Wie eine menschliche Spinne kam er mir vor, die die feinste Berührung ihres Netzes spürt, so teilnahmslos sie sich auch stellt.
Und wovon er nur leben mag? Was denkt er, und was ist sein Vorhaben?
Ich wußte es nicht.
An den Mauerrändern seines Gewölbes hängen unverändert Tag für Tag, jahraus jahrein dieselben toten wertlosen Dinge.
Mit geschlossenen Augen hätte ich sie hinzeichnen können: hier die verbogene Blechtrompete ohne Klappen, das vergilbte Bild auf Papier gemalt, mit den so sonderbar zusammengestellten Soldaten. Dann eine Girlande verrosteter Sporen an einem schimmligen Lederriemen und anderes halb vermodertes Gerümpel.
Und vorne auf dem Boden, dicht nebeneinander geschichtet, so daß niemand die Schwelle des Gewölbes überschreiten kann, eine Reihe runder eiserner Herdplatten. —
Alle diese Dinge nahmen an Zahl nie zu, nie ab, und blieb wirklich hier und da einmal ein Vorübergehender stehen und fragte nach dem Preis des einen oder andern, geriet der Trödler in heftige Erregung.
In grauenerregender Weise zog er dann seine Lippen mit der Hasenscharte empor und sprudelte gereizt irgend etwas Unverständliches in einem gurgelnden, stolpernden Baß hervor, daß dem Käufer die Lust weiter zu fragen verging und er abgeschreckt seinen Weg fortsetzte.
Der Blick des Aaron Wassertrum war blitzschnell von meinen Augen abgeglitten und ruhte jetzt mit gespanntem Interesse an den kahlen Mauern, die vom Nebenhause an mein Fenster stoßen.
Was konnte er dort nur sehen?
Das Haus steht doch mit dem Rücken gegen die Hahnpaßgasse, und seine Fenster blicken in den Hof! Nur eines ist in die Straße gekehrt.
Zufällig schienen die Räume, die nebenan in derselben Stockhöhe wie die meinigen liegen – ich glaube, sie gehören zu einem winkligen Atelier – in diesem Moment betreten worden zu sein, denn durch die Mauern hörte ich plötzlich eine männliche und eine weibliche Stimme miteinander reden.
Unmöglich konnte das aber der Trödler von unten aus wahrgenommen haben! —
Vor meiner Tür bewegte sich jemand, und ich erriet: es ist immer noch Rosina, die draußen im Dunkeln steht in begehrlichem Warten, daß ich sie doch vielleicht zu mir hereinrufen wolle.
Und unten, ein halbes Stockwerk tiefer, lauert der blatternarbige, halbwüchsige Loisa auf den Stiegen mit angehaltenem Atem, ob ich die Tür öffnen werde, und ich spüre förmlich den Hauch seines Hasses und seine schäumende Eifersucht bis herauf zu mir.
Er fürchtet sich näher zu kommen und von Rosina bemerkt zu werden. Er weiß sich von ihr abhängig wie ein hungriger Wolf von seinem Wärter und möchte doch am liebsten aufspringen und besinnungslos seiner Wut die Zügel schießen lassen! —
Ich setzte mich an meinen Arbeitstisch und suchte meine Pinzetten und Stichel hervor.
Aber ich konnte nichts fertigbringen und meine Hand war nicht ruhig genug, die feinen japanischen Gravierungen auszubessern.
Das trübe, düstere Leben, das an diesem Hause hängt, läßt mein Gemüt nicht stillwerden, und immer tauchen alte Bilder in mir auf.
Loisa und sein Zwillingsbruder Jaromir sind wohl kaum ein Jahr älter als Rosina.
An ihren Vater, der Hostienbäcker gewesen, konnte ich mich kaum mehr erinnern, und jetzt sorgt für sie, glaube ich, ein altes Weib.
Ich wußte nur nicht, welche es war unter den vielen, die versteckt im Hause wohnen wie Kröten in ihrem Schlupfwinkel.
Sie sorgt für die beiden Jungen, das heißt: sie gewährt ihnen Unterkunft; dafür müssen sie ihr abliefern, was sie gelegentlich stehlen oder erbetteln. —
Ob sie ihnen wohl auch zu essen gibt? Ich konnte es mir nicht denken, denn erst spät abends kommt die Alte heim.
Leichenwäscherin soll sie sein.
Loisa, Jaromir und Rosina sah ich, als sie noch Kinder waren, oft harmlos im Hof zu dritt spielen.
Die Zeit aber ist lang vorbei.
