»Nein. Er hatte einen silbernen Ring war also ein ganz gewöhnlicher Sill.«
»Weiter! Dann?«
»Der Säfir. Er war Perser und hatte einen goldenen Ring.«
»Bitte, fahre fort!«
»Ghulam el Multasim mit dem goldenen Ringe und Ahriman Mirza mit seiner noch höheren Auszeichnung ,beide aber Perser.«
»Du hast die Pascher vergessen, welche wir am Birs Nimrud gefangen nahmen. Hältst du sie für Perser!«
»Nein. Denn sie wurden begnadigt, türkische Zollbeamte zu werden, was wohl nicht hätte geschehen können, wenn sie persische Unterthanen gewesen wären. Warum fragst du bei diesen allen nach der Nationalität?«
»Weil dies der Weg ist, auf dem wir jetzt miteinander spazieren gehen. Die höheren Sillan waren Perser, die niedrigen aber nicht. Du suchst aber nach dem Aemir-i-Sillan. Wenn alle höheren aus Persien kamen, wo ist da wohl mit fast untrüglicher Sicherheit der allerhöchste erst recht zu finden?«
»Natürlich auch in Persien! Das würde für mich sogar eine ganz unumstößliche Gewißheit sein, wenn es nicht einen Umstand gäbe, der gegen diese Annahme spricht.«
»Ich errate, was du meinst.«
»Nun, was?«
»Daß der Brief unten in Korna aufgegeben worden ist, so weit von hier, auf türkischem Gebiete.«
Zweites Kapitel: Unter den Ruinen
Wenn ein Maler alles das, was ich gestern mit dem Ustad gesprochen hatte, auf die Leinwand bringen könnte, so würde er es wohl am besten mit »Morgengrauen im Menscheninnern« zu unterzeichnen haben. Die vorangehende, lebensgefährliche Erkrankung, die Genesungsfreudigkeit, die fromme Feier am Tempeltage, das Erscheinen der Bluträcherschar, der vereitelte Mord in der Halle, das alles hatte trotz meiner innern Ruhe und Stetigkeit doch Nebel in mir aufgerührt, welche das fast überlang geführte Gespräch nur schwer zu Ende kommen ließen. Und noch viel schwerer war es in dem Ustad aufgewallt. Seine Lebensanschauung hatte im Haine Mamre gewurzelt, wohin die Engel einst zu Abraham kamen, und ihren höchsten Punkt in dem Worte Christi gefunden: »Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen!« Dieses Gebet war seine Richtschnur gewesen allezeit, in jeder Lebenslage. Da hatten sich die Andern, die sich ebenso Christen nennen, mit ihrem Haß auf ihn gestürzt, um ihn und seine Nächstenliebe zu vernichten. Er hatte nur einige kurze Versuche gemacht, sich gegen sie zu wehren; aber als er erkannte, mit welchen Waffen man gegen ihn kämpfte, da zog er sich in das stille, ruhige Land des Schweigens zurück, der christlichen Mahnung gedenkend: »So dir jemand deinen Rock nehmen will, dem laß auch den Mantel!« Aber in seinem Innern wallte es auf in wichtig schweren Fragen: Wer hat recht? Auf wessen Seite steht die göttliche Wahrheit, der göttliche Wille? Bei Christo, welcher sprach: »Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf ihn?« Oder bei diesen hochangesehenen christlichen Priestern und Laien, die mit den Gottesleugnern im engsten Operationsbunde den begeisterten Bekenner der Lehre von der Nächstenliebe aus der »Gemeinschaft der Gläubigen« hinauszuwerfen trachteten? Es kann ja doch gewiß nur eines von beiden wahr und richtig sein! Entweder hat der Heiland sich geirrt, indem er etwas forderte, was ganz unmöglich war, oder diese Herren treten mit Widerwillen vor dem allerchristlichsten seiner Gebote zurück, weil ihnen die Selbstüberwindung fehlt, es zu erfüllen!
Wenn solche Fragen im Ustad nach klarer Antwort und nach Lösung trieben, so mußte alles, was in ihm festgestaltet gewesen war, ins Wanken kommen, tief erschüttert werden. Daher sein Bestreben, mich zu sich heran in das Gespräch zu ziehen und so lange festzuhalten, bis er deutlich sehe, wo eigentlich das wahre Christentum zu finden sei, bei ihm oder bei diesem Anderen. Wo es zu suchen sei, das wußte ich genau, durfte es ihm aber nicht in deutlichen Worten sagen, weil die Klarheit in seinem eigenen Innern aufzutauchen hatte. Daher mein dilatorisches Verhalten, die Dehnung unsres Stoffes und dann aber auch unsere gemeinschaftliche Freude, als die Antwort endlich, endlich aus dem Alabasterzelte herabgestiegen kam.
