1. Regelungsinhalt des § 1 AStG
§ 1 AStG wurde in den letzten Jahren mehrfach umgeändert bzw. neu gefasst.31 Die wesentlichen Bestimmungen des § 1 AStG können wie folgt kurz zusammengefasst werden:
Absatz 1 enthält die Tatbestände, in denen eine Hinzurechnung von Einkünften stattfindet, wenn Einkünfte, die ein inländischer Steuerpflichtiger aus einer Geschäftsbeziehung zum Ausland mit einer ihm nahestehenden Person erzielt, dadurch gemindert werden, dass dieser Geschäftsbeziehung andere als zwischen fremden Dritten übliche Bedingungen zu Grunde liegen (Fremdvergleichsgrundsatz). Absatz 2 definiert die dem Steuerpflichtigen nahestehenden Personen. Absätze 3 und 3a–c regeln Einzelheiten der Ermittlung von Verrechnungspreisen. Absatz 4 definiert den Begriff der „Geschäftsbeziehungen“ im Sinne der Norm. Absatz 5 regelt in Übereinstimmung mit dem Authorised OECD Approach32 die Grundsätze, nach denen der international anerkannte Fremdvergleichsgrundsatz sowohl auf die Aufteilung der Gewinne zwischen einem inländischen Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte als auch auf die Ermittlung der Einkünfte einer inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens anzuwenden ist.33 Eine rechtlich unselbstständige Betriebsstätte (§ 12 AO) wird fiktiv als eigenständiges und unabhängiges Unternehmen behandelt, es sei denn, die Zugehörigkeit der Betriebsstätte zum Unternehmen erfordert eine andere Behandlung.
Die Einkünfteberichtigungsnormen der Absätze 1, 3 bis 4 sind anzuwenden, wenn für eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung (Abs. 4 Satz 1 Nr. 2) die Bedingungen, insbesondere die Verrechnungspreise, nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen und dadurch die inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen gemindert oder die ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen erhöht werden (Satz 1). Dies gilt auch für ständige Vertreter (Satz 5).
In einem ersten Schritt sind der Betriebsstätte zuzuordnen:
1. die Funktionen des Unternehmens, die durch ihr Personal ausgeübt werden (Personalfunktionen),
2. die Vermögenswerte des Unternehmens, die sie zur Ausübung der ihr zugeordneten Funktionen benötigt,
3. die Chancen und Risiken des Unternehmens, die sie aufgrund der ausgeübten Funktionen und zugeordneten Vermögenswerte übernimmt, sowie
4. ein angemessenes Eigenkapital (Dotationskapital).
In einem zweiten Schritt sind auf der Grundlage dieser Zuordnung die Art der Geschäftsbeziehungen zwischen dem Unternehmen und der Betriebsstätte sowie die Verrechnungspreise für diese Geschäftsbeziehungen zu bestimmen.
Bei ausländischen Betriebsstätten ist danach zu differenzieren, welche Regelung im betreffenden Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehen ist. Wird dem bisherigen Verständnis der eingeschränkten Selbstständigkeit der Betriebsstätte gefolgt, gelten die bisherigen Grundsätze weiter. Ohne Regelung oder bei Abkommensformulierung entsprechend Art. 7 OECD-MA 201034 gilt der AOA-Ansatz. In der Praxis wird eine Verkomplizierung der Betriebsstättenbesteuerung erwartet, weil demnach unterschiedliche Regelungen zur Einkunftsabgrenzung anzuwenden sind.
2. Beschränkung des Anwendungsbereiches des § 1 AStG
Nach seinem Urteil vom 31. Mai 2018 in der Rechtssache „Hornbach“35 hat der EuGH festgestellt, dass Verrechnungspreiskorrekturvorschriften wie § 1 AStG36 nur dann europarechtlichen Maßstäben entsprechen, wenn dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eingeräumt wird, wirtschaftliche Gründe für fremdunübliche Gestaltungen nachzuweisen. Die steuerliche Berichtigung muss sich zudem ggfls. auf den Teil beschränken, der über das hinausgeht, was die betreffenden Gesellschaften unter Marktbedingungen vereinbart hätten. Es sei Sache des nationalen Gerichts, zu überprüfen, ob dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eingeräumt wurde, Beweise für die wirtschaftlichen Gründe des in Frage stehenden Geschäfts beizubringen.37
Der BFH hat sich der Hornbach-Rechtsprechung des EuGH angeschlossen und geurteilt, dass dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eingeräumt werden muss, den Nachweis für etwaige wirtschaftliche Gründe für den Abschluss des (nicht fremdüblichen) Geschäfts zu erbringen.38
3. Einkunftsabgrenzung
a) Einleitung
Ziel der gesamten Verrechnungspreisdiskussion ist es, dem Fremdvergleichsgrundsatz zu genügen, also den Preis und die Bedingungen zu vereinbaren, die fremde Dritte (also nicht konzernverbundene Unternehmen) miteinander vereinbart hätten.
