Der Kohl Agasi saß mit vor Erstaunen offenem Munde da und sah den Sprecher sprachlos an. Er war das, was man vulgär mit dem Ausdrucke »baff« zu bezeichnen pflegt. Seinen Leuten ging es ebenso.
»Nun, was sagst du jetzt?« fuhr Halef fort. »In deiner Dscheografia steht wohl nichts davon, daß die Deutschen solche Feuerpferde haben, und keine Muhammedaner sind?«
»Wird – — wird – — das Pferd, welches – — welches der Emir mit hat, auch mit glühenden Kohlen gefüttert?« fragte der Offizier, seine Sprache wieder gewinnend:
»Nein, dieses nicht. Du brauchst dich also nicht zu fürchten.«
»Und – — und ist er – — wirklich kein Anhänger des Propheten, sondern ein Christ?«
»Er ist ein Christ, also ein sehr gescheiter Mann.«
»Verzeih, O Scheik der Haddedihn, daß ich einen Gedanken ausspreche, der vielleicht nicht voller Achtung klingt! Du nennst ihn einen gescheiten Mann; aber ist es klug von ihm, als Christ hier diese Gegend aufzusuchen?«
»Warum sollte das etwa unklug sein?«
»Weil hier die berühmten Orte der schiitischen Wallfahrten liegen. Es ist für ihn äußerst gefährlich, sich auch nur eine Stunde hier zu verweilen, denn sobald die Schiiten in der Nähe ihrer heiligen Orte jemanden als Christen erkennen, so ist er verloren. Wißt ihr das nicht?«
»Wir wissen allerdings, daß furchtsame Leute so denken, wie du sagst; aber wir haben das, was andere Menschen Angst zu nennen pflegen, nicht kennen gelernt. Wir gehen, wohin es uns gefällt, und bleiben dort, solange es uns beliebt. Wir sind hierher gekommen, weil wir den Birs Nimrud besuchen wollten, und es ist uns gar nicht eingefallen, daran zu denken, ob das für uns gefährlich sein kann oder nicht. Wir hegen nicht die geringste Besorgnis um unser Wohl und unsere Sicherheit, und falls wir Schiiten begegnen, welche entdecken, daß der Emir ein Christ ist, so werden sie in demselben Augenblicke zugleich auch die Entdeckung machen, daß es für sie am klügsten ist, sich vor unserem Zorn in acht zu nehmen. Ich sage dir, es ist keine Kleinigkeit, den obersten Scheik der Haddedihn oder den berühmten und unüberwindlichen Emir Kara Ben Nemsi Effendi zum Feind zu haben. Du mußt nämlich wissen, daß wir Zaubergewehre besitzen, mit denen man endlos schießen kann, ohne laden zu müssen. Wir sind überhaupt nicht so wie andere Menschen. Wir denken, reden und handeln anders als sie; wir schießen, stechen und hauen ganz anders als sie; wir werden – — – kurz und gut, solange ihr euch bei uns befindet, seid ihr sicher vor jeder Gefahr. Und wenn in diesem Augenblicke hundert Schiiten kämen, um über uns und euch herzufallen, so würden wir uns nicht fürchten, sondern es getrost mit ihnen aufnehmen.«
»Wie wolltet ihr euch wehren, da ihr eure Flinten nicht bei euch habt?«
»Kann man sich nur mit Hilfe von Flinten verteidigen? Ich sage dir, es giebt noch ganz andere Waffen, und man kann sich der Angreifer noch auf ganz andere Weise entledigen, als nur mit Hilfe von Pulver und Blei. Wer Geistesgegenwart, List und Mut besitzt, ist jedem Feinde überlegen, dem eine dieser Eigenschaften fehlt; wir haben das sehr oft erfahren, und um dir das beweisen zu können, wünsche ich fast, daß jetzt eine Schar von Schiiten käme, um mit uns anzubinden.«
»Allah verhüte das! Ich bin ein tapferer Soldat und Offizier, aber diese Leute, welche Ali und seine Söhne mehrverehren als den Propheten selbst, sind keine ehrlichen Krieger. Ich pflege dem Feinde gerade offen entgegenzugehen; sie aber lieben die Heimtücke und die Hinterlist. Ist es mir beschieden, im Kampfe zu sterben, so soll es doch wenigstens nicht von einer Kugel sein, die mit feiger Hand von hinten auf mich geschossen wird. Seid ihr wirklich bloß in der Absicht hierhergekommen, den Birs Nimrud zu sehen?«
»Ja.«
»Ich will nicht in euch dringen, mir mehr zu sagen, als ihr wollt; aber es ist mir unmöglich zu glauben, daß man einen so weiten und gefährlichen Ritt unternehmen kann, nur um einen großen, wüsten Haufen von Trümmern und Ziegelsteinen zu betrachten. Ich bitte um die Erlaubnis, meine Anordnungen für die Nacht erteilen zu dürfen, denn da wir beabsichtigen, erst am Tage nach Hilleh zu reiten, werden wir jetzt zu schlafen versuchen!«
Er gehörte zu der großen Zahl der Leute, denen es unverständlich ist, wenn andere etwas thun oder unternehmen, ohne die Absicht auf gewöhnliche, äußerliche materielle Vorteile dabei zu hegen. Wahrscheinlich war er trotz allem, was wir gesagt und gesprochen hatten, doch immer noch der Ansicht, daß wir in irgend einer Beziehung zu den Schmugglern ständen.
