Es dauerte auch nicht so lang. So stand der Reisewagen bereit. Ein bärenstarker Kutscher saß auf dem Bock. An seiner Seite waren zwei Jungen vom Wirt. Elsbeth stieg in den Wagen.
«Aber seid nur vorsichtig!« sagte Hans zum Abschied.»Ihr wisst, die Straße über den Wienerberg ist gefährlich. Dort steht die Teufelsmühle. In der Nähe wütet Hans Aufschring mit seiner Räuberbande. Man nennt ihn den Waldteufel. Seid vorsichtig! Ihr dürft in den Nebenraum von der Mühle nicht absteigen oder gar dort übernachten. Der Besitzer von der Gastwirtschaft ist mit dem Räuber verbunden.«
Es war auch so, wie Hans sagte. Ganz Wien zitterte damals vor dem schändlichen Mordgesellen[5]. Alle Bemühungen von den Behörden waren vergeblich. Untat häufte sich auf Untat. Niemand konnte dem Waldteufel endlich sein böses Handwerk legen.
Aber Elsbeth hat die Worte vom Wirtssohn nicht in Verlegenheit gebracht. Sie wies auch lächelnd sein Angebot ab, zusammen zu fahren. Sie dachte, zwei Jungen und der Kutscher waren genug.
«Außerdem«, sagte sie schließlich,»erzählt man von dem Waldteufel, Frauen mussten von ihm keine Angst haben.«
Sie ließ Hans gar nicht weiter zu Wort kommen. Dann winkte sie ihm freundlich zu. Und die Fahrt begann. Ohne Zwischenfälle kamen sie an der Teufelsmühle vorbei. Bei Einbruch von der Dämmerung waren sie in Wiener Neustadt. Sie wollten in einer guten Herberge übernachten. Am nächsten Morgen war Elsbeth in der Werkstatt vom bekannten Waffenschmied Klingsporner. Sie bestellte einen kunstvollen Lehnstuhl für ihren Vater. Bald feierte er seinen Geburtstag.
«Wisst«, erklärte sie,»der Stuhl soll einen doppelten Zweck erfüllen. Er soll meinem Vater durch seine Schönheit eine Freude machen. Er soll aber auch eine Überraschung bilden durch einen geheimen Mechanismus. Er ist im Sessel eingebaut. Er soll so sein: beim Drücken vom Feder sind zwei starke Arme nach vorne gerichtet. Sie lassen meinen Vater nicht mehr los. So komme ich zu ihm und dann befreie ihn. Können Sie, Meister, ein solches Werk machen?«
Klingsporner versprach, in Kürze den gewünschten Lehnstuhl zu liefern. Und Elsbeth war damit zufrieden. In einigen Tagen war der Sessel fertig. Er war noch an diesem Tag wohlverpackt. Man hat ihn auf den Wagen geladen. Es war schon spät am Nachmittag. Die Rückfahrt nach Wien fang an. Bei der Teufelsmühle wollte Elsbeth das Fuhrwerk halten.
«Es ist schon dunkel«, sagte sie. »Wir wollen hier übernachten.«
Der Wagen fuhr in den Hof von der Mühle. Das Mädchen verlangte vom Wirt ein Zimmer für sich und eine Stube für ihre beiden Begleiter. Er war zu freundlich zu ihr. Sie befahl dem Kutscher: er sollte den Wagen am Fenster von seinem Stall stellen. Und die Pferde sollte er nicht strecken. Den Lehnstuhl mussten die beiden Jungen in ihr Zimmer tragen.
Elsbeth hat im Schankraum ihr Abendessen gegessen. Ein kräftiger Mann trat herein. Er saß sich an ihren Tisch.»Das ist sicher der Waldteufel«, dachte die unerschrockene Jungfrau. Nun finden wir heraus: kann ein schwaches Mädchen machen, was vielen starken Männern bisher nicht gelang[6]. Der Fremde begann ein Gespräch. Sie gab freundlich Antwort. Sie war harmlos und unwissend. Er setzte sich näher zu ihr. Da erzählte Elsbeth über einen silbernen Becher. Sie hat ihn in Wiener Neustadt erworben. Sie wollte ihren Vater ein Geschenk bringen. Nun wollte der Räuber, sie zeigte ihm den Becher. Sie ließ ihn fast widerwillig in ihr Zimmer begleiten. Sie hat das Gepäck da gehabt. Dort lud sie den Waldteufel freundlich ein. So sollte er auf dem Lehnstuhl Platz nehmen. Er war eben zu diesem Zweck im Zimmer.
