Er nahm, wie schon gesagt, an, daß sein Tod mir nichts nützen könne, und beachtete darum diese Drohung nicht, sondern antwortete:
»Hund, mich sollst du doch nicht halten; ich erwürge dich!«
Bei diesen Worten krallte er mir die beiden Hände um den Hals. Da ließ ich allerdings das Messer fallen, legte ihm das Knie auf die Brust, riß mich mit einem kräftigen Rucke los, ergriff seine beiden Hände, hielt sie mit der Linken fest und legte ihm die Rechte an die Kehle. Er wollte sich aufbäumen, es gelang ihm aber nicht; er schlug und stieß mit den Beinen um sich, doch ohne mich zu treffen; sein Widerstand erlahmte um so mehr, je fester ich ihm die Kehle zusammendrückte – — zuletzt ein gurgelndes Röcheln, dann lag er still und bewegungslos.
Nun stand ich auf und sah zurück. Dschafar und Perkins waren doch nicht am Platze geblieben, sondern uns nachgeritten; da sie meine Gewehre mitbrachten, konnte ich ihnen keine Vorwürfe darüber machen. Als sie herankamen, rief der erstere aus:
»Allah sei Dank, daß wir ihn wieder haben! Welch ein Schaden für uns, wenn er uns entkommen wäre!«
»Daran war gar nicht zu denken,« antwortete ich.
»Oho!« fiel Perkins ein. »Es konnte irgend ein Zufall eintreten, welcher – — – «
»Pshaw!« unterbrach ich ihn. »Was für einen Zufall hätte es hier geben können? Ich wußte, daß er fliehen wollte.«
»Und habt ihn nicht gehindert? Ihr ließet mich ja gar nicht hin zu ihm! Ich hätte ihn festgehalten.«
»Das habe ich nun hier gethan. Ihr habt die Riemen mitgebracht, wie ich sehe?«
»Ja. Wir binden ihn natürlich wieder!«
»Nein, jetzt noch nicht; er muß doch erst das Totem schreiben.«
»Und wieder ausreißen!«
»Wird ihm nicht einfallen. Holt sein Pferd und das meinige her!«
Das Comantschenpferd hatte, da der Lasso nicht mehr angespannt war, Luft bekommen und war aufgesprungen, hing aber noch mit dem Schwarzschimmel zusammen. Perkins nahm ihm die Schlinge vom Halse, rollte den Lasso auf und brachte dann beide her. Unterdessen kam der Häuptling wieder zu sich. Er holte laut rasselnd Atem, öffnete die Augen, stierte uns an, bewegte wie probierend die Glieder und stand dann langsam auf, woran ich ihn nicht hinderte.
»To-kei-chun ist ein sonderbarer Krieger,« sagte ich zu ihm. »Da drüben an dem Regenbette ging er spazieren, um mir wieder in die Hände zu laufen, und jetzt ist er spazieren geritten, um meinen Lasso kennen zu lernen.
Vielleicht kommt es ihm gar noch in den Sinn, einmal spazieren zu fliegen! Wenn er das thut, wird er sicher freikommen, denn ich habe das Fliegen nicht gelernt.«
Er stand unbeweglich und sah zur Erde nieder; die Scham verbot ihm, ein Wort zu sagen.
»Der Häuptling der Comantschen wird da fortfahren, wo er aufgehört hat,« fügte ich hinzu. »Er mag an seinem Totem weitermalen, nun aber keinen Scherz mehr treiben, denn von jetzt an ist‘s mir Ernst!«
Dschafar hatte die weggeworfenen Blätter und den Bleistift aufgehoben und mitgebracht; er hielt sie dem Häuptlinge hin; dieser nahm sie stumm und ohne sich zu weigern, trat zu seinem Pferde und setzte die unterbrochene Arbeit fort, wobei ihm Perkins mit gezücktem Messer zur Seite stand. Es dauerte ziemlich lange, bis er fertig war; dann gab er mir die Papiere, ohne ein Wort dazu zu sagen.
Es galt natürlich, das Totem genau zu studieren, denn wenn ich ein einziges hinterlistiges Zeichen nicht verstand, brachte ich uns in Gefahr; aber ich fand nichts, was Argwohn erregen konnte; das Totem war ehrlich. Es bestand aus kleinen Figurengruppen, ähnlich denen, welche kleine Kinder mit ihren ungeübten Händen zeichnen. Die erste Gruppe zeigte einen am Boden liegenden Mann mit einer Feder am Kopfe, einen Indianerhäuptling also. Er war gebunden; darüber sah man das Zeichen To-kei-chuns. Neben ihm stand eine Figur, welche in jeder Hand ein Gewehr hatte; ihre Hände waren im Verhältnisse ungeheuer groß gezeichnet, und über ihrem Kopfe gab es noch eine, auch sehr große Hand. Damit war ich, Old Shatterhand, gemeint. Zu meiner Seite saßen zwei Figuren; die eine hatte eine hohe, runde Mütze auf; das sollte Dschafar sein; die andere war einfach durch hohe Stiefel als Weißer bezeichnet. Diese Gruppe sollte sagen: Old Shatterhand, Dschafar und noch ein Bleichgesicht haben To-kei-chun gefangen genommen.
