Beispiel 2: Arzt A führte seit vielen Jahren Substitutionsbehandlungen bei Heroinabhängigen durch. Als eines Tages der heroinabhängige B zu ihm kam und Schmerzpflaster auf der Basis des Opiats Fentanyl wegen Hüftgelenksschmerzen erbat, verschrieb A ihm diese, obwohl er die Suchtabhängigkeit des B erkannte und er einen Missbrauch durch Aufkochen und anschließenden Suchtgebrauch für gut möglich hielt. B kochte sich die Pflaster tatsächlich auf und verstarb durch versehentliche Eigenverabreichung einer Überdosis. (Substitutionsarzt-Fall nach BGH StV 2014, 601[67] und BGH NStZ-RR 2014, 147[68])
Lösung: Auch hier scheidet eine unmittelbare Täterschaft nach §§ 223, 227 StGB aus, da B sich die Drogen selbst verabreichte. Auch scheidet eine mittelbare Täterschaft durch Handlungsherrschaft kraft überlegenen Wissens des A aus, da B über eine schon sehr lange Suchtkarriere verfügte, sodass ihm die Risiken des Suchtmittelgenusses bewusst waren. Die Betäubungsmittelabhängigkeit hob die Freiverantwortlichkeit nicht auf. Wegen freiverantwortlicher Selbstgefährdung scheitert daher auch eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung nach den §§ 222, 229 StGB.
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Überregionale Aufmerksamkeit hat der sog. Zugspitzlauf-Fall erregt. Auch bei ihm stand die Frage der freiverantwortlichen Selbstgefährdung im Vordergrund. Dazu das folgende
Beispiel: K ist professioneller Veranstalter von Bergläufen. Im April 2008 organisierte er zum wiederholten Male den sog. Zugspitz-Lauf. In seinen Anmeldebedingungen wies er die Läufer auf mögliche gesundheitliche Gefahren des Berglaufs hin. Zudem informierte er die Teilnehmer unmittelbar vor dem Start zutreffend über die Wetteraussichten, insbesondere über ein mögliches Unwetter und die Schneefallgrenze. Eine Kontrolle der Ausrüstung der Läufer erfolgte allerdings nicht. Während des Laufs begann es heftig zu schneien. Die Temperaturen sanken rapide ab. Wegen Unterkühlung und Erschöpfung erlitten zwei Teilnehmer einen tödlichen Kreislaufzusammenbruch (nach AG Garmisch-Partenkirchen v. 1.12.2009).
Lösung[69]: Das AG Garmisch-Partenkirchen lehnte hier eine Strafbarkeit des K nach § 222 StGB ab. Der Tod der Läufer sei K nicht zurechenbar, da der Zurechnungszusammenhang durch eine freiverantwortliche Selbstgefährdung der Teilnehmer unterbrochen wurde. Im Ergebnis ist dieser Entscheidung zuzustimmen. Die fehlende Kontrolle der Laufausrüstung durch K schließt die Freiverantwortlichkeit jedenfalls nicht aus, denn wer trotz der negativen Wetterprognose nicht auf die Teilnahme verzichtet bzw. seine Laufkleidung den Verhältnissen nicht anpasst, obwohl er Kenntnis vom Risiko hat, handelt freiverantwortlich. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass K den Zugspitz-Lauf nach dem Unwettereinbruch fortgesetzt hat. Wenn die Läufer gleichwohl weiterliefen, so waren sie sich dennoch aller Risiken und Gefahren bewusst und handelten wiederum eigenverantwortlich. Die Überlegung, ein Wettbewerb führe gewöhnlicherweise zu einer Gruppendynamik mit der Folge, dass die Teilnehmer nicht bereit seien, aus dem Lauf auszusteigen, kann ebenfalls nicht überzeugen. Übertriebener sportlicher Ehrgeiz – zumal hier von Hobby-Läufern – kann nicht so weit reichen, dass sich die Teilnehmer in einem verantwortungsausschließenden Zustand befunden haben.
