»Erhebe dich, mein Lieber! Es ist ein Cavallero da, welcher höchst notwendig mit dir zu sprechen hat. Ich werde ihm eine Cigarette drehen.«
Unter dem Sitze des Papageies war ein Kästchen angebracht, in welchem sich Tabak und Cigarettenpapier befand. Sie nahm eines dieser Papiere in den Mund, um es mit Speichel anzufeuchten, legte eine Prise Tabak darauf und drehte beides mit ihren niedlichen Fingern in Raupenform, brannte diese Raupe an ihrem Stummel an und reichte sie mir dann mit einem herzgewinnenden Lächeln zu.
Hm! Das Anfeuchten! Diese Fingerchen, bei deren melierter Färbung man im unklaren war, ob sie in Handschuhen steckten, oder einen sonstigen Ueberzug hatten! Und dazu der Ort, an welchem sich der Tabak befand, gerade unter dem Papagei! Kurz und gut, ich nahm die Cigarette zwar mit einer tiefen Verbeugung an, hütete mich aber, sie nach dem Munde zu führen.
Indessen hatte sich im Hintergrunde eine Bewegung geltend gemacht, welche mich veranlaßte, dieser Richtung meine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die zweite Hänge- Hängematte geriet ins Schaukeln, und aus ihr entwickelte – ich sage mit vollster Absicht, entwickelte – sich eine lange, ewig lange und erschrecklich hagere Gestalt, welche mit langsamen, unhörbaren, geisterhaften Schritten auf mich zukam, vor mir stehen blieb und mich in einem hohlen Bauchrednertone fragte:
»Wieviel Sporteln sind Sie bereit zu zahlen, Sennor!«
»Ich zahle nach dem Werte der Antworten, welche ich erhalte,« antwortete ich.
Der ewig Lange drehte sich nach seinem jungen Weibe um und meinte unter einer gräßlichen Gesichtsverzerrung, welche jedenfalls ein freundliches Lächeln sein sollte:
»Hörst du es, mein Täubchen? Er zahlt nach dem Werte. Da aber alles, was ich sage, für jedermann von hohem Werte ist, so bitte ich dich, dem Sennor noch eine Cigarette zu drehen.«
Sie folgte dieser Aufforderung mit sichtbarem Vergnügen, und als ich dann zwei von ihr angebrannte, zwischen meinen Fingern aber wieder ausgelöschte Tabakswürmer in der Hand hielt, forderte mich ihr edler Ehegemahl auf:
»Nun tragen Sie mir getrost und mit Vertrauen Ihre Wünsche vor, Sennor! Sie stehen vor dem besten Ihrer Freunde.«
Auch der Papagei ließ so zarte und sanfte Schluchzer und Gluchzer hören, daß mir ganz wonnig zu Mute wurde. Ich befand mich jedenfalls den beiden besten und edelsten der Menschen und dem traulichsten der Papageien gegenüber und erkundigte mich also mit hingebendster Offenheit:
»Ist Ihnen vielleicht der Name Timoteo Pruchillo bekannt, Sennor?«
»Nein. Auch dir nicht, mein Täubchen?«
»Nein,« antwortete das Täubchen.
»Ich suche eine Hazienda del Arroyo, welche nicht sehr weit von Ures zu liegen scheint. Vielleicht können Sie mir Auskunft erteilen?«
»Nein. Auch du nicht, mein Täubchen?«
»Nein,« echote das Täubchen.
»Timoteo Pruchillo hat deutsche Emigranten kommen lassen, welche auf seiner Hazienda arbeiten sollen. Wer hat diese Leute zu beschützen, falls er es nicht ehrlich mit ihnen meint?«
»Ich nicht, Sennor.«
»Aber wer denn sonst?« fragte ich.
