Wir brauchten gar nicht abzusteigen, denn unsere Pferde fielen augenblicklich nieder. Ihre Flanken schlugen; ihre Mäuler geiferten; ihre Zungen hingen weit heraus, und ihre Augen hatten sich geschlossen.
»Die Decken herunter!« rief ich. »Reibt die Pferde; schlagt sie mit Ruten, damit sie nicht erfrieren! Wir müssen sie erhalten; wir können ohne sie nicht weiter.«
Bei diesen Worten riß ich meine Decke auseinander und schnitt einige belaubte Zweige vom nächsten Busche. Winnetou folgte ohne Zögern meinem Beispiele.
»Die armen Tiere mit Ruten peitschen?« fragte Emery, indem er uns erstaunt anblickte.
»Jawohl! Nimm schnell die Decke, und reib dein Pferd, besonders die Brust!«
»Damit es nicht erfriert?«
»Ja, ja doch!«
»Unsinn! In dieser Glut und Hitze!«
»Warte es ab! Hier hast du Ruten von mir.«
Er nahm sie, indem er mich ganz verwundert anblickte, und sagte dann:
»Warum reitet Ihr so weit ins Gebüsch hinein? Konntet ihr nicht dort am Bache halten? Wasser ist doch das, was wir am notwendigsten brauchen!«
»Das wirst du bald sehen. Thue jetzt nur schnell das, was wir thun!«
Ich rieb mein Pferd aus Leibeskräften, der Apatsche das seinige auch. Obgleich der Englishman uns nicht begreifen konnte, folgte er unserm Beispiele.
Und da – da brach es los! Es klang wie ein Posaunen- oder Tabaton über uns durch die Lüfte; dann erschallten hundert und tausend pfeifende, heulende, zischende und schrillende Stimmen. Es erfaßte uns eine furchtbare Glut, und darauf folgte ganz plötzlich eine Kälte, die nur dem Nordpole entstammen konnte. Die Kälte kannte ich; in ihr lag die Gefahr für unsere Tiere. Ich peitschte mein Pferd mit den Ruten, natürlich nicht, um ihm Schmerz zu bereiten, sondern um sein Blut an der Oberfläche des Körpers zurückzuhalten. Winnetou that desgleichen, und Emery, welcher nun wußte, um was es sich handelte, blieb nicht zurück.
Die Kälte hielt höchstens eine Minute an, aber sie war so scharf, so stechend, daß die eine Minute unsern Pferden nach den Anstrengungen, welche sie hinter sich hatten, und bei dem erhitzten Zustande, in welchem sie sich befanden, unbedingt das Leben gekostet hätte. Das Schlagen und Reiben ließ auch uns die Kälte weniger empfinden.
Dann wurde es plötzlich ebenso heiß wie vorher; der Posaunenton und die tausend Stimmen in der Luft waren verschwunden; dafür gab es ein gewaltiges Rauschen in derselben; sie war undurchsichtig geworden. Ich konnte Winnetou und Emery kaum sehen, und obgleich ich wußte, daß sie es nicht hören konnten, rief ich ihnen zu:
»Werft euch nieder, mit dem Kopf nach Norden! Haltet euch an, sonst reißt euch der Sturm mit sich fort!«
Ja, die Vorboten waren vorüber, und nun kam der Hurrikan selbst. Die Luft war mit Sand gefüllt, der in jede Oeffnung drang; ich hatte binnen einigen Sekunden die Augen, Ohren und die Nase voll, trotzdem ich das Gesicht in die Decke gesteckt hatte. Man konnte nur mit größter Mühe atmen; es war fast zum Ersticken.
Das währte ungefähr drei Minuten; dann war es vorüber. Auf uns lag eine acht bis zehn Zoll hohe Sanddecke; aber die Luft war plötzlich rein und klar; wir erhoben uns, um sie mit Wonne einzuatmen.
Da sahen wir vor uns im Süden ein eigentümliches Bild. Trotz der Reinheit und Klarheit der Luft erblickten wir nämlich dort keinen Himmel, sondern wo dieser sein Sollte, gab es eine weite Sandebene, an deren äußerstem Rande ein hoher, dürrer, fast astloser Baum stand.
»Eine Fata Morgana!« rief Emery.
»Ja, das ist das trügerische Bild des Llano estacado, welches dem Sturme oft vorangeht oder ihm nachfolgt,« sagte der Apatsche.