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Jedoch kann es an einer Freiverantwortlichkeit der Selbstgefährdung fehlen, wenn sich das Opfer in einem verantwortungsausschließenden Zustand befunden hat oder einem (rechtsgutsbezogenen) Irrtum unterlag.[70] Ob dabei mit der sog. Schuldlösung die §§ 19, 20, 35 StGB; 3 JGG oder mit der sog. Einwilligungslösung § 216 StGB entsprechend heranzuziehen sind, ist umstritten und soll erst später näher untersucht werden (vgl. dazu u. Rn. 347). Hier soll für eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs zunächst nur auf das Erfordernis der verantwortungsfreien Selbstgefährdung hingewiesen und die Bedeutung veranschaulicht werden durch folgendes, auch die Brandstiftungsdelikte erläuterndes
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Beispiel: A zündete das Haus der Familie H an. Als der 22-jährige Sohn M der Eheleute H mit 2,17 Promille von der Gaststätte nach Hause kam und das Feuer bemerkte, entschloss er sich in das Haus zu gehen, um dort Sachen oder Menschen – etwa den 6-jährigen Bruder B, der sich aber schon selbst gerettet hatte – in Sicherheit zu bringen. M starb im Feuer. Strafbarkeit des A? Wie, wenn der Feuerwehrmann F beim Löschen des Brandes starb? (Retter-Fall, abgewandelt und verkürzt nach BGHSt 39, 222[71])
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Lösung: Während zunächst eine schwere Brandstiftung nach § 306a I Nr. 1 StGB erfüllt ist, fehlt es für eine besonders schwere Brandstiftung nach § 306b II Nr. 1 StGB an einer durch die Tat vorsätzlich bewirkten Todesgefahr für einen anderen Menschen,[72] nachdem bezüglich B der Sachverhalt nicht hinreichend klar ist, bezüglich M ein hinreichender, auf die Herbeiführung der Todesgefahr bezogener Vorsatz nicht feststeht.[73] Gegeben ist jedoch eine Brandstiftung mit Todesfolge gem. § 306c StGB, nachdem seit Inkrafttreten des 6. StrRG nur noch irgendein durch die Brandlegung verursachter Tod eines Menschen gefordert wird, der sich nicht zwingend schon vorher in den Räumlichkeiten befunden haben muss. Ein qualifizierter Zurechnungszusammenhang im Sinne eines spezifischen Gefahrzusammenhangs liegt vor, da M stark alkoholisiert war und zur Rettung seines Bruders tätig wurde, sodass eine Freiverantwortlichkeit bei der Selbstgefährdung mit Blick auf §§ 21 und 35 StGB nicht gegeben war.[74] Die ebenso verwirklichte schwächere Erfolgsqualifizierung des § 306b I StGB[75] tritt hinter § 306c StGB im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurück. Im Ergebnis hat sich A nach §§ 306c, 306 StGB strafbar gemacht. Die Taten stehen zueinander in Tateinheit. §§ 303, 305 StGB treten zurück. Ebenso § 222 StGB.
Hinweis: Machen Sie sich schon hier das Stufenverhältnis der §§ 306a I, 306a II, 306b I, 306b II und 306c StGB klar. Sie erkennen dann, dass der Gesetzgeber systematischer vorgegangen ist, als dies vielleicht zunächst den Anschein hat. Behält man die Stufung im Auge, so lassen sich viele Klausuren schon durch aufmerksame Lektüre des Gesetzestextes lösen. Zumindest aber verlieren die Brandstiftungsdelikte auf diese Weise ihren Schrecken (näher zu den Brandstiftungsdeliken Jäger, BT, Rn. 739 ff.).
Achtung Klausur: Wenn der Feuerwehrmann F bei seinem Einsatz stirbt, soll dagegen nach der h. M. der Schutzzweckzusammenhang stets aufrecht erhalten bleiben. Denn dann realisiere sich die typische Gefahr, weil der Feuerwehrmann zum Einsatz verpflichtet sei und es daher auch unabhängig von §§ 20, 21, 35 StGB grundsätzlich an einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung fehle (dagegen allerdings früher Roxin, demzufolge auch beim Feuerwehrmann die Übernahme der Berufspflichten freiverantwortlich erfolgt;[76] nach der Änderung der Gesetzesfassung des § 306c StGB ist diese Auffassung im Hinblick auf Brandgefahren freilich fraglich geworden, da der Gesetzgeber wohl gerade Feuerwehrleute angesichts der berufstypischen Gefahr, das bereits brennende Haus betreten zu müssen, unter erhöhten Schutz stellen wollte[77]). Eine wichtige Einschränkung hat jedoch das OLG Stuttgart[78] auch für Berufsretter formuliert. Danach sollen dem Verursacher eines Brandes zwar grundsätzlich auch die Schädigung oder gar Tötung von Feuerwehrmännern zuzurechnen sein, die auf überobligatorischen, d. h. über die beruflichen Pflichten hinausgehenden Rettungshandlungen beruhen; die Grenzen der Zurechnung seien allerdings dort überschritten, wo sich der Rettungsversuch als von vornherein sinnlos, mit offensichtlich unverhältnismäßigen Wagnissen verbunden und damit als erkennbar unvernünftig darstellt. Die Entscheidung betraf § 222 StGB, muss aber auch für §§ 306b I, 306c StGB gelten, da dort sogar ein spezifischer Zurechnungszusammenhang gefordert wird, der folgerichtig bei offensichtlich unvernünftigen Rettungshandlungen erst recht verneint werden müsste (vgl. auch Jäger, BT, Rn. 515). Überhaupt ist fraglich, ob man zwischen Berufsrettern (nicht freiverantwortlich) und sonstigen Rettern (freiverantwortlich) unterscheiden kann. Immerhin hat jedermann Hilfspflichten