Diese Antwort verblüffte den alten Matrosen so, daß er nur kurz sagte: »Dat schall woll sien« und hinwegging.
Auch Henrik mußte sich entfernen, um sich unbemerkt über den Berliner auslachen zu können. Fritz aber stichelte munter weiter, bei sich denkend: »Habt ihr mir blau anloofen lassen, alte Seeratten, ick werd et euch schonst wiederjeben.«
Nach einiger Zeit kam Martin, mit dessen Anlandgehjacke sich Fritz gerade beschäftigte, und brachte ihm einige Knöpfe, um sie anzunähen, es waren schöne Hornknöpfe.
»Hewwen se in Berlin ook so wat Scheunes?« fragte er, auf die Knöpfe deutend.
»Det nennen Sie wat Schönes, Herr Stürmann?« fragte Fritz mit einem verächtlichen Achselzucken.
»Na, nich? Dat is feines Büffelhorn.« »Ja, von wilden«, sagte Fritze so von oben herab.
»Natürlich von wilden, die immer seltener werden – Präriebüffel.«
»Bei Ihnen in Hamburg mögen sie ja seltener werden, bei uns in Berlin is det aber janz anders, dort mehren sie sich.«
»Wie is dat?«
Henrik, der Martin im Gespräch mit Fritze sah, kam herbeigeschlendert.
»Ziegler und Kompanie, Knopffabrikanten en gros mit de Medallje, haben uff de Hasenheide schonst seit Jahren eene Herde von mehr als zweitausend Stück von der feinsten amerikanischen Sorte, dat Zeug vermehrt sich gehörig. Die jeben nu de Hörner her vor de wirklich juten Büffelhornknöpfe, denn die loofen nich so wild rum, die werden extra vor dat Horn gepflegt un jeben jedes Jahr ein paar Hörner her. Von die Knöppe kost de erste Sorte zehn Taler det Stück, die tragen nur der König und de Prinzen uff ihre Jagdröcke. Vor de zweete Sorte wird immer noch fünf Taler bezahlt. Da kriegen die andern Könige, Fürsten und Bleichröders wat von ab. Die gemeenste Sorte macht zwee Taler det Stück, un die is nich emal zu haben, die is uff viele Jahre hinaus feste bestellt.«
»Eine Büffelherde von rund zweitausend Stück?«
»Haben Sie ihr noch nich jesehn?« fragte darauf Fritz sehr freundlich. »Det is ja jroßartig in de Hasenheide. Hörner von anderthalb bis zwee Ellen Länge un durchsichtig wie Bernstein, se werden den Viechers ooch jeden Morgen uff de Köbbe poliert. Ja, det müssen Se mal sehen, Kerr Stürmann, det jibt echte Hornknöppe, davon sin die Leute ooch so reich jeworden.«
Henrik amüsierte sich über Martins Gesicht, der sehr verblüfft war und dies doch nicht merken lassen wollte, aber über die Umgebung der Häfen, in welchen er landete, war die gute Blaujacke nie hinausgekommen.
»Na«, meinte er, »die Büffelherde werde ich mir nächstens mal besehen.«
»Det versäumen Se ja nich, det tun alle Fremden – det is wat Kolossives.«
Martin, der in seiner Art ebenso beschränkt war, wie Fritze in anderer, kaute an dieser Büffelhorngeschichte, der er nichts entgegenzusetzen wußte, und entfernte sich ziemlich mißgestimmt, im Zweifel darüber, ob das Berliner Kind gewagt habe, ihm auch etwas aufzubinden.
Lächelnd sah ihm Fritze Fischer nach.
»Also ihr habt dort eine Herde von zweitausend Büffeln?« fragte Henrik.
»Zweitausend sin et mindestens«, erwiderte Fritze mit der unschuldigsten Miene.
»Amerikanische?«
»Ick jloobe, et sin ooch afrikanische mit mang, genau weeß ick det nich.«
»Wundert mich sehr, daß die Leute sich noch solche Kosten machen, seitdem man im Garten zu Kew bei London den Büffelhornbaum gezüchtet hat.«
Fritze sah von der Arbeit auf und forschend in das Gesicht Henriks.