Rechtsgrundlagen im nationalen Recht sind § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, § 1 AStG; Rechtsgrundlage des internationalen Rechts ist Art. 9 OECD-MA, der eine Korrektur des zugewiesenen Besteuerungsrechts vornimmt, soweit innerhalb von verbundenen Unternehmen vom Fremdvergleichsgrundsatz abgewichen wird.
Die steuerliche Funktion von Verrechnungspreisen liegt zum einen in der Vermögensabgrenzung, insbesondere auch zwischen Stammhaus und Betriebsstätte.39 Zum anderen liegt die steuerliche Funktion von Verrechnungspreisen in der Einkunftsabgrenzung durch Zuweisung der laufenden Aufwendungen, Veräußerungsgewinne und Allokation von Verlusten.
Verrechnungspreise haben unterschiedliche Ziele in unterschiedlichen Bereichen. Im Gesellschaftsrecht besteht das Ziel in dem Schutz des Vermögens der Gesellschaft vor gesellschaftsfremden Einflüssen, soweit nicht andere Schutzinstrumente mit dem gleichen Ziel greifen. Betriebswirtschaftlich geht es um die Ermittlung des betrieblichen Erfolges einer Wirtschaftseinheit unter verschiedenen Gesichtspunkten.40 Im Steuerrecht ist Ziel der Verrechnungspreise die Abgrenzung des steuerlichen Einkommens einer juristischen Person bzw. Personengesellschaft als selbstständigem Rechtsträger von nahestehenden Personen.
Die deutsche Finanzverwaltung hat zu der Frage der Einkünftekorrektur eine Reihe nationaler Verwaltungsgrundsätze erlassen,41 die in der Praxis eine bedeutende Rolle spielen.
§ 1 Abs. 1 S. 1 AStG formuliert „unbeschadet anderer Vorschriften“, gemeint sind damit insbesondere folgende Normen: § 8 Abs. 3 Satz 1 und 2 KStG (Verdeckte Gewinnausschüttung), § 4 Abs. 1, § 6 Abs. 6 Satz 2 EStG (Verdeckte Einlage), § 4 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG (Entnahme), Art. 9 OECD-MA und entsprechende Regelungen, § 7 AStG, § 42 AO (EuGH vom 13.03.2007, IStR 2007, 249, Tz. 80), § 41 Abs. 2 AO.
Als wichtige internationale Regelung sind die OECD-Verrechnungspreisleitlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen42 [„Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations 2010“ – Gl.2010]43 zu nennen. Es handelt sich dabei um eine international anerkannte Grundlage für die Bewertung grenzüberschreitender Transaktionen innerhalb von Unternehmen, die von der OECD erarbeitet und in den darauffolgenden Jahren immer wieder überarbeitet und ergänzt wurde, wobei die Entwicklung nicht abgeschlossen sein dürfte.
Im Oktober 2015 wurde Kapitel V der OECD-Richtlinien zur Dokumentation von Verrechnungspreisen (Guidance on Transfer Pricing Documentation and Country-by Country Reporting (CbCR)) aktualisiert.44 Das Country-by-country-Reporting (Rechnungslegung nach Ländern) soll den Finanzverwaltungen einen besseren Überblick über die Strukturen von internationalen Großkonzernen ermöglichen. Es enthält die Vorgaben für die Dokumentation (Masterfile, Localfile, CbC-Reporting Template [Countryby-Country-Formular]).
Im Jahre 2017 wurden die Guidelines erneut überarbeitet und an die BEPS-Maßnahmen angepasst, am 10.07.2017 wurden die OECD Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterpises and Tax Administrations