Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра. Эрнст Гофман. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Эрнст Гофман
Издательство: Издательство АСТ
Серия: Bilingua подарочная: иллюстрированная книга на языке оригинала с переводом
Жанр произведения:
Год издания: 1819
isbn: 978-5-17-165655-3
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hat sich die reine Skala verkrochen? – Oder willst du dich vielleicht auflehnen gegen deinen Meister und behaupten, sein Ohr sei totgehämmert worden in der Schmiede der gleichschwebenden Temperatur, und seine Enharmonik nur ein kindisches Vexierspiel? Du verhöhnst mich, glaub' ich, unerachtet ich den Bart viel besser geschoren trage, als Meister Stefano Pacini, detto il Venetiano, der die Gabe des Wohllauts in dein Innerstes legte, die mir ein unerschließbares Geheimnis bleibt. Und, liebes Ding, daß du es nur weißt, willst du den unisonierenden Dualismus von Gis und As oder Cis und Des – oder vielmehr sämtlicher Töne durchaus nicht verstatten, so schicke ich dir neue tüchtige deutsche Meister auf den Hals, die sollen dich ausschelten, dich kirre machen mit unharmonischen Worten. – Und du magst dich nicht deinem Stefano Pacini in die Arme werfen, du magst nicht wie ein keifendes Weib das letzte Wort behalten wollen. – Oder bist du vielleicht gar dreist und stolz genug, zu meinen, daß alle schmucken Geister, die in dir wohnen, nur dem gewaltigen Zauber der Magier folgen, die längst von der Erde gegangen, und daß in den Händen eines Hasenfußes«—

      Bei dem letzten Worte hielt der Mann plötzlich inne, sprang auf und schaute wie in tiefen Gedanken versunken, in den See hinein. – Die Mädchen, gespannt durch des Mannes seltsames Beginnen, standen wie eingewurzelt hinter dem Gebüsch; sie wagten kaum zu atmen.

      «Die Guitarre«, brach der Mann endlich los,»ist doch das miserabelste, unvollkommenste Instrument von allen Instrumenten, nur wert, von girrenden liebeskranken Schäfern in die Hand genommen zu werden, die das Emboucheur zur Schalmei verloren haben, da sie sonst es vorziehen würden, erklecklich zu blasen, das Echo zu wecken mit den Kuhreigen der süßesten Sehnsucht, und klägliche Melodien entgegenzusenden den Emmelinen in den weiten Bergen, die das liebe Vieh zusammentreiben mit dem lustigen Geknalle empfindsamer Hetzpeitschen. – O Gott! – Schäfer, die ›wie ein Ofen seufzen mit Jammerlied auf ihrer Liebsten Brau'n‹ – lehrt ihnen, daß der Dreiklang aus nichts anderm bestehe, als aus drei Klängen, und niedergestoßen werde durch den Dolchstich der Septime, und gebt ihnen die Guitarre in die Hände! – Aber ernsten Männern von leidlicher Bildung, von vorzüglicher Erudition, die sich abgegeben mit griechischer Weltweisheit und wohl wissen, wie es am Hofe zu Peking oder Nanking zugeht, aber den Teufel was verstehen von Schäferei und Schafzucht, was soll denen das Ächzen und Klimpern? – Hasenfuß, was beginnst du? Denke an den seligen Hippel, welcher versichert, daß, säh' er einen Mann Unterricht erteilen im Klavierschlagen, es ihm zu Mute werde als sötte besagter Lehrherr weiche Eier – und nun Guitarre klimpern – Hasenfuß! – Pfui Teufel!«  – Damit schleuderte der Mann das Instrument weit von sich ins Gebüsch und entfernte sich raschen Schrittes, ohne die Mädchen zu bemerken.

      «Nun«, rief Julia nach einer Weile lachend,»Hedwiga, was sagst Du zu dieser verwunderlichen Erscheinung? Wo mag der seltsame Mann her sein, der erst so hübsch mit seinem Instrument zu sprechen weiß und es dann verächtlich von sich wirft, wie eine zerbrochene Schachtel?«

      «Es ist unrecht«, sprach Hedwiga wie im plötzlich aufwallenden Zorn, indem ihre verbleichten Wangen sich blutrot färbten,»daß der Park nicht verschlossen ist, daß jeder Fremde hinein kann«.

      «Wie«, erwiderte Julia,»der Fürst sollte, meinst Du, engherzig, den Sieghartsweilern – nein, nicht diesen allein, jedem, der des Weges wandelt, gerade den anmutigsten Fleck der ganzen Gegend verschließen? Das ist unmöglich Deine ernste Meinung!«  —»Du bedenkst«, fuhr die Prinzessin noch bewegter fort,»die Gefahr nicht, die für uns daraus entsteht. Wie oft wandeln wir so wie heute allein, entfernt von aller Dienerschaft, in den entlegensten Gängen des Waldes umher! – Wie, wenn einmal irgendein Bösewicht – «

      «Ei«, unterbrach Julia die Prinzessin,»ich glaube gar, Du fürchtest, aus diesem, jenem Gebüsch könnte irgendein ungeschlachter, märchenhafter Riese, oder ein fabelhafter Raubritter hervorspringen und uns entführen auf seine Burg! – Nun, das wolle der Himmel verhüten! – Aber sonst muß ich Dir gestehen, daß mir irgendein kleines Abenteuer hier in dem einsamen romantischen Walde recht hübsch, recht anmutig bedünken möchte. – Ich denke eben an Shakespeares» Wie es Euch gefällt«, das uns die Mutter so lange nicht in die Hände geben wollte, und das uns endlich Lothario vorgelesen. Was gilt es, Du würdest auch gern ein bißchen Celia spielen, und ich wollte Deine treue Rosalinde sein. – Was machen wir aus unserm unbekannten Virtuosen?«

