»Reichet ihn herum in großen und kleinen Gefäßen, und nehmet ihn aus der Hand eines Schenken, der wie der leuchtende Mond strahlt.«
»Doch trinke nicht ohne Gesang, denn auch das Pferd wiehert, wenn es sich mit einem Trunk erquickt.«
Als der Kalif dies von Ibrahim sah, schwoll die Ader des Zornes zwischen seinen Augen an. Er stieg wieder von seinem Baume herab und sagte zu Djafar: »Noch nie habe ich gottesfürchtige Leute in einem solchen Zustande gesehen. Steige auf den Baum, Djafar, und sieh dich um, damit dir der Segen dieser Frommen nicht entgehe!«
Djafar geriet über diese Worte ganz in Verwirrung, er stieg auf den Baum, sah Nureddin, seine Sklavin und Ibrahim, welcher einen Kelch in der Hand hielt. Dieser Anblick versetzte ihn in Todesangst. Als er wieder herabgestiegen war, sprach Harun Arraschid: »Gelobt sei Gott, der uns zu diesen Frommen kommen ließ!« Djafar konnte vor Scham und Verlegenheit kein Wort hervorbringen. »Wer hat diese Leute«, fuhr der Kalif fort, »in meinen Garten und in meinen Palast gebracht? Doch habe ich nie ein schöneres junges Paar gesehen.«
Djafar, der den Zorn des Kalifen abzulenken hoffte, erwiderte: »Du hast recht, großer Sultan!« — »Komm«, sagte Harun Arraschid, »wir wollen noch einmal miteinander auf den Zweig steigen, um zu sehen, was sie machen.« Sie stiegen hinauf und hörten beide, wie Scheich Ibrahim zu der schönen Perserin sagte: »Nun, meine Herrin, läßt dieser Ort noch etwas zu wünschen übrig?« — »Bei Gott!« erwiderte Enis Aldjelis, »wenn wir noch ein Musikinstrument hätten, das ich spielen könnte, so wäre unser Vergnügen vollkommen.« Scheich Ibrahim stand auf und entfernte sich, als er dies hörte.
»Was wird er wohl jetzt beginnen?« fragte der Kalif den Großvezier. »Das weiß ich nicht«, antwortete Djafar.
Nachdem Scheich Ibrahim eine Weile weg gewesen war, kam er wieder und hatte eine Laute in der Hand. Der Kalif sah aufmerksam hin und erkannte, daß es die Laute seines Gesellschafters Abu Ishak war, und sagte zu jenem: »Djafar, das Mädchen wird auf der Laute spielen und singen: spielt und singt sie schlecht, so lass‘ ich euch alle zusammen hängen; macht sie ihre Sache gut, so will ich verzeihen, dich aber lass‘ ich aufknüpfen.« — »Beherrscher der Gläubigen!« erwiderte der Großvezier, »wenn dem so ist, so bitte ich Gott, daß sie schlecht singen möge.« —»Warum das?« sagte der Kalif. — »Je mehr wir sind«, entgegnete der Großvezier, »desto leichter werden wir uns trösten können, in guter Gesellschaft zu sterben.« Der Kalif lachte über diese Antwort. Hierauf nahm das Mädchen die Laute, stimmte die Saiten und brachte Töne hervor, welche aller Herzen zu ihr hinzog; der Inhalt des Liedes war aber folgender:
»O ihr, die ihr armen Unglücklichen Hilfe und Beistand gewährt, wir sind des Guten nicht unwürdig, das ihr uns erweist.«
»Wir haben uns in euern Schutz begeben: darum handelt nicht schlecht gegen uns.«
»Es brächte euch wirklich keinen Ruhm, wenn ihr diejenigen ermorden wollet, welche unter euer Dach sich geflüchtet haben; darum werdet nicht schadenfroh über uns.«
»Das ist bei Gott schön«, rief der Kalif aus. »Zeit meines Lebens habe ich keine schönere Stimme gehört.« — »Also ist dein Zorn vorüber?« fragte Djafar. — »Mein Zorn ist vorüber«, antwortete der Kalif. Er stieg hierauf mit Djafar vom Baume herunter, dann sagte er, zu diesem gewendet: »Ich will in den Saal hinaufgehen, um das Mädchen in der Nähe singen zu hören.«
»Beherrscher der Gläubigen!« erwiderte der Großvezier, »wenn du hinaufgehst, wirst du sie stören. Scheich Ibrahim wird vor Schrecken des Todes sein.« Der Kalif versetzte: »Nun, es soll deine Aufgabe sein, eine List zu ersinnen, welche mir die Erreichung meiner Absicht möglich macht.«
Djafar entfernte sich gegen den Tigris hin und sah einen Fischer unter den Fenstern des Palastes. Der Kalif hatte zwar schon früher, als er das Geräusch der Fischer vor dem Palaste vernahm, Ibrahim den Befehl erteilt, nicht zu gestatten, daß vor dem Palaste gefischt werde. Als nun in eben dieser Nacht der Fischer Kerim das Gartentor offen sah, so dachte er: »Heute wird niemand auf mich achten. Ich will die Zeit nützen, und einen guten Fang tun.« Er warf sein Netz aus, während er folgende Strophen rezitierte:
