AM JENSEITS
Eine Kijahma
»Sihdi, es war doch immer wunderschön, wenn wir beide, auf unsern unvergleichlichen Pferden sitzend, so ganz allein, von keinem fremden Menschen begleitet, immer hinein in Allahs schöne Welt ritten, wohin es uns gefiel! Diese Weit gehörte uns, denn da wir keine Seele bei uns hatten, konnte niemand sie uns streitig machen. Wir taten, was wir wollten, und unterließen, was uns nicht gefiel; wir waren unsere eigenen Herren, denn wenn es jemanden gab, dem wir zu gehorchen hatten, so bestand dieser Jemand aus zwei Personen, nämlich aus mir und aus dir. Ich bin mir da oft als der Gebieter des ganzen Erdkreises vorgekommen und habe die unersteigbaren Höhen meines Ruhmes aus den Tiefen meines Selbstbewußtseins hervorgeholt, um in andachtsvoller Bewunderung an ihnen emporzuklimmen und dann fröhlich wieder herabzusteigen. Das konnte ich, weil wir allein waren und es also keinen unwillkommenen Störenfried gab, dem es einfallen konnte, ohne meine Erlaubnis und hinter meinen Rücken mit hinauf und hinunterzuklettern. Ja, das war eine sehr, sehr schöne Zeit, in welcher wir erlebten, was kein anderer Mensch erlebt, und zwar nur deshalb, weil wir eben so allein waren und uns nur nach uns selbst zu richten brauchten. Ich sage dir, Sihdi, alle diese Taten und Begebenheiten sind rundum an den Wänden meiner innernm Seele aufgeschrieben und mit unvergänglichen Pflöcken in den Boden meines Gedächtnisses eingeschlagen, wie man Pferde, Kamele und lebhafte Ziegen an Pflöcke bindet, wenn man befürchtet, daß sie über Nacht den ihnen angewiesenen Ort mit einem andern vertauschen wollen.«
Er machte eine Pause, um nach diesem langen Satze einmal ausgiebig Atem zu holen.
Wer dieser »Er« war? Wer ihn noch nicht an seiner eigenartigen Ausdrucksweise erkannt hat, der mag weiter hören. Er fuhr nämlich sogleich fort:
»Also ich denke noch mit Wonne an die Zeiten zurück, in denen wir uns nur nach uns selbst zu richten brauchten, denn da habe ich empfunden, daß der Mann der eigentliche und wirkliche Beherrscher seines Lebens und seines Daseins ist. Aber ebenso schön und in mancher Beziehung noch schöner ist es doch, wenn man einen Tachtirwan (Kamelsänfte für Frauen) bei sich hat, in weichem die holdselige Gebieterin des Frauenzeltes sitzt. Meinst du, daß ich da recht habe?«
»Ob du da recht hast, kann doch ich nicht wissen, mein lieber Halef«, antwortete ich.
»Wie? Das könntest du nicht wissen? Warum denn nicht?«
»Weil in diesem Tachtirwan sich die Gebieterin nicht meines, sondern deines Frauenzeltes befindet und es also nur dir, aber nicht mir möglich ist, einen solchen Vergleich zwischen früher und heute anzustellen.«
»Ja, richtig! Um meine Frage beantworten zu können, müßtest du deine Emmeh auch mitgenommen haben. Du kannst also gar nicht wissen, was für ein großer Unterschied darinnen liegt, ob man die liebliche Behüterin seines Glücks daheim gelassen oder ob man sie mitgenommen hat. Du hast mir einmal gesagt, wie das heilige Buch der Christen das richtige Verhältnis zwischen Mann und Weib erklärt. Kannst du dich darauf besinnen, Effendi?«
»Ja.«
»Du sagtest ungefähr: Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, und zwar ein Männlein und ein Weiblein. Allah hat zweierlei Eigenschaften, nämlich die Eigenschaften der Allmacht, wozu die Ewigkeit, Weisheit, Gerechtigkeit gehören, und die Eigenschaften der Liebe, welche sich auch in seiner Gnade, Langmut, Güte und Barmherzigkeit äußert. Wenn der Mensch, weicher aus zwei Wesen besteht, ein Bild Gottes zu sein hat, so soll also der Mann ein Bild der göttlichen Allmacht und die Frau ein Bild der göttlichen Liebe sein. Habe ich mir das nicht sehr gut gemerkt?«
»Ziemlich richtig.«
»Wenn auch nur ziemlich, für mich genügt es doch. Seit du mir diese Erklärung gegeben hast, bin ich stets bemüht gewesen, ein Bild von Allahs Allmacht zu sein. Du weißt, wie tapfer und umsichtig ich im Kampfe und wie weise, klug und gerecht ich in der Regierung meines Stammes bin. Diese eine Seite meines menschlichen Wesens läßt also wohl kaum etwas zu wünschen übrig. Und die andere Seite, welche dort in der Sänfte sitzt und ihre freundlichen Augen unaufhörlich auf mich richtet, ist auch genau so, wie Allah sie wünscht, nämlich ein Bild der Liebe, die mir jeden Tag zur Wonne und jede Stunde zum Vergnügen macht. Und diese Spenderin des Glückes auch während der Reise bei sich haben zu können, das ist eine Seligkeit, die mir auf unsern früheren Ritten leider versagt bleiben mußte. Ich habe gesagt, daß es früher schön war, und möchte aber behaupten, daß es jetzt fast noch schöner ist! Verstehst du mich nun?«