»Büffelhornbaum?«
»Hast du noch nichts davon gehört oder gelesen?« fragte Henrik verwundert. »Das ist ja der großartigste Erfolg gärtnerischer Kunst.«
»Wie denn? Wat denn? Wat is det denn?«
»Den Gelehrten war es längst bekannt, daß die echten Büffelhörner halb tierischen, halb pflanzlichen Stoffes seien, und es kam nur darauf an, einen Weg zu finden, um diesen pflanzlichen Teil zum Keimen und Wurzelschlagen zu bringen. Nach endlosen Versuchen gelang es denn. Die animalischen Substanzen wurden auf chemischem Weg aus dem Horn entfernt und der Rest gepflanzt. Sie schlugen Wurzel und entwickelten sich zu Bäumen, doch taugten die hornartigen Früchte nichts. Da düngten sie endlich mit Blut, um dem Baum tierische Substanzen zuzuführen, und dies hatte wunderbaren Erfolg. Zwar sind die so gewonnenen Hörner bis jetzt noch klein, aber sie werden mit jedem Jahr größer.«
»So?« sagte Fritz, »werden se mit jedem Jahr jrößer? Nanu, wo wächst dein Wunderbaum?«
»Genau da, wo deine Büffelherde von zweitausend Stück weidet.«
Fritz sah in die lachenden Schelmenaugen und brach dann in ungezügelte Heiterkeit aus. Henrik lachte mit.
»Siehst du, Berliner, wir Hamburger sind euch gewachsen.«
»Ja, ick seh' et«, lachte Fritze. »Hamburger, du bist ein Deuwelsjunge mit dem Büffelhornbaum. Nu darum keene Feendschaft nich.«
»Nein!« entgegnete ihm ebenso vergnügt Henrik.
Auf Tod und Leben
Findling, der diese Gewässer zum erstenmal befuhr, hatte mit größter Vorsicht seinen Weg durch die gefährliche Torresstraße gesucht und war fast Tag und Nacht nicht von Deck gekommen. Während der wenigen Stunden, die er schlief, verließ er sich mehr auf den erfahrenen und besonnenen Martin als auf Marholm. Doch jetzt in der Harafurasee gönnte er sich mehr Ruhe. Der Auftrag, den Schatz des verschollenen Konsuls zu heben, kam ihm jetzt, wo das Schiff seine Aufmerksamkeit weniger erheischte, wieder lebendiger zu Sinn. Er hielt das Ganze noch immer für die Ausgeburt eines kranken Gehirnes.
Während mittschiffs Henrik, Martin und der Schneider sich Wunderdinge erzählten, saß er am Hinterdeck unter dem Sonnenzelt, welches er hatte herstellen lassen, und hing seinen Gedanken nach. Ob er es gleich von der niedrigen Stufe aus, auf welche ihn das Geschick alsbald nach seiner Geburt gestellt, verhältnismäßig rasch zu einer achtbaren Stellung gebracht hatte, so nagte doch das Gefühl, so ganz vereinsamt im Leben zu stehen und auf die Frage: »Woher des Landes und wer waren die Eltern?« die Antwort schuldig bleiben zu müssen, oft schmerzhaft an seiner Seele. Doch nicht allein die Demütigung, die dieses Verlassensein mit sich führte, bereitete ihm Kummer, mehr noch die so vergebliche tiefe Sehnsucht nach einem Wesen, das nach Blut und Seele ihm innig verwandt sei. Wie beneidete er die beiden Jünglinge, den frischen, feurigen, so gut und edel veranlagten Henrik Horsa, den gutmütigen, drolligen Schneider um das Glück, ein liebendes Mutterherz ihr eigen nennen zu können. Er war gut und freundlich im Waisenhaus behandelt worden, und er war heute noch dankbar dafür, aber die gütigste Haushälterin war keine Mutter, der freundlichste Lehrer kein Vater. Sein eigenartiges Wesen hatte ihn verhindert, im Waisenhaus sowohl wie später unter seinen derben, oft rohen Schiffsgenossen, die an natürlicher Begabung und bald auch an Wissen und Können unter ihm standen, Freunde zu finden. Bis auf Kapitän Baggesen war niemand seinem Herzen näher getreten. Henrik, dessen Äußeres für ihn einnahm, wie sein freundliches Wesen, vornehmes Denken und gute Manieren, der eine für seine Jahre nicht gewöhnliche Bildung besaß, hatte bald sein Herz gewonnen, und in einer Stimmung, in welcher die Sehnsucht nach Gütern, die ihm ein herbes Geschick geraubt hatte, mächtig war, hatte er ihm jene vertraulichen Mitteilungen gemacht.
War Henrik auch für einen Freundschaftsbund mit einem durch die rauhen Stürme des Lebens vor der Zeit gereiften Mann zu jugendlich an Jahren und Empfindungen, so brachte ihm doch Findling ein Wohlwollen entgegen, welches Ähnlichkeit mit dem Gefühl hatte, mit dem man einem jüngern Bruder gegenübersteht.
Seine Gedanken kehrten, während das Schiff langsam durch die Wellen strich, zu dem Auftrag zurück, den Schatz des Konsuls zu suchen, und als Martin in die Nähe des Hinterdecks