»Deutschland mit seinen Gesandtschaften oder Konsulaten.«
»Giebt es hier ein Konsulat?«
»Nein.«
»Aber wenn diese Leute in Not oder gar Gefahr kommen, so muß doch jemand hier sein, der sich ihrer annimmt!«
»Nein, es ist niemand da.«
»Aber, Sennor, selbst angenommen, daß die Leute rechts- und schutzlos sind, weil kein Vertreter ihres Vaterlandes sich im hiesigen Distrikte befindet, so ist doch zu erwarten, daß ein Mexikaner, falls er unehrlich oder gar noch schlimmer an ihnen handelte, von der hiesigen Behörde zur Verantwortüng gezogen würde?«
»Nein, Sennor. Was mit Ausländern geschieht, geht mich nichts an.«
»Wenn nun ein Bewohner Ihres Distriktes einen Deutschen tötete, was würden Sie da thun, Sennor?«
»Nichts, gar nichts. Meine Unterthanen machen mir soviel zu schaffen, daß ich mich mit Angehörigen fremder
Länder nicht befassen kann. Mit ausländischen Personen, Angelegenheiten, Verhältnissen und Dingen können wir uns unmöglich abgeben. So etwas dürfen Sie von uns nicht verlangen. Wünschen Sie sonst noch etwas, Sennor?«
»Nein, Ihre bisherigen Antworten haben mich aller weiteren Fragen enthoben.«
»So werde ich Sie entlassen, sobald Sie den Wert meiner Auskünfte anerkannt haben.«
»Ja, anerkannt haben,« stimmte die Sennora in bezauberndem Tone bei, wozu der Papagei ein allerliebstes, halblautes Klingen und Singen hören ließ.
»Ich werde Sie über diesen Wert auf das gewissenhafteste aufklären,« antwortete ich. »Da Sie immer nur mit »Nein« geantwortet haben, besitzen Ihre Antworten für mich leider nicht eine Spur von Wert.«
»Wie? Was? Wollen Sie damit sagen, daß Sie nichts zahlen wollen?«
»Allerdings.«
Er trat zwei Schritte zurück, maß mich mit zornigen Augen und drohte:
»Ich kann Sie zwingen, Sennor!«
»Nein! Auch ich bin ein Deutscher. Ich habe nur ausländisches Geld bei mir, und da ich Ihnen nach Ihren eigenen Worten nicht zumuten darf, sich mit ausländischen Angelegenheiten, Personen, Verhältnissen und Dingen zu befassen und mein Geld doch sicher zu den ausländischen Dingen gehört, so kann ich doch unmöglich mich an Ihrer inländischen Selbstachtung dadurch versündigen, daß ich Ihnen eine fremde Münze anbiete.«
Die Sennora warf ihre Cigarette weg und wetzte ihre Lippen an den Zähnen. Der Papagei hob die Flügel und riß den Schnabel auf. Der Sennor trat noch einen Schritt zurück und fragte in kollerndem Tone:
»Also nur fremdes Geld?«
»Ja. Die einzigen einheimischen Gegenstände, welche ich Ihnen verehren kann, sind diese beiden Cigaretten, die ich hiermit in den Tabakskasten lege.«
Ich warf die Cigaretten in den Tabak, wobei der Papagei mit dem Schnabel nach meiner Hand hackte.
»So wollen Sie nichts, gar nichts zahlen?«fragte der Sennor.
»Nein.«
Ich griff nach meinen Gewehren, welche ich an die Wand gelehnt hatte, um mich schnell zu entfernen.
»Ein Geizhals, ein wortbrüchiger Mensch!« donnerte der ewig Lange mit seiner Bauchrednerstimme.
»Ein Ausländer, ein Habenichts, ein Vagabund!« kreischte die Donna wütend hinter mir her.
»Eres ratero, eres ratero, ratero – du bist ein Spitzbube, du bist ein Spitzbube, ein Spitzbube!« hörte ich den Papagei schreien, als ich mit raschen Schritten über den Hof eilte, um hinaus auf die Straße zu gelangen. Da stand, meiner wartend, der Polizist, streckte mir die Hand entgegen und meinte:
»Eine Gabe für die Auskunft, welche ich Ihnen erteilt habe! Mein Gehalt ist so gering, und ich habe ein Weib mit vier Kindern zu ernähren!«
»Dafür kann ich nicht; da ist nichts zu machen,« antwortete ich ihm mit seinen eigenen Worten, band mein Pferd los, stieg auf und ritt davon. Wäre ich bei nur einigermaßen besserer Laune gewesen, so hätte wenigstens er etwas bekommen.
Die Hoffnung, welche ich auf die Meldung bei der hiesigen Behörde gesetzt hatte, war eine vergebliche gewesen. Bei solchen Zuständen, welche heutzutage wohl andere sind, ist es am besten, stets nach dem Grundsatze
»Selbst ist der Mann« zu handeln. Fort also mit der Rechnung auf fremde Leute und auf fremde Hilfe! —
Als ich mich weit genug von dem Stadthause entfernt hatte, stieg ich an einem »Hotel« ab, um da etwas zu essen und zu trinken, das Pferd tränken und füttern zu lassen und mich nach einem Kleiderladen zu erkundigen. Ein solcher lag in der Nähe, und ich bekam da, allerdings