Der schwere Mann hat sich kaum in den Stuhl gesetzt. Aber der Stuhl war von einem Federdruck ausgelöst. Der geheime Mechanismus spielte. Eiserne Bänder funktionierten. Sie haben blitzschnell den frechen Raubgesellen gefasst. Er war an Händen und Füßen gefesselt. Er konnte sich nicht mehr bewegen. Vergebens versuchte er. Er war rasend vor Wut. Er wollte sich aus der eisernen Umklammerung lösen. Es gelang ihm nicht. Das Mädchen eilte zum Fenster und rief ihre Helfer. Sie schleppten den Lehnstuhl mit seinem tobenden Wesen aus dem Haus. Dann verluden sie ihn auf den Wagen. Auch der saubere Schankwirt war überwältigt und gebunden zu seinem Spießgesellen gelegt.
Wenige Augenblicke später fuhr der Wagen durch die nächtliche Straße von der Stadt. Er hielt zuerst vor dem Wirtshaus vom Gundtl. Der Wirt öffnete die Tür. Er dachte, der Mann im Lehnstuhl war ein reicher Viehhändler.
«Nein«, antwortete Elsbeth,»das ist kein Viehhändler, sondern Hans Aufschring, der Waldteufel. Niemand konnte ihn bisher erwischen.«
Und sie erzählte dem erstaunten Wirt, wie konnte sie den Raubgesellen fangen.
Der Ruf von der klugen und mutigen Tat vom unerschrockenen Mädchen verbreitete sich schnell in der Stadt. Und man konnte sich nicht genug wundern. Ein junges, zartes Mädchen hat diesen gewalttätigen Räuber unschädlich gemacht.
Hans Aufschring und seinen Spießgesellen hat man dem Gericht übergeben. Sie verbüßten ihr Verbrechen mit dem Tod.
Elsbeth hieß von nun an im Volksmund, «die Judith von Wien». Sie heiratete bald den jungen Hans Gundtl. Und ihre Nachkommen führten noch viele Jahre das Gasthaus «Zum Waldteufel» in der Kärntner Straße.
Der Löwenritter
1485 war die Kaiserstadt Wien an der schönen blauen Donau von dem Ungarnkönig Matthias Corvinus hart belagert. Die Wiener waren überaus tapfer und mutig. Doch brachen große Steuern und Hunger in der unglücklichen Stadt aus. Und es blieb den Bürgern nichts Anderes übrig, als die Stadt dem Ungarnkönig zu übergeben[7].
Matthias Corvinus kam in voller Pracht in Wien an. Seine ungarische Tracht blitzte von Edelsteinen. Und seine Waffen funkelten von weitem. Auch seine Gefolge waren prächtig gekleidet. Und den Schluss vom Zug bildeten viele prachtvolle Löwen und Tiger. Sie waren für die Unterhaltung von den hohen Herren nach dem Brauch in dieser Zeit bestimmt. In einem großen Zwinger von der Wiener Hofburg wohnten die wilden Bestien. Und es war die liebste Ablenkung vom König Matthias Corvinus. Er mochte die Löwen beobachten. Ganze Stunden verbrachte er vor dem Zwinger. Immer wieder bewunderte er sich auf die wilde Grazie von den Raubtieren.
An einem schönen Märztag 1486 fühlte sich Matthias Corvinus sehr schlecht nach einem schweren Fieberanfall. Er hatte ein kränkliches Aussehen. Die quälenden Gichtschmerzen haben ihn für eine Minute nicht verlassen[8]. Der Hofarzt sagte dem König, er musste sich schonen. Matthias Corvinus fuhr ihn an:
«Warum schickst du mich ins Bett? Mir fehlt nichts! Das Bett ist gut für alte Weiber. Aber nie für einen König. Er soll ein Löwe sein. Ich will vom Bett nichts wissen! Gebt mir lieber Ablenkung und Unterhaltung!«
Da sprach Graf Nostiz. Er war ein böhmischer Edle am Hof vom Ungarnkönig:
«Euer Majestät, gehen wir doch zum Löwenzwinger. Es ist bald Fütterungszeit. Und da gibt es immer Abwechslung!«
«Du hast recht, Nostiz. Gehen wir zu unseren Brüdern!«
Der König ging mit einem großen Gefolge zu den Löwenzwingern. In einem Zwinger gab es drei Löwen. Der König blieb stehen. Die starken Tiere streckten mit Gebrüll ihre Pfoten durch die Gitterstäbe. Sie warteten schon auf ihr tägliches Futter.
«Diese Tiere möchte ich einmal im höchsten Zorn sehen!« sagte Matthias Corvinus.
Der Schatzkanzler befahl dem Löwenwärter:
«Zeigt doch einmal den Löwen ihr Futter. Aber gebt es ihnen nicht!«
Der Wärter gehorchte. Er brachte das Fleisch nahe an den Käfig. Der Löwe konnte durch das Gitter ein Stück erfassen. Es machte mit seinem wütenden Gebrüll alles zittern.
«Nun«, sprach der Schatzkanzler,»wir konnten doch Spaß haben, Majestät. Wenn jemand aus Eurem Gefolge den Mut hatte, dem Löwen sein Futter wegzunehmen. Im Altertum gab es gar viele Helden. So wollten sie nur ihren hohen Herren gefallen!«
Da sprach der König Matthias Corvinus:
«Die