Nun war es hell und licht geworden, sogar während meines Schlafes. Ich weiß, ich träumte nicht, und dennoch war es mir, als ob ich träume. Wer war ich wohl, und wo befand ich mich? Ich atmete nicht, und doch war alles Odem! Ich bewegte mich nicht, und doch wallten tausend und abertausend Wogen unendlichen Glückes in mir. Meine Augen waren geschlossen, und dennoch sah ich Herrlichkeiten rings um mich her, die unbegreiflich sind. Und plötzlich hatte ich Flügel. Ich flog. Wohin? Durch Ewigkeiten! Bis ich müde wurde und nach einem Punkte suchte, an dem ich ruhen könne. Und ich fand ihn, fand ihn wieder, diesen meinen irdischen Ruhepunkt im Reiche der Ewigkeiten. Und wo lag er? Im Schlafe, im tiefen, tiefen Schlafe. Ich neigte mich trotzdem zu ihm nieder und – — schlug die Augen auf.
Da stand die Sonne schon in des Vormittags Mitte, und um mich her war alles licht und warm. Das Geräusch des Tages drang zu mir herauf. Ich fühlte mich gekräftigt und so frisch, wie schon seit langer Zeit nicht mehr. Ich stand also auf und ging auf das freie Dach hinaus. Im Hofe unten wurden die Kamele des Ustad gesattelt. Ihn selbst sah ich nicht. Links drüben grasten unsere Pferde auf der bergigen Weide, welche an den Komplex der Ruinen grenzte. Der See glänzte azurblau zu mir herauf. Die Bewohner des Duar waren in lebhafter Bewegung, natürlich der Reise ihres Ustad wegen. Von meinem Vorplatze führten Stufen hinüber nach dem Glockenwege, welcher, von oben herabkommend, sich bis zur Gartenhöhe niedersenkte, wo die Quelle sprudelte, neben welcher sich der Herr des hohen Hauses eine rundum eingefaßte Badestelle abgeschlossen hatte. Ein solches Bad erschien mir sehr von Nutzen. Darum stieg ich da außen langsam am Berg hinab und fand die Tür zum Wasser geöffnet. Wie das erfrischte, dem Körper doppelte Kraft zu geben schien!
Als ich fertig war, spazierte ich auf dem weichen Grase zu unsern Pferden hin. Welche Freude, als sie mich erkannten! Als ich mich dann wieder entfernte, wollten sie partout mitgehen, und ich hatte sie sehr eindringlich zu bedeuten, daß ich dies für jetzt nicht wünsche. Nun durch den Garten nach dem Hofe gehend, kam ich an der Küche vorüber. Diese stand offen. Die »Festjungfrau« sah mich, kam heraus, schlug vor Verwunderung die Hände zusammen, daß es nur so klatschte, und rief:
»Maschallah, du schläfst nicht mehr, Effendi! Das ganze Haus durfte sich nicht laut bewegen, um dich ja nicht zu wecken. Wie hat unser Ustad dich doch gar so lieb!«
»Wo befindet er sich jetzt?« erkundigte ich mich.
»In seiner Stube.«
»Und Agha Sibil?«
»Der sitzt mit seinem Sohne in der Halle. Ich habe die halbe Nacht hindurch gebacken und gebraten, um Proviant für die Reise nach Isphahan zu machen. Für dich aber habe ich trotzdem immer Zeit. Weißt du, Effendi, um was ich den Ustad gebeten habe, was er mir aus der Hauptstadt mitbringen soll?«
»Nun?«
»Eine Kasawaika!«[13] Bei diesem Worte strahlte ihr Gesicht in einer auffälligen, mir krankhaft scheinenden Wonne.
»Eine Kasawaika?« fragte ich, »woher kennst du das? So etwas wird doch hier gar nicht getragen!«
»Ich habe es gesehen, als ich noch beim Schah-in-Schah mit kochte. Die russischen Madama hatten es. Ich muß so eine haben! Rot und blau, grün und gelb. Das sieht so schön aus im Fackellicht.«
»Fackellicht? Hm! Ich denke, du gehst stets weiß?«
Da kam sie die Stufen vollends herab, trat nahe zu mir heran, legte das fette Händchen auf meinen Arm und sagte in ehrfurchtsvoller Duzbrüderlichkeit:
»Ja, immer weiß! Zuweilen aber auch bunt, ganz bunt! Das steht mir besser, viel besser! Der Aschyk[14] sagt das auch!«
»Du hast einen Geliebten, Pekala?«
Da errötete sie bis zur Farbe der persischen Mohnblume, nahm einen geheimnisvollen Ton an und raunte mir zu:
»Ich vertraue es nur dir an, Effendi, allein nur dir! Es ist ein tiefes Geheimnis. Ich habe es schon vielen sagen wollen! Aber ich fürchte, daß sie es verraten. Du aber hast ein solches Herz voll Freundlichkeit und Güte, daß du es gewiß nicht weiterplaudern wirst. Ein edles Frauenherz