Joseph schwieg eine Weile, denn Jenny’s Worte, aus denen ihre angeborne Lebhaftigkeit mit der Liebe für Reinhard zugleich hervortönte, machten einen schmerzlichen Eindruck auf ihn. Er beneidete Reinhard, daß er Jenny’s Liebe gewonnen, und war einen Augenblick nahe daran, ganz von dieser Unterhaltung abzubrechen und mit keinem Zweifel ein Herz zu beunruhigen, das für ihn, wie er fühlte, hoffnungslos verloren sei. Indeß war Jenny ihm zu theuer, als daß er sie ohne Besorgniß auf einem Pfade sehen konnte, dessen Ziel ihm für ihre Ruhe durchaus gefährlich schien, und er hielt es für recht und nöthig, bei einem so wichtigen Schritte, an dessen Ausführung er, wie er die Verhältnisse kannte, nicht mehr zweifelte, die Stimme der Warnung ernstlich geltend zu machen.
Verkenne mich nicht, sagte er, wenn ich an die Möglichkeit Deiner ernstlichen Bekehrung zweifle. Du sagst mir, mit Theresens und Reinhard’s Ueberzeugung müsse man glücklich sein. Hast Du diese Ueberzeugung?
Nein, antwortete Jenny.
Aber Du glaubst auch, daß Gott über uns lebt, daß er unser Schicksal lenkt, daß uns nichts begegnen könne, ohne seinen Willen, daß er allweise und allgütig ist, daß er uns liebt?
Gewiß, das glaube ich.
Du glaubst, daß wir eine unsterbliche Seele haben? denn das scheint eine von den Ueberzeugungen zu sein, die Du am tröstlichsten findest.
Joseph, fiel Jenny rasch ein, sieh! wenn ich an die Unsterblichkeit der Seele zu glauben vermöchte, wenn mir das bewiesen werden könnte, so daß ich es einsehen, es begreifen könnte, dann wäre ich schon glücklich. Es ist so furchtbar, Dasjenige auf das bloße Wort eines Andern glauben zu müssen, was uns zur unwandelbaren, felsenfesten Ueberzeugung werden muß, wenn wir nicht beständig in Todesangst erzittern sollen bei dem Gedanken, daß einer unserer Lieben uns entrissen werden könne. Aber bewiesen muß es mir werden, daß ich es erfassen kann mit der Vernunft. Daß Ihr mir sagt: Glaube, wir sind unsterblich, das genügt mir nicht, das vermag ich nicht.
Du vermagst nicht zu glauben, und willst Christin werden? zu einer Religion übertreten, die, ganz auf Offenbarungen fußend, voll von Mysterien, nur durch den Glauben besteht, in Allem, was nicht Moral oder Philosophie ist? Was ist Dir der Sohn Gottes, der Mensch gewordene Gott ohne den Glauben? Wie kann Dich die Anwesenheit Christi im Abendmahle erheben, wenn Du nicht zu glauben vermagst? Oder meinst Du, man könne Dir die Gegenwart Christi im Sakramente beweisen? es gäbe eine Erklärung für die Kindschaft Jesu? Kannst Du den heiligen Geist, die Dreieinigkeit begreifen? Man wird Dir ein Bild dafür geben, aber wer gibt Dir die Fähigkeit zu glauben, dieses Bild sei Wahrheit?
O Gott! nicht weiter, rief Jenny weinend aus, nicht weiter, Joseph! mache mich nicht haltlos.
Doch! mein Kind! denn wie mein Kind, oder wie eine Schwester liebe ich Dich, sagte Joseph mit bebender Stimme, sich selber überwindend, doch! — Du mußt mit Dir selbst einig werden. Du weißt, das viele Sprechen ist nicht meine Sache; um Dich aber aufzuklären über Dich selbst, müssen wir aufrichtig mit einander sein. Den Glauben an Gott, die Lehren, recht zu thun und dem Nächsten zu dienen, enthält das alte Testament, und Du findest sie veredelt und einer höhern geistigen Entwickelung entsprechend im neuen Testamente wieder; und Mahomet und Zoroaster lehrten sie — denn sie sind begründet in der Seele, die uns Gott gegeben. Darüber hinaus ist alles Menschensatzung. Und Du, großgezogen in den Vorstellungen des jetzigen Judenthums, wirst nie aufhören, an Alles den Maßstab der Vernunft anzulegen. Du hast gesehen, daß Deine Familie, gut und brav, den Gesetzen der Moral gefolgt ist, und doch die Gesetze, die das Judenthum charakterisiren, als bloßes Ceremonialgesetz verwirft. Du bist erzogen in der Schule des Gedankens, wenn ich so sagen darf, und Dir ist die Möglichkeit des Glaubens ohne Prüfung dadurch genommen. Du wirst hoffentlich ein Mensch werden nach dem Herzen Gottes, aber Du wirst niemals Christin sein noch Jüdin. Wie wir Juden jetzt in religiöser Beziehung denken, gibt es keine positive Religion mehr, die für uns möglich ist, und wir theilen mit Tausenden von Christen die Hoffnung, daß eine neue Religion sich aus den Wirren hervorarbeiten werde, deren Lehren nur Nächstenliebe und Wahrheit, deren Mittelpunkt Gott sein muß, ohne daß sie einer mystischen Einhüllung bedürfen wird.
Joseph hielt inne, und auch Jenny schwieg. Endlich fragte sie leise: Und was soll aus mir werden? Was soll ich denn beginnen, wenn ich nicht glauben kann?
Joseph, der neben ihr auf dem Divan saß, zog sie sanft an sich und sagte mit dem mildesten Tone, dessen seine Stimme fähig war: Du sollst Dich prüfen, ob Du ohne Reinhard nicht glücklich zu sein vermagst, denn nur ihn suchst Du im Christenthume. Du sollst prüfen, ob Reinhard Dir eine so feste Stütze im Leben werden kann, als die Deinen? Reinhard ist gut und brav, aber ich fürchte, Ihr Beide werdet einander nie verstehen — und am Ende wirst Du Deinem Herzen folgen. Das allein entscheidet zuletzt das Schicksal der Frauen. Gott gebe, daß Dein Herz Dich niemals irre leitet.
Er küßte mit den Worten Jenny’s Stirn, sie lehnte ergriffen und verschämt den Kopf an seine Schulter, da klopfte es an die Thüre und Reinhard trat in’s Zimmer. Er blieb erschreckend stehen, Jenny erhob sich nicht weniger erschrocken und eilte schnell hinaus, nur Joseph war ruhig und hieß den Gast willkommen. Dadurch gewann Reinhard Zeit, sich zu fassen; einen kurzen Moment schien er zu überlegen, dann ging er schnell und leidenschaftlich bewegt auf Joseph zu und sagte: Ich kenne Sie nicht genau genug, um eigentlich eine solche Frage an Sie richten zu dürfen. Sie könnten mich der Zudringlichkeit beschuldigen, aber mein Lebensglück hängt von der Frage ab: Wie stehen Sie mit Jenny?
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