Als Mariner im Krieg. Joachim Ringelnatz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim Ringelnatz
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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den komischen Teufel ablösen und durfte mich selbst ein paar Stunden schlafen legen, allerdings in Kleidern. Wir lagen dicht am Minenfeld. Der Wind stand dorthin, so daß wir, wenn das Tau riß, mit dem wir am Dampfer »Seeadler« hingen, wahrscheinlich bald gen Petrus geflogen wären.

      Ich wollte indessen nicht schlafen. Der leitende Maschinistenmaat, den wir um seine Einzelkabine beneideten, bot mir zwei Rudolf-Stratz-Bände an, die einzigen Bücher an Bord. Ich zog aber vor, Briefe zu beantworten. Alle, die mir schrieben, verlangten ausführliche Antwort, ohne zu ahnen, wie wenig Zeit wir dazu hatten, und wie schwierig es war, bei der schlechten Beleuchtung in gebückter Haltung und womöglich im Geschaukel des Seegangs mit plumpen Hornhänden Briefe zu schreiben.

      Meine Eltern bat ich, mir Streichhölzer, Wurst, Zwirn und Malzbonbons zu senden. Die Wellen klatschten an die Bordwand. Jessen und der Obermaat schnarchten und dünsteten. Ein in meiner Tinte ersoffener Kakerlak geriet mir in die Feder. Ich klebte ihn auf mein Ölzeug, das neben meiner Koje seemännisch duftete. Die nächste Deckwache im Regen würde ihn ins Meer befördern. Dann erwachte der Obermaat über mir und schimpfte. Die Decksbohlen waren nicht dicht, und so fiel ihm von Zeit zu Zeit ein Wassertropfen ins Gesicht. Das Schiff schweute. Wind und See schwollen an.

      Abermals nahm ich Eichhörnchens Brief vor. Aber an gewissen Stellen, wo sie vom Krieg und von deutscher Unbezwingbarkeit und Ähnlichem sprach, wich meine Meinung allzusehr von der ihrigen ab, und da ich wußte, daß in diesem Punkte mit ihr ebensowenig zu disputieren war wie mit meinem Vater, und weil ich mich außerdem nach strengster Vorschrift in Briefen oder Tagebüchern über so etwas nicht auslassen durfte, so legte ich mein Schreibzeug beiseite und schickte mich an, eine Unterhose zu flicken. Doch gewisse Geräusche veranlaßten mich, an Deck zu eilen. Ein Fairplaydampfer legte an. Laute Rufe — eine Wurfleine flog zu uns — Gischt spritzte auf — Korkfender quietschten — und eine Order wurde herübergereicht. Wir sollten morgen Routineboot sein. Sehr angenehm, denn da kamen wir auf ein paar Stunden in den Hafen.

      Es ward Sturm. Hohe Wellen warfen uns unterwegs hin und her und schlugen über Deck. Da war es nicht so einfach, bei den anderen Schiffen anzulegen, denen wir Wasser, Proviant und Post besorgten. Einmal stieß denn auch »Blexens« Nase mit einem peinlichen Bums auf »Seeadler«. Der Maat in der Maschine behauptete, ich habe den Telegraphen falsch bedient. Ich behauptete, er habe volle Kraft vorwärts statt rückwärts gefahren. Der Steuermann erteilte einen Rüffel so diskret, daß dieser wie an eine dritte unbekannte Größe gerichtet schien. Wir hatten Löhnung erhalten, und ich fand im Hafen Gelegenheit, vier Stücke Zwetschgenkuchen mit Schlagrahm herunterzuschlingen und auf heimlichen Umwegen Verschiedenerlei für mich und meine Kameraden einzukaufen. Als ich einem Offizier auf Sperrschiff »Franz« eine Bestellung überbrachte, lag auf dem Tisch dort eine Nummer der »Jugend«. Ich nahm die Hacken zusammen und sagte militärisch: »Ich bitte Herrn Leutnant um die ›Jugend‹.«

      »So?« sagte er erstaunt. »Sonderinteressen? Na dann nehmen Sie sie.«

      Auf der Rückfahrt begegneten wir der einlaufenden Flotte. Voran fuhr »Markgraf«, ein neues Schiff, das seine Probefahrt machte und vorläufig nur mit Zivilisten besetzt war. Deshalb dippte es sogar vor uns die Flagge. Wir betrachteten die Panzer mit Sachkenntnis und Neugier, zählten die Geschütze, lasen die auf und nieder sausenden und hin und her springenden Signale ab und stellten fest, daß sich der Admiral Lanz auf der »Ostfriesland« befand. Die Flotte unternahm jetzt öfters Ausflüge, offenbar zur Beruhigung der Bevölkerung. Auch mußten die nichtansässigen Frauen und Bräute Wilhelmshaven verlassen.

      An Deck von »Seeadler« wuschen sich von der Abendsonne vergoldet lauter nackte, tätowierte Leute, welche dabei die Lorelei sangen.

      Wir dampften sofort weiter auf Vorposten. Der Sturm nahm weiter zu. Wir versteckten uns, wo es anging, vor den überschießenden Wassern hinters Ruderhaus, und einmal liefen wir auf Grund. Es war aber Sand, wir kamen wieder frei. Dann: Lampen klar! — Loten! Wieder loten! — Fall Anker! Stuben ward dabei ein nettes Stück Fingerfleisch abgequetscht. Ich verband ihn sauber, und um mich etwas wichtig zu machen, träufelte ich, weil ich in der Apotheke nichts Besseres fand, etwas Hoffmannstropfen auf die Wunde.

