»Wenn Ihr den Mann meint, der eben zu Tode erschöpft hier ankam und dessen Pferd dort liegt, der reitet da drüben auf dem Maultier«, versetzte der Gaucho.
In dem scheidenden Licht konnten die Reiter soeben noch gewahren, wie der Deutsche und der Verfolgte unter den Bäumen verschwanden.
»Ihm nach!« schrie der Offizier, »wir haben ihn! Wo ist die Furt?«
»Was habt Ihr mit dem Mann?« fragte mit gemessener Höflichkeit der Gaucho.
»Seht Ihr nicht, was ich bin, wer wir sind? Wir setzen einem Hochverräter nach, auf dessen Kopf ein hoher Preis gesetzt ist«, brüllte der Soldat.
»Oh«, Juan Perez lächelte leicht, »der Mann sagte, er würde von einer Mörderbande verfolgt.«
»Caracho! Wir werden ihm die Mörderbande eintränken. Wo ist die Furt?«
»Da drüben«, antwortete der Gaucho und wies die Richtung. »Aber ich würde Euch raten, vorsichtig zu sein. Der Flüchtige ist von einem Manne begleitet, der eine Doppelbüchse trägt und von dem ich zufällig weiß, daß er auf zweihundert Schritt einen Peso trifft.«
Der Häscher stutzte. Zwar trug er im Gürtel Pistolen, und einige seiner Männer, die dem Gespräch stumpfsinnig lauschten, waren mit Karabinern ausgerüstet, doch schien es ihm wohl bedenklich, sich einer weittragenden Büchse auszusetzen, noch dazu im Wald, der den Schützen deckte. Seine Wut richtete sich gegen den Anwesenden. »Ihr habt ihm durchgeholfen«, schrie er, »das sollt Ihr büßen.«
Juan Perez zog die dunklen Augenbrauen zusammen und entgegnete in einem Ton, der eine unverkennbare Drohung mitschwingen ließ: »Wer bist du denn, mein Bursche, daß du es wagst, gegen mich eine solche Sprache zu führen? Ich bin der Alkalde dieses Bezirkes und hätte nicht übel Lust, dich meinen Lasso fühlen zu lassen, wenn du nicht bald höflich wirst.«
»Was?« brüllte der Mann mit verzerrtem Gesicht, »du Gauchoschlingel wagst es, mir Widerstand entgegenzusetzen und mir zu drohen? Ich halte hier mit Vollmacht des Gobernadors von Santa Fé, Don Francisco de Salis, als Alguacil, um einem Verbrecher nachzusetzen, und du trittst mir entgegen? Du machst dich selber des Hochverrates schuldig!«
»Leere Worte, Mann!« sagte Juan Perez wegwerfend. »Hindere ich dich, dein Opfer einzufangen? Ich hindere dich nicht, ich habe dir sogar gezeigt, wo es zu finden ist. Außerdem sind wir hier in der Provincia Cordoba und nicht in Santa Fé, und dein Señor de Salis hat hier nichts zu sagen.«
»Alle Gobernadors haben Befehl, den verruchten d‘Urquiza einzufangen«, rief der Alguacil. »Befehl des Präsidenten. Willst du dich dem auch widersetzen?«
»Ich widersetze mich überhaupt nicht«, sagte der Gaucho. »Tu was du mußt, und laß friedliche Leute in Ruhe«; er wandte sich nachlässig ab.
Die Lanceros hatten inzwischen, als der Wortwechsel zwischen ihrem Anführer und dem Gaucho heftiger wurde, ihre Karabiner schußfertig gemacht. Als der Offizier, der außer sich vor Wut war, dies bemerkte, riß er eine Pistole aus dem Halfter und schrie: »Du bist mein Gefangener! Ergib dich, Hochverräter, oder ich schieße dich nieder!«
Er hatte das kaum zu Ende gesprochen, da flog er mit unbegreiflicher Geschwindigkeit aus dem Sattel und fand sich neben Pati wieder, der ihn mit kräftiger Faust aufrechthielt, ihm aber zugleich die Pistole aus der Hand nahm. Der Majordomo war unbemerkt herangekommen und hatte schon neben dem Offizier gestanden, als dieser die Pistole zog. Juan lachte herzlich über des Mannes verdutztes Gesicht, wandte aber den Kopf, als er Hufschlag vernahm. Im gleichen Augenblick hielt Aurelio neben ihm, eine gespannte Büchse in der Hand. Die Sonne sandte ihre letzten Strahlen auf sein zornflammendes Gesicht. Der Soldat starrte den Jüngling verblüfft an; seine Augen weiteten sich. »Nombre de dios!« entrang es sich seinen Lippen, »Don Fernando!« Juan und Pati zuckten zusammen; sie verstanden, was in dem Alguacil vorging.
»Was wollen diese Leute, Vater?« fragte Aurelio.
»Mich als Hochverräter verhaften.«
»Sie sollen es wagen!« Der Junge hob das Gewehr und blitzte den Offizier an. Der erwiderte den Blick. »Wer seid Ihr?« fragte er. »Der Sohn meines Vaters, Señor«, antwortete Aurelio.
Der Offizier holte tief Atem und sah sich im Kreise um. Neben ihm stand, die Flinte in der Hand, der furchtbare Rotkopf, der ihn aus dem Sattel gerissen hatte. Dort hielten Juan und seine Peons die Bolas zum Schleudern bereit, außerdem näherten sich eben zwei Neger mit Spießen in der Hand. Sein Blick haftete dann wieder auf Aurelio, der ihm mit schußbereiter Büchse gegenüberstand. Seine Reiter schienen angesichts der Lage durchaus nicht bereit, zu seinem Beistand einzugreifen.
Er verbiß seinen Grimm und wandte sich Juan zu. »Ich ersuche Euch, Señor«, sagte er, »keine weitere Gewalt gegen mich anzuwenden. Ich bin eine obrigkeitliche Person.«
Der Gaucho zuckte die Achseln. »Mag immerhin sein«, sagte er. »Erlaubt Ihr Euch aber Übergriffe gegen freie Bürger des Staates, dann dürft Ihr Euch nicht wundern, wenn wir Gewalt mit Gewalt begegnen.«
»Es ist gut, Señor. Kann ich jetzt unbehindert reiten?«
»Wohin Ihr wollt, Señor«, versetzte höflich der Gaucho. »Wir haben zuviel Achtung vor den Befehlen Seiner Excellenza und den Vollstreckern seiner Befehle, als daß wir es wagen würden, Euch hindernd in den Weg zu treten.« Dabei zog er, zur Verabschiedung grüßend, den Hut. Der Alguacil stieg in den Sattel, und Pati händigte ihm die abgenommene Pistole ein. Gleich darauf ritten die Lanceros den Quinto hinauf davon.
Juan lenkte sein Pferd, in Nachdenken versunken, den Gebäuden zu; Aurelio hielt dicht neben ihm. »Ich glaube, ich hatte dir gesagt, du solltest im Haus bleiben«, sagte der Gaucho, sich seinem Sinnen entreißend. »Ja«, stammelte Aurelio, »ja, Vater, ich weiß. Aber da ich doch sah, daß Gefahr dich bedrohte, konnte ich nicht bleiben. Verzeih mir, Vater!« Der Gaucho lachte ihm zu.
Als sie abgestiegen waren, flüsterte Juan dem Majordomo zu: »Komm, Pati, es gibt einiges zu bereden.« Und er begab sich, von dem Rotkopf gefolgt, in sein Zimmer.
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