      «O«, erwiderte die Prinzessin,»eben dieser unbekannte Mensch – Glaubst du wohl, Julia, daß mir seine Gestalt, seine wunderlichen Reden ein inneres Grauen erregten, das mir unerklärlich ist? – Noch jetzt durchbeben mich Schauer, ich erliege beinahe einem Gefühl, das, seltsam und entsetzlich zugleich, alle meine Sinne gefangen nimmt. In dem tiefsten, dunkelsten Gemüt regt sich eine Erinnerung auf und ringt vergebens sich deutlich zu gestalten. – Ich sah diesen Menschen schon in irgendeine fürchterliche Begebenheit verflochten, die mein Herz zerfleischte – vielleicht war es nur ein spukhafter Traum, dessen Andenken mir geblieben – Genug – der Mensch mit seinem seltsamen Beginnen, mit seinen wirren Reden, deuchte mir ein bedrohliches, gespenstisches Wesen, das uns vielleicht verlocken wollte in verderbliche Zauberkreise.«

      «Welche Einbildungen«, rief Julia,»ich für mein Teil verwandle das schwarze Gespenst mit der Guitarre in den Monsieur Jacques, oder gar in den ehrlichen Probstein, dessen Philosophie beinahe so lautet, wie die wunderlichen Reden des Fremden. – Doch hauptsächlich ist es nun nötig, die arme Kleine zu retten, die der Barbar so feindselig in das Gebüsch geschleudert hat.«—

      «Julia – was beginnst Du – um des Himmels willen!«  rief die Prinzessin; doch ohne auf sie zu achten, schlüpfte Julia hinein in das Dickicht und kam nach wenigen Augenblicken triumphierend, die Guitarre, die der Fremde weggeworfen, in der Hand, zurück.

      Die Prinzessin überwand ihre Scheu und betrachtete sehr aufmerksam das Instrument, dessen seltsame Form schon von hohem Alter zeugte, hätte das auch nicht die Jahreszahl und der Name des Meisters bestätigt, den man durch die Schallöffnung auf dem Boden deutlich wahrnahm. Schwarz eingeätzt waren nämlich die Worte:»Stefano Pacini fec. Venet. 1532«.

      Julia konnte es nicht unterlassen, sie schlug einen Akkord auf dem zierlichen Instrument an, und erschrak beinahe über den mächtigen, vollen Klang, der aus dem kleinen Dinge heraustönte.»O herrlich – herrlich!«  rief sie aus und spielte weiter. Da sie aber gewohnt, nur ihren Gesang mit der Guitarre zu begleiten, so konnte es nicht fehlen, daß sie bald unwillkürlich zu singen begann, indem sie weiter fortwandelte. Die Prinzessin folgte ihr schweigend. Julia hielt inne; da sprach Hedwiga:»Singe, spiele auf dem zauberischen Instrumente, vielleicht gelingt es Dir, die bösen, feindlichen Geister, die Macht haben wollten über mich, hinabzubeschwören in den Orkus.«

      «Was willst Du«, erwiderte Julia,»mit Deinen bösen Geistern, die sollen uns beiden fremd sein und bleiben, aber singen will ich und spielen; denn ich wüßte nicht, daß jemals mir ein Instrument so zur Hand gewesen, mir überhaupt so zugesagt hätte, als eben dieses. Mir scheint auch, als wenn meine Stimme viel besser dazu laute als sonst.«– Sie begann eine bekannte italienische Canzonetta und verlor sich in allerlei zierliche Melismen, gewagte Läufe und Capriccios, Raum gebend dem vollen Reichtum der Töne, der in ihrer Brust ruhte.

      War die Prinzessin erschrocken über den Anblick des Unbekannten, so erstarrte Julia zur Bildsäule, als er, da sie eben in einen andern Gang einbiegen wollte, plötzlich vor ihr stand.

      Der Fremde, wohl an dreißig Jahre alt, war nach dem Zuschnitt der letzten Mode schwarz gekleidet. In seinem ganzen Anzuge fand sich durchaus nichts Sonderbares, Ungewöhnliches, und doch hatte sein Ansehen etwas Seltsames, Fremdartiges. Trotz der Sauberkeit seiner Kleidung war eine gewisse Nachlässigkeit sichtbar, die weniger von Mangel an Sorgfalt, als davon herzurühren schien, daß der Fremde gezwungen worden, einen Weg zu machen, auf den er nicht gerechnet, und zu dem sein Anzug nicht paßte. Mit aufgerissener Weste, das Halstuch nur leicht umschlungen, die Schuhe dick bestäubt, auf denen die goldnen Schnällchen kaum sichtbar, stand er da, und närrisch genug sah es aus, daß er an dem kleinen dreieckigen Hütchen, das nur bestimmt, unter den Armen getragen zu werden, die hintere Krempe herabgeschlagen hatte, um sich gegen die Sonne zu schützen. Er hatte sich durchgedrängt durch das tiefste Dickicht des Parks, denn sein wirres schwarzes Haar hing voller Tannadeln. Flüchtig schaute er die Prinzessin an und ließ dann den seelenvollen leuchtenden Blick