderung unseres Kurses stehen könnten.
»Ich sehe nur jene unverfänglichen Striche dort zwischen Ost und Mitternacht.«
»Unverfänglich? Ja, so kann bloß einer sagen, der kein Seemann ist, oder vielmehr, ich glaube sogar, daß dies auch ein sonst wohlbefahrener Wasserbär meinen könnte, falls er zum erstenmale in diese Meere kommt. Aber traut nur diesem Himmel nicht; er macht ein Sirenengesicht, und was darauf folgt, werden wir bald merken.«
»Sturm?«
»Sturm? Pah! Wollt Ihr einen Bären mit einer Spitzmaus vergleichen? Beide Tiere gehören, wie ich mir einmal habe sagen lassen, zu derselben Klasse von Raubtieren, aber ich glaube doch nicht, daß Ihr Meister Petz in einer Mausefalle fangen werdet. So ist es auch hier. Der Sturm und das, was wir zu erwarten haben, beides gehört ganz zu derselben Sorte von aeronautischen Belästigungen, aber zwischen einem regelrechten Sturme und dem Teifun ist ganz derselbe Unterschied, wie zwischen der Maus und dem Bären.«
»Einen Teifun erwartet Ihr?« fragte ich, halb erschrocken und halb befriedigt, daß es mir vergönnt sein sollte, diese fürchterlichste Lufterscheinung kennen zu lernen.
»Ja, einen Teifun. In zehn Minuten haben wir ihn. Es wird der elfte oder zwölfte sein, den ich in diesen Gewässern erlebe, und ich kenne also diese Sorte von Mailüftchen recht gut. Es giebt verschiedene Anzeichen, keines von ihnen aber ist so gefährlich, wie dieses verteufelte Netz da hinten. Ich sage Euch, Charley, in fünf Minuten werden die Fäden den ganzen Himmel umsponnen und sich zu einer pechschwarzen Wolkenmasse ausgebildet haben. Die weiße Oeffnung dort wird bleiben, denn der Teifun muß doch eine Thür haben, durch welche er herunterblasen kann. Es ist ein Sturmloch. Macht, daß Ihr in Eure Kajüte kommt, und guckt nicht eher wieder heraus, als bis ich Euch entweder rufe oder unser guter »Wind« unten auf dem Meeresgrunde für immer vor Anker geht!«
»Paßt mir schlecht, Kapt’n! Darf ich nicht an Deck bleiben?«
»Es ist meine Pflicht, jeden Passagier hinabzuschaffen, und doch würde ich bei Euch eine Ausnahme machen, aber ich gebe Euch mein Wort, daß Euch schon die erste oder zweite See über Bord nehmen wird.«
»Möchte es nicht glauben! Ich bin nicht zum erstenmale in See, und wenn Ihr wirklich Sorge habt, so nehmt ein Tau und sorrt mich fest an den Mast oder sonst irgendwo!«
»Unter dieser Bedingung mag es gehen; aber wenn der Mast über Bord geht, so seid auch Ihr verloren!«
»Wahrscheinlich! Aber dann wird ja überhaupt von dem Schiffe nicht viel übrig bleiben.«
»Well! Wenn Ihr es einmal auf den Mast abgesehen habt, so kommt her; ich selbst werde Euch mit ihm zusammensplissen.«
Er nahm ein starkes Tau zur Hand und band mich fest.
Unterdessen herrschte eine fieberhafte Geschäftigkeit am Deck. Die Gallantmasten und Raaen wurden heruntergenommen und alles Bewegliche so viel wie möglich befestigt oder durch die Luke in den Raum geschafft. Jedes Stück Leinwand wurde gerefft, und nur oben am Spenker blieb ein Sturmtopsegel, um dem Steuer so viel wie möglich zu Hilfe zu kommen. Auch an die Radspeichen des Steuers wurden Taue befestigt, für den Fall, daß bloße Armeskraft nicht zulänglich sei, das von den Wogen ergriffene Ruder zu regieren. Schließlich wurde jede in den Raum führende Luke oder Oeffnung so fest als möglich luftdicht verschlossen, daß das Wasser keinen Zutritt finden konnte.
Und nun, als das alles mit der angestrengtesten Thätigkeit beendet war, brach, genau nach zehn Minuten, wie der Kapitän vorhergesagt hatte, das Wetter los. Der ganze Himmel hatte sich mit einer schwarzen Decke umzogen, und die Wogen besaßen jetzt eine tief dunkle, fast möchte ich sagen infernalisch drohende Farbe. Sie hatten keine schleunigere Bewegung als bisher, aber jede einzelne der Wellen glich einem schwarzen Panther oder dem zottigen Bison, welcher ruhig hält, um seine Kraft zu einem plötzlichen Sprung oder Stoß zu sammeln.
Das Sturmloch hatte sich erweitert; es besaß das Aussehen eines runden Fensters, durch welches ein feiner, rötlichgelber Rauch hereingetrieben wird. Da strich ein leises Säuseln über die Wasser, und es ließ sich aus weiter Ferne her ein Ton vernehmen, ähnlich dem einer überblasenen Baßposaune.
»Aufgepaßt, Boys, er kommt!« ließ sich die laute Stimme des Kapitäns vernehmen. »Steht nicht frei, sondern nehmt das stehende Tau in die Hand!«
Der Posaunenton ertönte stärker und näher, und – da kam es heran, eine schwarze, hohe, beinahe senkrecht aufsteigende Wägenmauer, und hinter ihr der Orkan, der sie emporgerissen hatte und vor sich hertrieb. Im nächsten Augenblick wäre selbst der Schuß eines Kruppschen Belagerungsgeschützes nicht zu hören gewesen; die Mauer hatte uns erreicht, stürzte über uns her und begrub uns vollständig unter ihrer bergesschweren Flut.
»Halte aus, mein guter »Wind«, halte