Er bestimmte die Posten, welche natürlich auch die Gefangenen zu bewachen hatten, und wickelte sich in seinen Mantel, damit ein Zeichen oder Beispiel gebend, welchem seine Untergebenen sogleich folgten. Halef streckte sich auch lang aus und fragte mich leise:
»Meinst du vielleicht, Sihdi, daß es für uns geraten ist, abwechselnd zu wachen?«
»Nein«, antwortete ich. »Der alte Kol Agasi meint es ehrlich. Wir werden auch ohne unsere Decken ganz gut schlafen, denn es ist heut nicht kalt. Gute Nacht!«
»Gute Nacht sage auch ich, obgleich ich weiß, daß ich keine Ruhe finden werde. Der Gestank der Leichen liegt noch so fest in meiner Nase, daß mich der Tod heut fliehen würde, also noch viel mehr der Schlaf, sei der deinige um so fester!«
Dieser sein Wunsch ging in Erfüllung. Ich schlief sehr gut und so lange, bis der Hadschi mich weckte. Er versicherte mir, kein Auge geschlossen zu haben, denn »die Empörung seiner Nase habe ihn gequält bis jetzt zu diesem Augenblick«. Die Soldaten nahmen ein kurzes, frugales Frühstück und stiegen dann auf, um sich von uns nach der Stelle führen zu lassen, an weicher unsere Pferde sich befanden. Diese begrüßten uns mit frohem Wiehern; sie hatten sich nach uns gesehnt, aber doch keinen Versuch gemacht, sich loszureißen.
Als wir sie von der Schutthalde herabgeführt brachten und der Kol Agasi sie sah, rief er bewundernd aus:
»Ja, das ist wirklich Radschi Pack! Dergleichen hat selbst der Pascha von Bagdad nicht in seinem Besitze und ich begreife es sehr gern, wenn andere lüstern darnach werden. Solche Pferde sind für Diebe eine Versuchung, welcher kaum zu widerstehen ist. Was müßt ihr für reiche Männer sein! Nehmt euch in acht, daß man sie euch nicht einmal heimlich entführt!«
War er über die Hengste entzückt, so war er in demselben Grade nun auch neugierig auf meine Gewehre. Ich gab ihm den Bärentöter in die Hand; er kannte die Schwere desselben nicht, obgleich sie ihm anzusehen war, und ließ ihn fallen.
»Allah!« rief er aus. »Das ist ja keine Flinte, sondern eine Kanone, eine doppelte Kanone! Wie weit kannst du mit dieser fürchterlichen Barudi[59] schießen?«
»So weit, wie keine Kugel eines Feindes reicht,« antwortete Halef. »Die Kugeln dieser Doppelbüchse gehen so weit, wie wir wollen, und oft auch noch weiter, viel weiter. Und nun betrachte dir auch das andere, kleinere Zaubergewehr! Das schießt ohne Aufhören, immerfort, von heut an bis zum Ende dieses Jahres und, wenn wir es wünschen, auch noch einige Monate länger. Betrachte es!«
Der Hadschi nahm mir den Stutzen aus der Hand, um ihn dem Kol Agasi zu geben; dieser aber wehrte mit beiden Händen ab und rief:
»Nein, nein; ich danke dir, o Scheik der Haddedihn! Ich bin ein strenggläubiger Anhänger des Propheten und darf also mit meiner Hand keinen Gegenstand berühren, welcher mit irgend einer Zauberei in Verbindung steht. Allah bewahre und behüte mich vor dem Teufel und allen seinen bösen Geistern, welche solche immerfort schießende Flinten machen! Ich brauche