Sie schrieb einige Worte auf ein Stückchen Papier, legte dies in das Buch und packte das Ganze in einen Umschlag. Dann warf sie das kleine Paket in einen an der Wand befindlichen Kasten.
Saltner sah ihr verwundert zu.
»Das ist die pneumatische Post nach der Werkstatt«, sagte La erklärend. »Es wird nicht lange dauern, so bekommen wir die Kopien des Buches, aber nicht in Ihrem ungeschickten Format, sondern in unserer hübschen Tafelform.« Sie erläuterte das Gesagte durch verschiedene Handbewegungen.
»Und wer besorgt denn dies?« fragte Saltner.
»Wer von den Technikern gerade an der Reihe für den Tag ist. Die Arbeitszeit wechselt in geregelter Ablösung. Jeder hat seinen besonderen Tätigkeitskreis. Ich zum Beispiel muß mich mit der Erlernung der schrecklichen Menschensprachen quälen. Haben Sie mich verstanden?«
Da Saltner noch ein ziemlich fragendes Gesicht machte, wiederholte sie die Antwort noch einmal, zu seiner Verwunderung in zwar etwas seltsamem, aber doch verstehbarem Deutsch.
»Sie sprechen ja deutsch, La La!« rief er aus.
»Sie haben nicht aufgepaßt«, sagte sie lachend. »Die Worte sind ja alle heute in unserm Pensum vorgekommen. Wir wollen es repetieren.« Sie ging an den Tisch und drückte auf den Knopf des Grammophons.
Man hörte sogleich die Worte wieder, die La zu Se bei ihrer Verabschiedung gesprochen hatte. La zog sich nun auf ihren Diwan zurück, stellte die Abarie ab und winkte Saltner, sich zu setzen.
Es war ihm ganz seltsam zumute, als er so seine eigene Stimme, jedes Wort mit der eigenen Betonung, jeden Sprachfehler – dazwischen das tiefe, halblaute Organ Las und ihr leises Lachen – wieder vernahm. Die schräg einfallenden Sonnenstrahlen rückten bis an Las Ruhestätte und entzündeten ein seltsames Farbenspiel zwischen den losen Wellen ihres Haares, sie spielten als ein Meer von Funken auf den glitzernden Fäden ihres Schleiers, die sich bei ihren Atemzügen leise hoben und senkten. War er noch er selbst, oder war er in ein fernes Geisterreich entrückt und mußte er nun sein eigenes Leben an sich vorüberziehen lassen?
»Nicht träumen«, sagte La halblaut, »aufpassen.«
Nun hörte er wieder auf die Worte ihrem Sprachsinn nach, er repetierte.
Da klapperte es an dem Postkasten.
»Da sind unsere Bücher«, sagte La. »Stellen Sie, bitte, das Grammophon ab, und öffnen Sie den Kasten.«
Saltner vollzog den Auftrag. Er enthob dem Kasten ein Paket, das die Kopien des Sprachführers enthielt. La nahm das Original heraus und gab es Saltner.
»Hier«, sagte sie, »bringen Sie dies Ihrem Freund zurück, mit bestem Dank. Und wenn es Ihnen recht ist, arbeiten wir am Nachmittag noch einmal.«
»Verfügen Sie vollständig über mich«, sagte Saltner mit einem bewundernden Blick. Eine vornehme Handbewegung verabschiedete ihn.
Die Sprachstudien fanden am Nachmittag eine unerwartete Unterbrechung.
Eben wollte Saltner, der mit Grunthe zusammen gespeist hatte, sich wieder in den Salon begeben, als Ra bei ihnen eintrat, um ihnen eine Mitteilung zu machen, die beide Forscher aufs Lebhafteste erregte.
Die Martier hatten auf ihren Jagdbooten das Binnenmeer und seine Ufer noch weiter nach Spuren der Expedition abgesucht. In einem der Fjorde, welche sich ungefähr in der Richtung des 70. Meridians westlicher Länge von Greenwich verzweigten, am Fuß eines unmittelbar in das Wasser abfallenden Gletschers, hatte man den bisher vermißten Fallschirm der Expedition gefunden, zwischen losgebrochenen Eisschollen treibend. Derselbe mußte so nahe am Ufer niedergefallen sein, daß es wohl denkbar war, ein an demselben hängender Mensch hätte sich auf den Gletscher retten können. Die Martier hatten das Land selbst nicht betreten können; ohne besondere maschinelle Vorrichtungen war ihnen dies überhaupt nicht möglich.
