»Dirigha Allah, waj Mohammed! Dirigha Hassan, Hosseïn!«
Er war entsetzlich anzusehen; aber ich fühlte von Mitleid keine Spur in mir, sondern hätte ihm lieber eine Ohrfeige anstatt eines Almosens gegeben. Welch eine Dummheit, welch ein Unverstand, sich wegen des Todes eines Menschen – denn etwas anderes ist Hussein doch nicht gewesen – so scheußliche Martern zuzufügen! Und dabei hielt sich dieser ekelhafte Kerl für einen Heiligen, dem nach dem Tode der oberste Rang des Paradieses sicher ist und der auch bereits hier auf der Erde neben reichlichen Almosen die demütigste Verehrung aller Menschen zu beanspruchen hat!
Der Prinz, als reicher Perser und Schiit, warf ihm einen goldenen Tuman zu.
»Hasgadag Allah – Gott segne dich!« belohnte ihn der Bettler für diese reiche Gabe.
Lindsay griff in die Tasche und gab ihm einen Gersch zu zehn Piastern[8].
»Subhalan Allah – gnädiger Gott!« erklang es jetzt schon weit weniger belobend, denn nicht Lindsay, sondern Allah wurde als Geber bezeichnet.
Ich gab nur einen Piaster. Der »Heilige« machte erst ein höchst erstauntes, dann aber ein sehr zorniges Gesicht und schrie mich an:
»Azdar – Geizhals!« Dann fuhr er mit der Gebärde des Abscheues und immer steigender Schnelligkeit fort: »Azdari, pendsch Azdarani, deh Azdarani, hezar Azdarani, lek Azdarani – du bist ein Geizhals, du bist fünf Geizhälse, du bist zehn Geizhälse, du bist hundert Geizhälse, du bist tausend Geizhälse, du bist hunderttausend Geizhälse!«
Er trat meinen Piaster unter die Füße, spie darauf und zeigte eine Wut, von welcher man nicht wußte, ob man über sie lachen oder sich vor ihr fürchten solle. Das war meinem kleinen, wackeren Halef denn doch zuviel; er duldete niemals eine Beleidigung, mochte sie nun gegen ihn oder gegen mich gerichtet sein; darum fragte er mich:
»Sihdi, ich verstehe ihn nicht. Was heißt Azdar?«
»Geizhals,« antwortete ich ihm.
»Allah‘l Allah! Und wie heißt ein recht dummer, alberner Mensch auf persisch?«
»Bisaman.«
»Und ein recht grober Flegel?«
»Dschaf.«
»Ich danke dir, Sihdi!«
Dann drehte er sich dem Schiiten zu, hielt ihm die flache Hand emporgerichtet entgegen, wischte sie am Beine ab, welche Gebärde als größte Beleidigung gilt, und rief:
»Bisaman, Bisaman, Dschaf, Dschaf, Dschaf!«
Was hierauf erfolgte, spottet jeder Beschreibung. Der »heilige Märtyrer« öffnete die Schleusen seiner Beredsamkeit und zeigte sich im Besitze von Schimpfwörtern und Drastika, welche unmöglich wiederzugeben sind. Wir beugten uns vor seiner Überlegenheit in dieser Beziehung, verzichteten auf die Fortsetzung dieser interessanten Unterhaltung mit ihm und ritten weiter.
Was wir dann bei und mit der Todeskarawane erlebten, ist bereits erzählt worden und bedarf der Wiederholung nicht; es ging aber an unserem geistigen Auge vorüber, als wir nun jetzt nach Jahren in tiefer, nächtlicher Einsamkeit an demselben Wege saßen, den wir damals geritten waren. Das Gedächtnis brachte uns die damaligen Begebenheiten mit vollster Deutlichkeit und Schärfe zurück, und so kam es, daß wir auch jene entsetzlichen »Wohlgerüche des Paradieses« in unseren Nasen zu spüren schienen. Wir wußten, daß dies nur Täuschung war; die Luft drang mit balsamischem Hauche in unsere Lungen und verhieß uns einen stärkenden Schlaf. Nachdem wir unser einfaches Mahl verzehrt und auch für die Pferde gesorgt hatten, wickelten wir uns samt unseren Gewehren in die Decken und schlossen die Augen. Wir konnten dies thun, denn ich durfte mich auf meinen außerordentlich leisen Schlaf verlassen, und unsere beiden Pferde waren darauf abgerichtet, uns jede Annäherung durch Schnauben zu verraten. An meinen Hengst geschmiegt, dem ich selbstverständlicherweise seine gewohnte Sure in das Ohr gesagt hatte, schlief ich bald ein und erwachte nicht eher, als bis ich von der jetzt im Frühjahre sehr fühlbaren Morgenkühle geweckt wurde.
Da es hier am Wege kein Wasser gab, konnten wir die Pferde erst im Khan Iskenderijeh tränken; wir stiegen also auf und ritten zunächst diesem Ziele zu.
