Der Arbeitgeber kann betriebliche Interessen hiergegen nur im Rahmen einer Interessenabwägung nach § 315 BGB entgegenhalten. Diese ist er verpflichtet durchzuführen. Dabei hat der Arbeitgeber nach billigem Ermessen eine Entscheidung zu treffen. Je wichtiger der vom Beschäftigten angeführte Grund ist, desto gewichtiger muss auch das Gegeninteresse des Arbeitgebers sein, um den Anspruch verweigern zu können. Je länger der Zeitraum des begehrten Sonderurlaubs ist, desto bedeutender muss auch der Grund für die Freistellung von der Arbeit sein.
Wird keine einvernehmliche Lösung erzielt, so kann sich der Beschäftigte vor dem Arbeitsgericht den Sonderurlaub erstreiten. Dies verlangt allerdings, dass sich das Ermessen des Arbeitgebers auf null reduziert hat.
Antreten darf der Beschäftigte den Sonderurlaub stets erst nach Zustimmung des Arbeitgebers bzw. nach Ersetzung der Zustimmung durch das Arbeitsgericht.
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Während der Zeit des Sonderurlaubs erwirbt der Arbeitnehmer nach neuerer Rechtsprechung keinerlei Urlaubsansprüche, soweit der Sonderurlaub ganze Kalendermonate umfasst.
Von der Kürzung betroffen ist darüber hinaus auch die Jahressonderzahlung, § 20 Abs. 4 TVöD.
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Zeiten des Sonderurlaubs werden zudem grds. nicht auf die Beschäftigungszeit angerechnet. Anderes gilt nur, wenn der Arbeitgeber vor Antritt desselben ein dienstliches bzw. betriebliches Interesse schriftlich anerkannt hat, § 34 Abs. 3 S. 2, § 17 Abs. 3 S. 1 d) TVöD.
Nachteile ergeben sich bei der Inanspruchnahme von Sonderurlaub auch im Hinblick auf die gesetzliche Krankenversicherung, die einen Monat nach Unterbrechung des aktiven Arbeitsverhältnisses gem. § 19 Abs. 2 SGB V erlischt, so dass sich der Arbeitnehmer eigenständig um die Absicherung bemühen muss.
Ergänzt wird die tarifliche Bestimmung um das PflegeZG, wonach bei kurzzeitiger Arbeitsverhinderung nach § 2 PflegeZG ein Anspruch auf Freistellung für bis zu zehn Arbeitstage und ggf. Pflegeunterstützungsgeld sowie bei Inanspruchnahme von Pflegezeit auf unbezahlten Freistellungsanspruch von bis zu sechs Monaten besteht, §§ 3 und 4 PflegeZG, ggf. ergänzt um Familienpflegezeit bis zur Gesamtdauer von 24 Monaten nach dem FPflegeZG.
Es ist für den Beschäftigten ratsam, statt Sonderurlaub Pflegezeit in Anspruch zu nehmen, um keine Nachteile u.a. im Hinblick auf die Altersversorge zu erleiden.
IV.Bildungsurlaub
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Jedem Arbeitnehmer steht ein Recht auf Bildungsurlaub zu, wie dem IAO-Übereinkommen Nr. 140 zu entnehmen ist. Dieses zu sichern, ist Aufgabe der einzelnen Bundesländer, da der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz bislang keinen Gebrauch gemacht hat.
Bis auf Bayern und Sachsen sind alle Bundesländer diesem Auftrag gefolgt und haben eigenständige Regelungswerke normiert.
Um Beschäftigte, die ihren Arbeitsplatz in Bayern oder Sachsen haben, gleichwohl in ihrem Recht auf Bildung zu schützen, gilt, wie unter A V. 7. a). Arbeitsbefreiung dargestellt, § 9 Abs. 2 SUrlV entsprechend.
Zwar unterscheiden sich die einzelnen Bildungsgesetze der Länder in Einzelheiten, im Großen und Ganzen ähnlich gehalten ist der anspruchsberechtigte Personenkreis von Arbeitnehmern und teils auch Auszubildenden wie auch die Dauer des Freistellungsanspruchs von fünf Tagen pro Kalenderjahr, die teils auch auf Zweijahreszeiträume angespart und genutzt werden können.
