»Aber Hil hat es verboten«, erwiderte La. »Es könnte schädlich wirken.«
»Ach, ich habe es drüben auch so gemacht, auf kurze Zeit tut es dem Bat nichts. Hast du ihn denn schon gefüttert?«
»Nein, wie konnte ich?«
»Und doch ist es nötig, meint auch Hil. Und so lange müssen wir mindestens uns frei bewegen können. Also, auf meine Verantwortung.«
Se stellte den Apparat auf die normale Marsschwere ein. Die beiden Damen erhoben sich und atmeten erleichtert auf.
In demselben Augenblick wollte Grunthe eine Bewegung ausführen, aber sein Arm fuhr plötzlich viel höher, als er beabsichtigt hatte. Sogleich probierte er die Bewegung noch einmal und konstatierte, daß alle seine Gliedmaßen sowie die Decke seines Bettes viel leichter geworden waren. Er suchte nach einem Gegenstand, den er in die Höhe werfen wollte, um das wunderbare Phänomen zu studieren. Da er jetzt trotz des Verbandes an seinem Fuß den Oberkörper leicht aufrichten konnte, erblickte er auf einem Wandbrett über seinem Lager einige Gegenstände, die ihm gehörten; man hatte sie offenbar in seinen Taschen gefunden. Er ergriff sein Taschenmesser, hielt es so hoch wie möglich über den Boden und ließ es fallen. Er konnte den Fall bequem mit den Augen verfolgen; es dauerte eine Sekunde, ehe das Messer den Boden erreichte. Grunthe schätzte die Höhe und sagte sich: Die Schwerkraft ist geringer geworden, und zwar beträgt sie nur etwa ein Drittel soviel wie gewöhnlich. Das ist die Schwere auf dem Mars. Und wieder mußte er an Ell denken, der so oft gesagt hatte: »Von der Schwere frei werden, heißt das Weltall beherrschen.«
Auf das leichte Geräusch, welches das Auffallen des Messers erzeugte, hatte Se den Wandschirm beiseite geschoben und war mit La auf Grunthe zugetreten. Dieser hatte seine Aufmerksamkeit nicht mehr auf den Schirm gerichtet und schrak daher mit einer Bewegung der Überraschung zusammen, als er plötzlich die beiden schönen Martierinnen vor sich sah. Kaum hatte er erkannt, daß sich zwei lebendige weibliche Gestalten ihm näherten, so legte er sich mit eisiger Miene zurück und heftete die Augen starr an die Decke. Da er La und Se nicht anzusehen wagte, konnte er nicht bemerken, mit welch freundlichen und teilnahmsvollen Blicken sie ihn betrachteten. Nur an dem Ton der Stimmen, mit welchem sie in ihrer Sprache einige Worte an ihn richteten, erkannte er die gute Gesinnung. La zupfte ihm die Decke zurecht, Se aber beugte sich über ihn und sah mit ihrem leuchtenden Blick tief in seine Augen. Diese Damengesellschaft war ihm schrecklich; lieber hätte er sich von feindlichen Wilden umgeben gesehen. Ach, und nun fühlte er eine weiche Hand auf seinem Kopf, Se streichelte sein Haar – unwillig stieß er die Hand zurück.
»Armer Mensch«, sagte Se, »er scheint noch ganz verwirrt. Wir müssen ihm vor allen Dingen zu trinken geben.« Sie legte die Hand wieder auf seine Stirn und sagte: »Fürchte dich nicht, wir tun dir nichts, armer Mensch.«
»Ko bat«, so lautete das letzte Wort Ses in ihrer Sprache, »Ko bat« – es wirkte überraschend auf Grunthe –, das war einer der seltsamen Ausdrücke Friedrich Ells. So pflegte Ell zu sagen, wenn er mit einer seiner wunderlichen Ansichten nicht durchdringen konnte, wenn er sein Mitleid mit dem Mangel an Verständnis bei den Menschen bezeichnen wollte. Oft hatte ihn Grunthe gefragt, wo diese Redensart herstammen wie er dazu käme. Dann hatte Ell immer nur still gelächelt und wiederholt: »Ko bate, das versteht ihr nicht, arme Menschen!« Diese Erinnerungen waren mit dem Wort in Grunthe wieder aufgetaucht. Er verhielt sich jetzt ganz ruhig.
Inzwischen hatte La ein Trinkgefäß herbeigeholt, mit dem wunderbaren Nektar der Martier gefüllt. Die Martier tranken stets durch einen mit Mundstück versehenen Schlauch, der in dem Gefäß befestigt war, und dieses Mundstück versuchte La jetzt Grunthe zwischen die Lippen zu schieben. Aber das war vergebliches Bemühen, Grunthe hielt sie fest geschlossen und wandte sein Gesicht zur Seite.