Den ganzen Tag ist Loisa jetzt hinter dem rothaarigen Judenmädel her.
Zuweilen sucht er sie lange umsonst, und wenn er sie nirgends finden kann, dann schleicht er sich vor meine Tür und wartet mit verzerrtem Gesicht, daß sie heimlich hierher komme.
Da sehe ich ihn, wenn ich bei meiner Arbeit sitze, im Geiste draußen in dem winkligen Gange lauern, den Kopf mit dem ausgemergelten Genick horchend vorgebeugt.
Manchmal bricht dann durch die Stille plötzlich ein wilder Lärm.
Jaromir, der taubstumm ist, und dessen ganzes Denken eine ununterbrochene wahnsinnige Gier nach Rosina erfüllt, irrt wie ein wildes Tier im Hause umher, und sein unartikuliertes heulendes Gebell, das er, vor Eifersucht und Argwohn halb von Sinnen, ausstößt, klingt so schauerlich, daß einem das Blut in den Adern stockt.
Er sucht die beiden, die er stets beieinander vermutet – irgendwo in einem der tausend schmutzigen Schlupfwinkel versteckt – in blinder Raserei, immer von dem Gedanken gepeitscht, seinem Bruder auf den Fersen sein zu müssen, daß nichts mit Rosina vorgehe, von dem er nicht wisse.
Und gerade diese unaufhörliche Qual des Krüppels ist, ahnte ich, das Reizmittel, das Rosina antreibt, sich stets von neuem mit dem andern einzulassen.
Wird ihre Neigung oder Bereitwilligkeit schwächer, so ersinnt Loisa immer wieder besondere Scheußlichkeiten, um Rosinas Gier von neuem zu entfachen.
Da lassen sie sich scheinbar oder wirklich von dem Taubstummen ertappen und locken den Rasenden heimtückisch hinter sich her in dunkle Gänge, wo sie aus rostigen Faßreifen, die in die Höhe schnellen, wenn man auf sie tritt, und eisernen Rechen – mit den Spitzen nach oben gekehrt – bösartige Fallen errichtet haben, in die er stürzen muß und sich blutig fällt.
Von Zeit zu Zeit denkt sich Rosina, um die Folter aufs äußerste anzuspannen, auf eigene Faust etwas Höllisches aus.
Dann ändert sie mit einem Schlage ihr Benehmen zu Jaromir und tut, als fände sie plötzlich Gefallen an ihm.
Mit ihrer ewig lächelnden Miene teilt sie dem Krüppel hastig Dinge mit, die ihn in eine fast irrsinnige Erregung versetzen, und sie hat sich dazu eine geheimnisvoll scheinende, nur halbverständliche Zeichensprache ersonnen, die den Taubstummen rettungslos in ein unentwirrbares Netz von Ungewißheit und verzehrenden Hoffnungen verstricken muß. —
Einmal sah ich ihn im Hofe vor ihr stehen, und sie sprach mit so heftigen Lippenbewegungen und Gestikulationen auf ihn ein, daß ich glaubte, jeden Augenblick würde er in wilder Aufregung zusammenbrechen.
Der Schweiß lief ihm übers Gesicht vor übermenschlicher Anstrengung, den Sinn der absichtlich so unklaren, hastigen Mitteilungen zu erfassen.
Und den ganzen folgenden Tag lauerte er dann fiebernd in Erwartung auf den finsteren Stiegen eines halb versunkenen Hauses, das in der Fortsetzung der engen, schmutzigen Hahnpaßgasse liegt, – bis er die Zeit versäumt hatte, sich an den Ecken ein paar Kreuzer zu erbetteln.
Und als er spät abends halbtot vor Hunger und Aufregung heim wollte, hatte ihn die Pflegemutter längst ausgesperrt. —
Ein fröhliches Frauenlachen drang aus dem anstoßenden Atelier durch die Mauern herüber zu mir.
Ein Lachen! – In diesen Häusern ein fröhliches Lachen? Im ganzen Getto wohnt niemand, der fröhlich lachen könnte.
Da fiel mir ein, daß mir vor einigen Tagen der alte Marionettenspieler Zwakh anvertraute, ein junger, vornehmer Herr hätte ihm das Atelier teuer abgemietet – offenbar, um mit der Erwählten seines Herzens unbelauscht zusammenkommen zu können.
Nach und nach, jede Nacht, müßten nun, damit niemand im Hause etwas merke, die kostbaren Möbel des neuen Mieters heimlich Stück für Stück hinaufgeschafft werden.
Der gutmütige Alte hatte sich vor Vergnügen die Hände gerieben, als er