»Der Baum, an welchem wir vorhin vorübergekommen sind, steht verkehrt am Himmel!«
»Das ganze Bild ist ein Deckenbild mit verkehrten Gegenständen. Wir erblicken die Gegend, welche südlich von uns liegt. Gäbe es Menschen, welche sich geradeso entfernt im Norden von uns befänden, so würden diese jetzt uns sehen, oder sie hätten uns vielleicht schon vor dem Sturme kommen sehen. Die Mirage entsteht durch zwei Luftschichten von verschiedener Wärme und Dichtheit und malt ihre Gemälde in sehr verschiedener Weise. Aber seht nicht nach diesem Bilde, welches gleich verschwinden wird, sondern nach den Pferden. Die Erschöpfung, Erhitzung, dann die Kälte, der Sturm, die darauf folgende abermalige – Hitze wir müssen sie noch längere Zeit tüchtig reiben und dann versuchen, ob sie erst stehen und dann laufen können.«
Dies geschah. Nach einer Viertelstunde hatten wir die armen Tiere soweit, daß sie standen. Wir stiegen auf und ritten sie wohl zehn Minuten lang in der Nähe herum; sonst wären sie wohl steif geblieben; aber trinken durften sie noch nicht. Wir befreiten einen Rasenstreifen von dem daraufgewehten Sande und ließen sie einstweilen fressen.
Nun erst konnten wir an uns denken. Wir säuberten uns und alle unsere Sachen von dem Sande. Während dieser Arbeit hatten wir uns niedergesetzt und unterhielten uns.
»Ihr kanntet den Baum und auch den Hügel da drüben,« meinte der Englishman. »Und du, Charley, wußtest, daß hinter dem Baume der Bach kommen würde? Seid ihr denn schon einmal hier gewesen?«
»Ja.«
»Warum hieltet ihr nicht am Bache an?«
»Weil wir soweit wie möglich in das Gebüsch eindringen mußten. Je mehr Büsche wir hinter uns hatten, destoweniger konnte uns der Sturm anhaben. Hätte er uns draußen im Freien getroffen, so wären wir hinweggefegt worden. Zum Glück für uns war der heutige nicht sehr heftig.«
»So, hm! Die Gegend muß von großem Interesse für euch sein, da ihr sie so schnell erkanntet?«
»Allerdings. Wenn du den alten, dürren Baum betrachtest, so siehst du, daß nicht das Alter die Schuld daran trägt, daß er abgestorben ist, sondern das Feuer.«
»Ah! Ein Waldbrand am Rande des Llano estacado?«
»Keineswegs. Das Feuer war ein Freudenfeuer für die Komantschen und ein Schmerzensfeuer für mich und Winnetou.«
»Wetter. Wollten die Kerle euch etwa braten?«
»Ja; nicht nur uns, sondern noch vier Gefährten, welche wir bei uns hatten.«
»Mensch, davon weiß ich ja nicht das geringste! Erzähle!«
»Winnetou und ich kamen von der Sierra Guadelupe herunter und wollten über die wüsten Staked Plains nach Fort Griffin hinüber. Wir kannten die Wüste und fürchteten sie also nicht, zumal wir uns Proviant und zwei Schläuche Wasser mitgenommen hatten. Auf halbem Wege trafen wir mit vier Personen zusammen, welche vom Fort Davis unten kamen und hinauf nach Fort Dodge wollten – —«
»Ein eigentümlicher und gefährlicher Weg! Vom Rio Grande bis hinauf an den Arkansas! Das sind ja in der Luftlinie gegen sechshundert Meilen! Und dabei lang durch die Wüste des Llano! Konnten sie denn keinen Umweg durch besseres Land machen?«
»Das konnten sie nicht nur, sondern das hätten sie eigentlich thun sollen; aber sie verstanden es nicht, und diejenigen, von denen sie geschickt worden waren, verstanden es noch weniger. Ich erfuhr soviel, daß es sich um ein bedeutendes Geschäft handle, bei welchem ein großes Geld zu machen sei, wenn es schnell abgeschlossen werde. Es war also keine Zeit zu verlieren; darum hatten die Boten die Anweisung bekommen, den geraden Weg einzuschlagen, welcher bekanntlich durch den wilden Llano führt. Die Boten waren zwei junge Kaufleute, welche von dem Westen nichts kannten. Darum hatte man ihnen zwei Jäger mitgegeben, welche zwar schon einmal im Llano gewesen waren, aber nicht weit hinein; am allerwenigsten aber wußten sie, wie man von Süd nach Nord durch denselben kommt.«
»Welch eine Dummheit! Sie hätten den Rio Grande hinabfahren, nach New Orleans schiffen und dann den Missisippi und Arkansas hinaufdampfen sollen.«
»Ja. Oder sie konnten den Rio Grande hinauf und durch Neu Mexiko nach Santa Fé gehen, um von da aus hinüber nach der Arkansasstraße