Daher legte ich – fristgerecht und ohne lange zu zögern – bei der Bundesnetzagentur Widerspruch gegen die zuvor erteilte Standortbescheinigung ein. Daraufhin erhielten mein Rechtsanwalt und ich die folgende Antwort der oberen Bundesbehörde auf die von uns gestellte „Baumfrage“:
Die Antwort der Bundesnetzagentur
„Sofern Ihr Mandant auf dem Grundstück Kesperhof 16 Baumpflegearbeiten durchführen möchte, hat er dies zunächst mit dem Eigentümer des Grundstücks zu vereinbaren. Im Rahmen des bestehenden Mietvertrages (Funkanlage) kann bei Bedarf für Gartenarbeiten innerhalb des einzuhaltenden Sicherheitsabstandes der Standorteigentümer mit dem betreffenden Mobilfunknetzbetreiber Zeitfenster vereinbaren.“
Schriftliche Mitteilung der Bundesnetzagentur vom 8. Dezember 2016 (Aktenzeichen der Behörde: 4741 414-3)
In jenem lange vergangenen Dezember, aus dem diese Aussage stammt, stand unser kleines Amberbäumchen – all seiner herbstlich bunten Blätter beraubt – ziemlich nackt vor unserer hochgewachsenen Gartenhecke, nur gut drei Meter von dem mobilfunkenden Nachbargrundstück entfernt. Diese Baumart ist einigermaßen genügsam, was die Eigenschaften des Bodens angeht, und überdies ausgesprochen unempfindlich gegenüber Luftschadstoffen. Mehr noch: Sie erfreut den Betrachter im Herbst mit einer ebenso ungewöhnlichen, wie wunderschönen Laubfärbung.
Bild 1: Zu voller Größe herangewachsener Amberbaum im bunten Herbstlaub
Verständlicherweise waren wir ausgesprochen stolz, dass unsere kleine Eigenpflanzung so prächtig angewachsen war. Daher ärgerte mich sehr, dass der von der Bundesnetzagentur errechnete, horizontale „Sicherheitsabstand in Hauptstrahlrichtung“ nun erstmalig ungefähr 24 Zentimeter auf unser Grundstück hinüberragen sollte:
Wäre unser Amberbaum in ein, zwei Jahrzehnten auch nur halb so groß wie das im Bild gezeigte Prachtexemplar vom alten Göttinger Stadtfriedhof, könnte das für mich ein Problem bedeuten, falls ich mich selbst als Baumkletterer betätigen wollte oder mir eine fahrbare Arbeitsbühne mieten würde, um die Krone zu inspizieren und ggf. selber ein wenig zu richten. Und das auch dann noch, falls diese sogenannten „Baumpflegearbeiten“ nicht vom Nachbargrundstück – wie von der Behörde angenommen –, sondern von unserem eigenen Grundstück aus vorgenommen werden sollten! (Weil ich dazu voraussichtlich auch den Luftraum über dem Nachbargrundstück würde mitbenutzen müssen.)
Die Behörde hatte sich ziemlich viel Zeit gelassen, bis sie meinem Rechtsanwalt die oben wiedergegebene Antwort auf die von uns eingereichte Frage zukommen ließ. Sollte ich mich nun darüber freuen, dass ich zuerst mit meinem Nachbarn Kontakt aufnehmen sollte, bevor ich Baumpflegearbeiten an unserem eigenen Gartenbaum vornehmen durfte? Tatsächlich war diese Überlegung für mich eher zweitrangig, denn es gab noch ein zweites, im Grunde genommen viel schwerwiegenderes Problem, das mich beschäftigte:
Was wäre zu unternehmen, falls sich die Netzbetreiber weigern sollten, ihre Funkanlagen auch wirklich wie zugesagt abzuschalten?
Denn genau das war vor gerade eben erst zwei Jahren passiert, wie die Bundesnetzagentur meiner damaligen Rechtsanwältin schriftlich bestätigen musste:
„Wir haben den Sachverhalt überprüft. Dabei hat sich gezeigt, dass tatsächlich ein Mobilfunkbetreiber am Netz war. Wir haben die Funkanlage bis zur Erteilung einer neuen Standortbescheinigung außer Betrieb nehmen lassen.“
Was war geschehen? Der Widerspruch eines anderen Anwohners war erfolgreich gewesen. Er hatte reklamiert, dass die von der Behörde genehmigten (!) Sicherheitsabstände der neuesten Standortbescheinigung bis in ein Dachzimmer seines Reihenhauses hineinreichen würden. Daraufhin wurden alle drei Mobilfunk-Betreiber von der Netzagentur angewiesen, ihre Funkanlagen umgehend abzuschalten. Was sie auch taten, wie kurz darauf durchgeführte Messungen der Bundesbehörde bewiesen.