Erfasst werden vom Bildungsurlaub die Teilnahme an Veranstaltungen der beruflichen, politischen sowie teils auch der allgemeinen Weiterbildung.
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die jeweiligen Bildungsgesetze der Länder verwiesen.
Während die Bildungsveranstaltung selbst nicht durch den Arbeitgeber finanziert wird, wird hingegen für den Freistellungszeitraum das Entgelt dem Arbeitnehmer weitergezahlt.
1.Vorbemerkung
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Auffallend kurz gehalten sind die abschließenden Regeln zur Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Entgelts nach § 29 TVöD als Abweichung von der allgemeinen Regelung des § 616 BGB. Nach der zivilrechtlichen Grundnorm verliert der zur Dienstleistung Verpflichtete nicht seinen Vergütungsanspruch, wenn er unverschuldet aus einem persönlichen Grund seine Arbeitsleistung nicht zu erbringen in der Lage ist. Bei § 616 BGB handelt es sich indessen um eine disponible, folglich abdingbare Norm; der Arbeitgeber kann generell für alle persönlichen Anlässe bezahlte Arbeitsbefreiung gewähren, er kann diese auch generell ausschließen. Kann folglich der Wunsch auf Arbeitsbefreiung nicht nach der von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Regelung des § 29 TVöD durchgesetzt werden, ist ein Rückgriff auf § 616 BGB ausgeschlossen.
Die Vorschrift differenziert zwischen:
in Absatz 1 geregelten persönlichen Anlässen;
allgemeinen staatsbürgerlichen Pflichten in Absatz 2;
sonstigen dringenden Fällen unter Fortzahlung des Entgelts und begründeten Fällen ohne Fortzahlung des Entgelts gem. Absatz 3;
gewerkschaftlichen Zwecken nach Absatz 4 sowie
der Teilnahme an Sitzungen von Ausschüssen nach dem BBiG sowie für Tätigkeiten in Organen von Sozialversicherungsträgern nach Absatz 5.
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Wie dem EuGH[53] zu entnehmen ist, werden Sonderurlaubstatbestände bzw. Arbeitsbefreiungstatbestände beim Zusammentreffen mit Urlaubstatbeständen nicht europarechtlich geschützt. Denn der dem Erholungsurlaub zu Grunde liegende Schutz der Gesundheit erstreckt sich nicht auf Arbeitsbefreiungssachverhalte. Dies hat zur Folge, dass während des Erholungsurlaubs eintretende Ansprüche auf Arbeitsbefreiung nicht geltend gemacht und Urlaub nicht, auch nicht analog nach § 9 BUrlG, gutgeschrieben werden kann.
2.Persönliche Anlässe nach § 29 Abs. 1 TVöD
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Für folgende Fälle besteht ein tariflicher Anspruch, wobei die Arbeitsbefreiung nicht an dem Tag des Anlasses selbst genommen werden muss, was etwa an arbeitsfreien Tagen nicht möglich wäre. Allerdings ist die Arbeitsbefreiung grds. in zeitlichem Zusammenhang zu dem Anlass zu beantragen und zu gewähren.
Absatz 1 Buchst. a): Niederkunft der Ehefrau/Lebenspartnerin im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes:ein Arbeitstag
Anlässlich der Geburt eines Kindes gewährt die Tarifnorm einen eintägigen Arbeitsbefreiungsanspruch. Zur Geltendmachung ist es nicht erforderlich, dass eine häusliche Gemeinschaft besteht.
Keine Arbeitsbefreiung soll jedoch auch weiterhin für die Niederkunft der Lebensgefährtin gewährt werden. Dies ist umso erstaunlicher, als dass die SUrlV der Beamten nunmehr explizit die nichteheliche Lebensgemeinschaft in den anspruchsberechtigten Personenkreis aufgenommen hat. Insoweit besteht Nachholbedarf für diese nicht mehr zeitgemäße Einschränkung, um auch Vätern und Mütter in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit einem entsprechenden Zeitvolumen zu beschenken und Vater-/Mutterschaft zugleich gesellschaftlich besonders anzuerkennen.
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§ 29 TVöD selbst enthält als Konkretisierung des § 616 BGB keine ausdrückliche Regelung und Frist, wann die Arbeitsbefreiung genommen werden kann, so auch nicht hinsichtlich der Niederkunft.
Das BAG[54] hatte zu der insoweit