»Ja.«
»Hast du denn mit deiner Emmeh noch niemals eine Reise gemacht?«
»O doch!«
»Da hast du natürlich auf dem Pferde gesessen und sie im Tachtirwan?«
»Nein. Tachtirwanat gibt‘s bei uns nicht.«
»Nicht? So hat sie frei auf dem Kamele gesessen?«
»Auch nicht. Im Abendlande reist man nicht per Kamel, sondern in der Karrusa (Kutsche) oder in dem Katr (Bahnzug).«
»Allah! Wer darf im Katr fahren?«
»Jeder, der seinen Tiskri (Billett) bezahlt hat.«
»Auch Frauen?«
»Ja.«
»Aber neben dem Weibe eines andern zu sitzen, das ist doch wohl sehr streng verboten?«
»Nein.«
»Unmöglich! Sihdi, sag aufrichtig, ob du, nämlich du auch schon einmal im Katr neben einer Frau gesessen hast, weiche in den Harem eines andern Mannes gehörte!«
»Schon oft! Ich bin nicht nur mit fremden Frauen, sondern sogar mit fremden Töchtern gefahren.«
»Und wie steht es mit deiner Emmeh, der jugendlich schönen Bewohnerin deines Frauenzeltes, hat die auch schon neben andern Männern sitzen müssen?«
»Ja.«
»So verderbe Allah eure Eisenbahnen bis in den allertiefsten Abgrund der Hölle hinab! Wenn nicht nur mein Weib, weiches ich allein besitze, sondern auch alle meine Töchter, die ich glücklicherweise noch nicht habe, es sich gefallen lassen müssen, daß jeder fremde Stadtbewohner und jeder unbekannte Beduine sich im Katr an ihre Seite setzen darf, so mag ich von eurem Abendlande kein Wort weiter hören! Sihdi, du weißt, wie sehr ich dich liebe und wie hoch ich dich achte; aber nun ich weiß, daß du neben fremden Frauen und Töchtern gesessen hast, die nicht in deinem Zelte geboren worden sind, und daß du sogar auch deiner Emmeh erlaubst, mit Männern zu reisen, an welche sie kein Akd en Nikah (Zeremonie des Ehekontraktes) bindet, nun wird es mir wohl nicht mehr leicht sein, dich als meinen besten Freund, den ich im Herzen trage, mit Anerkennung zu beehren! Die Schienen eurer Eisenbahn haben sich zwischen mich und dich gelegt, und unsere Herzen sind einander so entfremdet worden, daß sie durch keinen Wabur (Lokomotive) wieder verbunden werden können. Ich lasse dich allein und gehe zu meiner Hanneh, um in meiner großen Betrübnis Trost bei ihr zu finden!«
Wer meinen lieben, kleinen Halef kennt, dem kommt dieses Verhalten nicht fremd vor; für diejenigen, weiche noch nichts über ihn gelesen haben, seien folgende kurze Bemerkungen bestimmt:
Hadschi Halef Omar, jetzt der oberste Scheik der Haddedihn-Beduinen, vom großen Stamme der Schammar, war früher ein blutarmes Kerlchen gewesen. Er stammte aus der westlichen Sahara, hatte mich als mein Diener nach Osten begleitet und war da so glücklich gewesen, die Tochter eines Scheikes der Ateibeh-Araber zur Frau zu bekommen. Dieser letztere wurde später von den Haddedihn zum Scheik gewählt und bekam, da er keinen Sohn hatte, meinen Halef als seinen Schwiegersohn zum Nachfolger.
Dieser war von Person sehr klein und hager, dabei aber von ungewöhnlicher Tapferkeit und von einem Mute, der sehr gern verwegen wurde und darum von mir oft in die Zügel genommen werden mußte. Ein guter Schütze, auch sonst sehr waffengewandt, ausdauernd, körperkräftig, außerordentlich mäßig, ein vortrefflicher Reiter, pfiffig und mutterwitzig, besaß er ein treues, goldenes Herz, in weichem keine Spur von Falschheit entdeckt werden konnte. Früher war ich seine einzige Liebe gewesen; später mußte ich diese Liebe mit seinem Weibe und seinem Sohne teilen, wodurch mir aber kein Verlust geschah. Die Zärtlichkeit, mit weicher er an Hanneh, seiner Frau, hing, war nicht nur rührend, sondern fast beispiellos zu nennen. Sein erster Gedanke früh und sein letzter abends gehörten ihr. Es war ihm beinahe unmöglich, ihren Namen auszusprechen, ohne ihm einige der vorzüglichen Eigenschaften