Doch kaum war der Messwagen verschwunden, hatten mein O2-Handy und das meiner Frau mit einem Mal wieder den perfekten Internet-Empfang. Mit anderen Worten: Die drei Antennen der Telefónica funkten auf einmal fröhlich ohne jede gültige Betriebsgenehmigung vor sich hin.
Bewusster Betrug? Ich weiß es bis heute nicht. Möglicherweise war’s sogar nur ein Versehen. Aber eine Art von Versehen, auf die ich bei einer selbst praktizierten Baumpflegearbeit überhaupt keinen Bock haben konnte. Meine diesbezügliche Frage war deshalb: Wer würde währenddessen neben mir vor Ort Wache halten und fortlaufend prüfen, ob die Funkanlagen auch wirklich ausgeschaltet waren? Und ausgeschaltet blieben, bis ich mit meinen Baumarbeiten fertig war? Die Bundesnetzagentur vielleicht? Das dürfte meinen vorangegangenen Erfahrungen nach kaum anzunehmen sein...
Ein Rechtsvertreter der Bundesnetzagentur
„Soweit der Kläger ... beantragt: ‚alle drei zwischen den Netzbetreibern und dem oder den Eigentümern des Grundstückes Kesperhof 16 ... geschlossenen Verträge einsehen zu dürfen, um prüfen zu können, ob sie für sich genommen die Personensicherheit im Luftraum über dem Betreibergrundstück hinreichend gewährleisten.’, teilen wir mit, dass die Beklagte keine Kenntnis über die vertraglichen Beziehungen hat.“
Aus einer schriftlichen Mitteilung des Rechtsvertreters der Bundesnetzagentur an das Göttinger Verwaltungsgericht vom 5. Juli 2018 (Aktenzeichen des Gerichts: 4 A 345/17).
Richtig absurd wurde die ganze Angelegenheit in dem Moment, als mein Rechtsanwalt und ich wegen der 2016 erteilten Standortbescheinigung für nun insgesamt 15 (!) Funkantennen Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesnetzagentur, eingereicht hatten und deren Rechtsanwalt die oben zitierte Aussage an das Gericht schickte. Denn welche ehrliche Haut würde einem ebenso ahnungs-, wie arglosen Anwohner wohl von Amts wegen zusagen:
„Im Rahmen des bestehenden Mietvertrages (Funkanlage) kann bei Bedarf für Gartenarbeiten innerhalb des einzuhaltenden Sicherheitsabstandes der Standorteigentümer mit dem betreffenden Mobilfunknetzbetreiber Zeitfenster vereinbaren.“,
wenn er selbst „keine Kenntnis über die vertraglichen Beziehungen hat“?
Die ganze, haarsträubende Wahrheit war also: Die obere Bundesbehörde hatte sich die uns zuvor hochoffiziell mitgeteilte Widerspruchslösung ganz offensichtlich aus den Fingern gesogen! Was auch die weiteren Ausführungen ihres Rechtsvertreters zu bestätigen schienen:
„Die Beklagte [Bundesnetzagentur] ist ausschließlich für die immissionsschutzrechtliche Beurteilung des Standortes in Bezug auf die Grenzwerte der 26. BImSchV [offizielle Abkürzung für: Bundes-Immissions-Schutz-Verordnung] zuständig. Hierfür sind die vertraglichen Beziehungen zwischen dem Standortbetreiber und dem Grundstückeigentümer irrelevant.“
Damit wurde die ganze Angelegenheit nun erst recht absurd und unglaubwürdig: Woher konnte der gute Rechtsanwalt eigentlich wissen, dass in den Mietverträgen keinerlei wesentliche Aussagen über den Immissionsschutz zu finden waren, wo doch diese Verträge der von ihm vertretenen Behörde – und damit wohl auch ihm selbst – angeblich vollkommen unbekannt waren? War das jetzt eine Notlüge oder nur ein Missverständnis?
Und: Wer sollte auf unserem Nachbargrundstück eigentlich dafür sorgen, dass zumindest das fast vollständig im Sicherheitsbereich liegende oberste Dachgeschoss des privaten Wohnheims ständig verschlossen gehalten wurde? Die Netzbetreiber etwa? Die waren doch fast nie vor Ort!
Meine