      Nachts auf Wache empfand ich dankbar, wie viel zu gut es mir erging, während mich meine Angehörigen bedauerten. In solcher Stimmung redete ich herzlich auf den ewig griesgrämigen Eichmüller ein und traktierte ihn mit Wurst und Zigaretten. Gespenstische Schatten, Torpedoboote, huschten vorbei, darauf glitt ein schmaler Silberstreifen durchs Wasser mit einem Turm.

      Wir schwitzten und froren im Ölzeug am Ruder, am Lot, am Ankerspill und an den Tauen. Die im engen Maschinen- und Heizraum hatten bei dem »Blexen«-Hexentanz ebenfalls keinen leichten Stand. Manche, an der Spitze der Kommandant, waren jämmerlich seekrank. Als ich außenbords am Bug die Talje aus dem Anker hakte, weichte mich eine salzige See durch und durch ein. Da schmeckte dann mein Pfeifchen doppelt gut. An der jämmerlichen und doch komisch harmlosen, aber nun im Krieg oft wieder gefährlichen Seekrankheit hatte ich nie zu leiden. Aber Herr Kaiser zum Beispiel saß bei schwerer See völlig erledigt und apathisch in seiner Kabine, und keine Macht und keine Gefahr hätte diesen sonst so tüchtigen Seemann und pflichtgetreuen Soldaten dann an Deck bewegen können.

      Gar zu gern hätte ich meine Mandoline oder ein Schachspiel an Bord gehabt. Der Maschinistenobermaat wäre mein Partner gewesen. Vom Kommandanten abgesehen, war er der Gebildetste, das heißt, ich darf ja nicht den Dienstmannmatrosen vergessen, der seine vornehmen und wohlgesetzten Manieren selber nicht unter den Scheffel stellte.

      Wir brachten einen Kutter mit Matrosenartilleristen nach Schillig. Dort ankerten wir nicht, sondern setzten uns einfach auf Schlick. Die Artilleristen sollten während der Ebbe Markbojen setzen. Wir lachten sie ob ihrer Wasserscheu aus. Als wir sie dann nach Wilhelmshaven zurückschleppten, hofften wir ein Stündchen an Land gehen zu dürfen. Wir mußten aber an Bord bleiben und blickten, während wir die vom Salzwasser angegriffenen Gewehre reinigten, schmachtend nach den auf dem Pier lustwandelnden Matrosenbräuten und nach den stolzen Offiziersdamen, die aus Autos stiegen. Das Wetter war diesig, als wir wieder ablegten. Die Bojen waren kaum noch zu erkennen, wir mußten den Kompaß zu Hilfe nehmen. Wir hatten gerade unter Schwierigkeiten am Heck von »Seeadler« festgemacht, als wir angerufen wurden. Wir sollten nachsehen, was da zirka 20 Meter voraus im Wasser triebe und wie ein fremdes Unterseeboot aussähe. Wir warfen die Leine los und dampften neugierig nach jener Stelle, nahmen uns vor, wenn es ein Unterseeboot wäre, dasselbe zu rammen. Ja, da trieb etwas — zwei senkrecht aus dem Wasser ragende Rohre. Periskope eines Unterseebootes? — Verdammt noch mal! — Man durfte sich andererseits nicht blamieren. Volle Kraft voraus! — Hart Backbord! — Halbe Kraft zurück! Stop! (Denn um den Befehl, statt des Wortes »Stop« das deutsche Wort »Halt« zu gebrauchen, kümmerten wir uns höchstens im theoretischen Unterricht.) Und nun fischten wir das treibende Etwas heraus. Es war ein alter Marinemantel, dem das Futter und die Knöpfe abgetrennt waren, und dessen Ärmel infolge irgendwelcher physikalischen Gesetze senkrecht aus dem Wasser gestanden hatten. Wir lachten uns aus und trösteten uns. Die bewegte See bot oftmals solche Täuschungen. Und besser zu viel Vorsicht als zu wenig.

      Bei der Abendmusterung wurde der Tagesbefehl verlesen. Vier Mann der Sperrfahrzeugdivision waren mit drei Tagen Mittelarrest bestraft worden, weil sie über Urlaub geblieben waren, usw. Ein Passus verbot die Veröffentlichung von Soldatenbriefen. »Das gilt besonders unserem Schriftsteller«, sagte der Steuermann, auf mich deutend.

      Nachdem ich eine Zeitlang ergebnislos eine Angel ausgeworfen hatte, spielte ich ausnahmsweise einmal mit den Matrosen Karten, aber so intensiv, daß ich nachts träumte, wir wären auf eine Mine gelaufen und in die Luft geflogen, spielten aber trotzdem immer weiter Karten. Den Gedanken, auf eine Mine zu geraten, malten wir uns auch in wachem Zustand oft aus, er lag ja so nahe wie die Minen selbst. Viel Ruhm war bei unserer Sperrfahrzeugdivision — wie bei all den winzigen Booten, die mit Minen zu tun hatten — nicht zu ernten. Wer in die Luft flog, konnte meistens nichts mehr erzählen, und wer nicht flog, hatte nichts Kriegerisches zu berichten; denn mit dem Feinde ins Gefecht zu kommen, war nicht unsere Aufgabe, im Gegenteil, wir hätten dabei sehr schnell sehr schlecht abgeschnitten.

      Der Signalgast schenkte mir eine neuste Zeitung. »Oh! was wird nicht alles zusammengelogen«, hatte er oder ein anderer darauf geschrieben. Dieser Signalgast war