»O du, der du in der Dunkelheit mit Gefahr das Meer befährst, gib dir nicht so viele Mühe: denn der Lebensunterhalt kommt nicht durch Treiben und Jagen.«
»Siehst du nicht das Meer und den Fischer, der die ganze Nacht aufrecht steht, während die Sterne verhüllt sind?«
»Er dehnt weiter den Strick, und die Wellen benetzen seine Füße; aber sein Auge wendet sich nicht von der Mitte des Netzes.«
»Dann nur ist er froh und vergnügt, wenn der Tod ein lüsternes Fischlein hineinlockt.«
»Derjenige aber kauft seinen Fisch, der die Nacht in schönster Behaglichkeit, vor Kälte bewahrt, zugebracht hat.«
»Gelobt sei Gott, der dem einen gibt, dem anderen versagt: der eine fängt die Fische und der andere ißt sie.«
Eben hatte der Fischer seine Verse vollendet, als Djafar und der Kalif vor ihm standen. Dieser rief ihn bei seinem Namen. Als er sich beim Namen rufen hörte und den Fürsten der Gläubigen erblickte, zitterten seine Muskeln und er sagte: »Bei Gott, o Beherrscher der Gläubigen, nicht aus Geringschätzung gegen deinen Befehl habe ich hier gefischt; meine Kinder und die bitterste Armut hat mich dazu bewogen.«
Da sprach der Kalif: »Kerim! fische einmal auf mein Glück!« Der Fischer warf freudig sein Netz aus und wartete, bis es lang genug im Wasser war und am Grund fest blieb, dann zog er es an sich und fand mehrere Sorten Fische darin. Der Kalif freute sich sehr darüber. Hierauf sagte er zu dem Fischer: »Kerim, zieh deine Kleider aus!« Der Fischer gehorchte augenblicklich und zog seinen Rock aus, welcher mehr als hundert grobe wollene Flecke hatte, auf welchen abscheuliches Ungeziefer hauste. Dann nahm er von seinem Haupte eine Binde, die in drei Jahren nicht aufgemacht worden war, und auf die er jeden Fetzen, den er in dieser Zeit gefunden, aufgebunden hatte. Nachdem er dies getan, zog der Kalif seidene Kleider von alexandrinischer und baalbekischer Arbeit und zwei Unterkleider aus, und sagte zu dem Fischer: »Nimm diese Kleider und ziehe sie an!« Der Kalif aber legte das Kleid und die Binde des Fischers an und sagte zu dem Fischer: »Geh‘ jetzt deiner Arbeit nach.«
Der Fischer küßte dem Kalifen die Füße und dankte ihm mit folgenden Strophen:
»Du hast mir eine Gnade erzeigt, die würdig ist, aller Welt gelobt zu werden: du hast mich auf einmal mit allem versehen.«
»Ich werde dir danken, so lange ich lebe, und nach meinem Tode werden meine Gebeine im Grabe dich preisen.«
Der Fischer hatte noch nicht ausgesprochen, als der Kalif wegen des Ungeziefers mit beiden Händen nach seinem Nacken fuhr. »Wehe dir, Fischer!« rief er aus; »dein Kleid ist reich an Ungeziefer!« — »Mein Herr!« antwortete der Kerim, »das fühlst du nur jetzt; ehe eine Woche vergeht, wirst du nichts mehr fühlen und nicht mehr daran denken.« Der Kalif versetzte lächelnd: »Meinst du, ich werde deinen Rock so lange auf dem Leibe behalten?« Da sprach der Fischer: »Ist es mir vergönnt, Herr, dir ein Wort zu sagen?« Nachdem ihn der Kalif reden geheißen, fuhr er fort: »Mich dünkt, Beherrscher der Gläubigen, daß du das Fischen lernen willst, um ein nützliches Handwerk zu verstehen, darum möchte dich dieser Rock vortrefflich kleiden.« Der Kalif lachte über die Rede des Fischers. Nachdem Kerim weggegangen war, nahm der Kalif den Fischerkorb, und legte etwas Grünes oben drauf. Dann kehrte er zu Djafar zurück und blieb vor ihm stehen. Dieser hielt ihn für den Fischer Kerim und sagte zu ihm: »Geh‘ deines Weges, Kerim, und mache, daß du mit dem Leben davonkommst!« Als der Kalif diese Worte Djafars hörte, fing er an zu lachen. Djafars ging auf ihn zu und sagte: »Bist du etwa der Beherrscher der Gläubigen?« — »Ich bin es«, antwortete der Kalif, »und du bist mein Vezier und hast mich doch nicht erkannt, als ich auf dich zukam. Wie soll der betrunkene Scheich Ibrahim mich erkennen? Bleibe also hier bis ich zurückkomme.«
Der Kalif ging nun