Saltner sprang auf und bat dringend, ihn sofort an Ort und Stelle zu bringen. Hier war eine Möglichkeit gegeben, daß Torm doch noch am Leben und zu retten sei. Daß der Fallschirm in so weiter Entfernung vom Ballon gefunden war, und zwar an einer Stelle, über die der Ballon nicht geflogen sein konnte, ließ sich nur dadurch erklären, daß Torm den Schirm vom Ballon getrennt hatte. Dann konnte die in den unteren Luftschichten herrschende Windströmung den langsam fallenden Schirm sehr wohl bis dorthin getrieben haben. Aber ob sich Torm an dem Schirm befunden hatte? Vermutlich hatte er sich mit demselben niedergelassen; aus welchen Gründen ließ sich nur unsicher vermuten. Vielleicht hatte er den Ballon dadurch zu retten gedacht, daß er ihn um sich selbst erleichterte; vielleicht auch hatte er die Gefährten für erstickt gehalten und für sich selbst ein letztes Rettungsmittel versucht, ehe der Ballon wieder über das Meer hinaustrieb. Jedenfalls mußte man alles daransetzen, etwaige Spuren von Torm aufzufinden.
Ra stellte Saltner bereitwillig ein Boot und Mannschaft zur Verfügung, sagte aber sogleich, daß die Martier zu einer Untersuchung des Gletschers selbst sehr wenig geeignet seien. Sie würden jedoch für einige Apparate sorgen, die zum Transport etwaiger Lasten oder auch von Personen mit Vorteil benutzt werden könnten. Insbesondere aber schlüge er ihm vor, die beiden Eskimos, welche sich auf der Station aufhielten, Vater und Sohn, mitzunehmen. Sie leisteten den Martiern gute Dienste bei Arbeiten und Transporten im Freien, bei denen es menschlicher Muskelkraft bedürfe, und könnten ihn gewiß bei einer etwaigen Besteigung des Gletschers unterstützen.
Nach einer halben Stunde war das Boot bereit. Da Saltner sich nicht auf die ihm unbekannten Apparate der Martier verlassen wollte, hatte er sich mit seinem eigenen Seil und seinem getreuen, glücklich geretteten Eispickel versehen, die ihn schon bei so mancher schwierigen Klettertour in den Gebirgen seiner Heimat begleitet hatten.
Saltner war nicht wenig erstaunt, als er in dem langen, elegant gebauten Boot neun riesige Kugeln von etwa einem Meter Durchmesser erblickte, die Kopfhüllen der Martier, die ihnen direkt auf den Schultern saßen. Sie sahen dadurch wie seltsame Karikaturen aus. Der Führer des Bootes stand am Land und begrüßte Saltner, worauf er sich mühsam an Bord begab und nun ebenfalls seinen Kugelhelm aufsetzte. Die beiden Eskimos befanden sich schon im Boot und lösten das Seil, sobald der Führer eingestiegen war. Sie verstanden nicht recht seine Handbewegung, und das Boot begann von der Landestelle abzutreiben, gerade als Saltner seinen Fuß auf den Rand desselben setzte. Die Martier, welche glaubten, er müsse unfehlbar ins Wasser stürzen, winkten lebhaft mit ihren Armen, während er selbst sich mit einem leichten Schwunge vom Ufer abstieß und gewandt in das Boot sprang. Für einen geschickten Turner war dies eine Kleinigkeit, erregte aber bei den Martiern offenbare Anerkennung. Unter dem Einfluß der Erdschwere wäre diese Leistung keinem von ihnen möglich gewesen.
Kaum hatte Saltner einige Schritte getan, indem er sich nach einem passenden Platz umsah, als einer der Martier seine große Kugel von der Schulter nahm und an ihrer Stelle der anmutige Kopf Las zum Vorschein kam. Sie sah ihn mit ihren großen Augen heiter an und nickte ihm freundlich zu.
»Wie kommt es, daß Sie hier sind, La La?« sagte Saltner, in seiner Überraschung deutsch sprechend. »Sie scheuen doch die Schwere draußen. Diese Fahrt ist gewiß sehr anstrengend für Sie?«
»Ganz richtig«, antwortete La ebenfalls deutsch, »ich tue es nicht zum Vergnügen. Ich bin im Dienst. Wie wollen Sie verstehen diese Nume? Wie wollen Sie verstehen diese Kalalek? Ich bin als Dolmetscher hier«, fügte sie auf martisch hinzu.
»Das ist wahr, an diese Schwierigkeit habe ich gar nicht gedacht. Aber wie leid tut es mir, daß Sie sich so bemühen müssen. Freilich, was könnte ich mir Besseres wünschen – doch wollen Sie nicht Ihren Helm wieder aufsetzen?« La schüttelte den Kopf. Aber sie schlug hinter ihrem Platz eine Lehne mit weichem Polster in die Höhe und stützte dort ihr Haupt auf. So lehnte sie sich zurück und ließ ihre Augen prüfend über das Boot und die ganze Umgebung wandern.
Mit großer Geschwindigkeit durchschnitt das Boot die leise bewegten Wellen der Bucht und hatte in etwa zehn