In ähnlicher Weise waren auch die übrigen Gruppen gehalten, mit denen der Häuptling sagen wollte und auch wirklich sagte, was nach unserer Vereinbarung zu geschehen hatte. Freilich gehörte, da die Figuren unendlich kindlich gezeichnet waren, mehr als gewöhnlicher Scharfsinn dazu, zu enträtseln, was jede einzelne vorstellen sollte; hatte man aber das entziffert, so ergab sich die Bedeutung ganz von selbst. Die Hauptsache dabei war, daß ich nichts fand, was auf die Absicht, uns zu betrügen, hätte schließen lassen.
To-kei-chun hatte sich niedergesetzt und wartete auf die Beurteilung seines Kunstwerkes; ich gab ihm dieselbe mit den Worten:
»Ich bin mit diesem Totem zufrieden; es enthält alles, was ich wünsche. Wir werden den Häuptling der Comantschen auf sein Pferd binden und dann weiterreiten.«
»Wohin?« fragte er.
»Wir folgen seinen Kriegern.«
»Weiß Old Shatterhand, wohin sie reiten?«
»Nach dem Makik-Natun. Vielleicht holen wir sie ein, ehe sie dort ankommen.«
»Du wirst sie nicht einholen, denn sie reiten sehr schnell.«
»Ich denke, daß sie sich zunächst nicht zu sehr beeilen werden, damit du sie einholen kannst.«
»Sie warten nicht auf mich; sie wissen, daß ich gern zurückbleibe und gern allein reite. Du wirst nicht eher als am Makik-Natun mit ihnen sprechen können.«
Die Offenheit, mit welcher er mir dies sagte, war zwar ungewöhnlich, aber ich hatte keinen Grund, sie für unwahr zu halten. Schaden konnte es uns nichts, wenn wir uns nach dieser Mitteilung richteten; darum sagte ich:
»So müssen wir uns beeilen. Ich will die gefangenen Bleichgesichter wo möglich noch heut frei haben und wünsche darum, daß ich noch vor der Dunkelheit des Abends mit den Kriegern der Comantschen reden kann.«
Er ließ sich ohne allen Widerstand auf sein Pferd binden; dann suchten wir die Fährte seiner Leute auf, um ihr möglichst schnell zu folgen. Als wir sie erreichten, untersuchte ich sie und fand, daß die Indsmen allerdings ziemlich rasch geritten waren. Ihr Häuptling hatte also die Wahrheit gesagt.
Er ritt mit Perkins voran und ich mit Dschafar hinterdrein, weil ich ihn stets im Auge haben wollte.
Der Perser sprach über unser heutiges Erlebnis und über unsere Hoffnung, die Gefangenen zu erlösen. Dabei meinte er:
»Der Häuptling versteht das Englische; er hört, was wir hinter ihm sprechen; er braucht aber nicht zu wissen, was wir reden. Wollen wir uns nicht lieber einer andern Sprache bedienen«?«
»Mir recht; aber welcher?«
»Da Ihr der Emir Kara Ben Nemsi Effendi seid, ist Euch das Arabische geläufig. Nehmen wir also dieses.«
»Warum nicht das Persische?«
»Versteht Ihr auch dieses?«
»Leidlich. Wenigstens denke ich, daß ich mich Euch verständlich machen kann.«
Wie erfreut war er, sich seiner Muttersprache bedienen zu können! Er wurde außerordentlich lebhaft, wie er sonst gar nicht zu sein schien, und sprach natürlich vorzugsweise von seinem Vaterlande und den Verhältnissen desselben. Ich wartete darauf, daß er auch die seinigen in Erwähnung bringen werde; er that es indessen nicht, schien aber doch eine Ahnung von dieser meiner Neu- oder Wißbegierde zu haben, denn er sagte im Laufe des Gespräches.
»Du wirst erwarten, daß ich auch von mir spreche; aber was soll ich von mir hier in diesem Lande sagen, wo ich fremd und gar nichts bin?«
Man hört, daß er mich mit dem vertraulichen orientalischen Du anredete; das war mir ganz recht; ich freute mich darüber, obgleich ich in der