Unter einem Khan versteht man hier das, was man im Abendlande nicht ganz richtigerweise ein Karawanenserai nennt. Die Khans oder Hans zwischen Bagdad und den Ruinen von Babylon sind von fast gleicher Bauart. Sie wurden von Persien aus zum Besten der Pilgerzüge gestiftet und bilden kleine, mit Mauern umgebene Festungen, welche genügenden Schutz gegen etwaige Überfälle der Beduinen bieten sollen. Unter einem Turme, der eine weite Umschau über die Wüste gestattet, tritt man durch ein starkes Thor in den Hof, welcher von gewölbten Gemächern umgeben ist. In der Mitte erhebt sich eine Plattform, auf welcher man des Nachts schläft und am Tage sich zum Abhalten der Gebete vereinigt. Hinten befinden sich die Unterkünfte für die Pferde und Kamele. Die Aufnahme in diese Khans braucht nicht bezahlt zu werden, doch kommt sie dem an Reinlichkeit gewöhnten Reisenden durch das vorhandene Ungeziefer teuer genug zu stehen und wird noch widerwärtiger für ihn, wenn ihn während seiner Anwesenheit das Unglück trifft, eine Leichenkarawane hereinziehen zu sehen, deren stinkende Särge vor ihm aufgestapelt werden. Und wenn er sofort die Flucht ergriff und erst am Nordpol innehielt, er könnte doch sicher sein, den Leichenduft noch dort auf dem ewigen Eise in seiner gequälten Nase zu spüren!
Wir langten nach zwei Stunden bei dem Khane an und ritten durch das Thor. Dieser Ort ist groß genug, Hunderte von Menschen und Tieren zu fassen, war aber heut nicht sehr in Anspruch genommen. Die Anwesenden schenkten uns eine nicht gewöhnliche Aufmerksamkeit, worauf wir freilich uns persönlich gar nichts einzubilden brauchten, denn sie galt nicht uns, sondern unsern Pferden, zu denen man sich drängte, um sie unter Ausrufen der Bewunderung zu betrachten. Da uns dies lästig wurde, wendete ich mich an den Aufseher, welcher uns gegen ein Bakschisch von den Zudringlichen befreite.
Als wir an dem Brunnen abstiegen, befanden sich schon zwei Männer dort, welche dasselbe thaten, was wir auch thun wollten; sie tränkten ihre Pferde. Wir wollten sie nicht stören, sondern warteten, bis sie fertig waren. Indem wir ihnen zusahen, bemerkte ich an dem Finger des einen einen silbernen Ring, der mir auffiel. Schärfer hinblickend, erkannte ich, daß die Platte desselben nicht rund oder quadratisch, sondern achteckig war. Ich trat rasch hin und gab mir den Anschein, als ob ich hinunter in das Wasser sehen wolle, ob auch für uns noch genug vorhanden sei, nahm dabei aber seine Hand in die Augen. ja, es war der Ring der Sillan. Die Inschrift bestand aus einem Sâ, welches mit einem Lâm verbunden war, und darüber stand ein Teschdid[9], welches ich trotz seiner Kleinheit deutlich erkannte. Ein verstohlener Blick nach der Hand des andern zeigte mir, daß dieser auch einen genau solchen Ring an dem gleichen Finger trug. Diese zwei Männer waren Sillan.
Indem ich mir dies sagte, stieg in mir der Gedanke auf, ob das nicht eine gute Gelegenheit sei, die Wirkung unserer Ringe einer Probe zu unterwerfen. jetzt, indem ich dies erzähle und die späteren Ereignisse alle kenne, weiß ich freilich, daß die Ausführung dieses Gedankens eine große Unvorsichtigkeit war; damals aber schien sie es nicht zu sein. Was konnte es uns schaden, wenn auch wir für Sillan gehalten wurden! So fragte ich mich. Es konnte gar nichts Schlimmes, sondern höchstens eine Befriedigung unserer Wißbegierde darauf erfolgen, und das war doch jedenfalls nicht bös, sondern im Gegenteile angenehm. Was hätten wir von diesen zwei einfachen, gewöhnlichen Menschen fürchten können! Und wenn doch, so waren wir ja Männer, denen so kleine Unannehmlichkeiten nichts anzuhaben vermochten.
Wieder zu Halef zurückgekehrt, zog ich die dem Pädär-i-Baharat und seinen Begleitern abgenommenen Ringe aus der Tasche, steckte mir den goldenen an, gab ihm einen der zwei silbernen und sagte:
»Schieb schnell und unbemerkt diesen Ring an den Finger! Diese Männer sind Sillan. Ich bin neugierig, was sie thun oder sagen werden, wenn sie unsere Ringe sehen.«
»Maschallah, das ist ein guter Gedanke!« lachte er leise, wobei