»Die Bate sind aber unliebenswürdige Geschöpfe«, sagte La lachend.
»Oh«, entgegnete Se, »Saltner war ganz anders, der redete gleich!« Grunthe hatte den Namen erfaßt, jetzt öffnete er zum ersten Mal die Lippen.
»Saltner?« fragte er, ohne jedoch Se anzublicken.
»Ach«, sagte Se, »siehst du, er kann hören und sprechen. Nun paß auf, nun werde ich einmal mit ihm reden.«
Sie schlug den Arm freundschaftlich um Las Schulter und stellte sich nahe an das Lager. Dann sagte sie mit großer Anstrengung ihres Sprachorgans die von Saltner gelernten deutschen Worte: »Saltner deutsch Freund trinken Wein, Grunthe trinken Wein, deutsch Freund.«
Grunthe warf jetzt einen erstaunten Blick auf die deutsch redende Martierin, während La über die Worte, die ihr furchtbar komisch vorkamen, kaum ihr Lachen verbergen konnte. Auch Grunthe war im Begriff zu lächeln, als er aber die beiden verführerischen Gestalten so nahe vor sich erblickte, starrte er sofort wieder an die Decke, antwortete jedoch in höflichem Ton:
»Wenn ich recht verstehe, so ist auch mein Freund Saltner gerettet. Sagen Sie, bitte, wo ich hier bin.«
»Trinken Wein, Grunthe«, wiederholte Se dringend, und La hielt ihm das Mundstück vor das Gesicht.
Grunthe nahm jetzt die dargebotene Erfrischung. Und bald fühlte er sich durch das Getränk aufs angenehmste erquickt und belebt. Er bedankte sich und richtete noch einige Fragen an Se, aber ihre Sprachkenntnisse waren nunmehr erschöpft. Grunthe sah ein, daß er die Gebärdensprache zu Hilfe nehmen müsse, und so mußte er sich wohl oder übel entschließen, die beiden Martierinnen anzusehen. Er deutete auf sie hin, dann auf das Bild, und sagte auf gut Glück: »Mars? Mars?«
Das Wort hatte Se behalten. Sie wiederholte es bejahend: »Mars, Nu!« Und auf La und sich hinweisend sagte sie, hochaufgerichtet: »La, Se, Nume!«
Nume! Das war’s! Das war das Wort, das Ell ihm gesagt hatte: Grüßen Sie die Nume!
Nume also nannten sich die Martier, und Ell hatte das gewußt – das gab Grunthe soviel zu denken, daß er momentan seine Umgebung vergaß. Um in seinem Nachdenken nicht gestört zu werden, schloß er die Augen, und sein Gesicht nahm wieder den starren Ausdruck an.
Se wollte ihn fragen, ob er essen wolle, aber das deutsche Wort, das sie sich von Saltner hatte sagen lassen, war ihr entfallen. Da Grunthe hartnäckig die Augen geschlossen hielt, begab sie sich in den Hintergrund des Zimmers, um eine Mahlzeit zu bereiten. Denn dies geschah in jedem Zimmer sehr einfach und schnell durch die elektrische Küche. La zog es indessen vor, sich einen Sessel herbeizuziehen und neben dem Lager Platz zu nehmen. Sie musterte aufmerksam die Gegenstände, welche man bei Grunthe gefunden hatte, und spielte mit einem kleinen Buch, das sich unter denselben befand. Es war eine Anweisung zum Verkehr in der Eskimosprache und zeigte als Titelvignette einen fein ausgeführten Holzschnitt, einen Eskimo in seinem Kajak auf wildbewegtem Meer dem Fischfang abliegend.
»Oh, sieh!« rief sie Se zu, »hier ist ein Kalalek in seinem Kajak.« Die beiden Eskimoworte schlugen verständlich an Grunthes Ohr und weckten ihn aus seinem verworrenen Hinbrüten. Sollten die Martier vielleicht das Grönländische erlernt haben? Er sagte sich, daß dies ja leicht möglich sei. Er selbst hatte sich zum Zweck der Reise das Notwendigste für den Verkehr angeeignet und fragte daher:
»Ich spreche einige Worte der Eskimos. Verstehen Sie mich?«
Se wußte nicht, was er meinte. La aber hatte schon seit einiger Zeit ihre Studien auf die Sprache der einzigen Menschen gerichtet, die den Martiern bisher begegnet waren. Sie verstand ihn und antwortete:
»Ich verstehe ein wenig.«
»Wo sind meine Freunde?« fragte Grunthe.
»Es ist nur einer da. Er ist in einem andern Zimmer.«
»Kann ich zu ihm?«
»Er schläft, aber man wird Sie dann zusammenbringen.«
»Wie kommen Sie vom Nu auf die Erde?«
La wußte die Antwort nicht auszudrücken. Sie fragte dagegen:
»Was wollt ihr hier?«
Grunthe