Vorwort der Herausgebers der Heftreihe „Polizei. Wissen“
Als ich gerade anfing, Lehrerfahrung zu sammeln, sagte mir Dozent, den ich für erfahren und weise hielt, gute Lehre ergebe sich aus der richtigen Mischung von Terror und Liebe. Ohne Liebe gehe gar nichts. Sie sei die Grundlage von allem. „Aber um den Laden zusammen zu halten,“ so fuhr der Dozent fort, „muss man klar machen, wo der Hase läuft und auch richtig streng sein. Sonst gehen die einem über Tisch und Bänke.“ Terror und Liebe. Eine wahrlich erstaunliche Kombination.
Als nun Matthias Weber das Thema „Autorität der Polizei“ an mich herantrug, fiel mir dieses Gespräch wieder ein. Polizist*innen, glaube ich, kennen so etwas Ähnliches. Den Spruch „man muss Menschen mögen“ jedenfalls höre ich im polizeilichen Kontext oft und auch den, dass man mal „klare Ansagen machen“ müsse. Irgendwo dazwischen scheint die Autorität des Polizeibeamten zu Hause zu sein. Die Dienstwaffe alleine verleiht sie ihm genauso wenig wie sein ehrliches Bemühen, den Menschen Gutes zu tun.
Polizeibeamte beklagen oft einen Mangel an Autorität – sie fühlen sich nicht hinreichend respektiert. Solche Probleme kennen Lehrende auch. In beiden Fällen kann falsch verstandene Liebe - z.B. in Form von übertriebener Zuneigungsbekundung - als auch falsch verstandene Strenge – z.B. in Form angedrohter oder tatsächlicher Gewalt – ins Unglück führen. Eine richtige Balance zu finden ist wohl die Aufgabe all derer, die nach den Quellen ihrer Autorität suchen. Was es dabei alles zu bedenken gibt finden wir im aktuellen Heft beschrieben.
Prof. Dr. Jonas Grutzpalk
Bielefeld im Mai 2021
Inhalt
Einführung vom Herausgeber des Heftes
(Matthias Weber)
Die Fragilität polizeilicher Autorität
(Marschel Schöne & Martin Herrnkind)
Doing Authority – Polizist*innen als Autoritäten durch Beziehungsarbeit
(Anja Mensching)
Autorität als polizeiliche Herausforderung und Chance
(Astrid Jacobsen)
Polizeiliche Gewaltanwendung – im Spannungsfeld von Autoritätsanspruch und Verhältnismäßigkeit
(Luise Klaus & Laila Abdul Rahman)
(Meike Heker & Jan Starke)
The Changing Role of American Police in the Era of George Floyd
(Kyle McLean & Geoffrey Alper)
Zum Umgang mit Macht, Gewalt, Autorität und Respekt innerhalb der Polizei: ein WorkshopEntwurf
(Matthias Weber)
Adapting the 'New Authority' Approach for Police Work
(Ziv Gilad & Caroline Wahl)
Polizei und Autorität zwischen Anspruch und Wirklichkeit
(Hermann Groß)
Wie geht Deeskalation im Strafvollzug?
(Matthias Weber)
(Zoe Clark, Fabian Fritz & Caroline Inhoffen)
Anerkennung statt Gehorsam. Pädagogische Autorität als resultat positiver Bedeutsamkeit
(Stefan Dierbach)
Individualisierung, Spiritualität und Wandel von Autoritätsmustern
(Judith Weber)
Einführung vom Herausgeber des Heftes
von Matthias Weber*
Autorität in der Polizei ist durchaus schon im polizeiwissenschaftlichen Diskurs thematisiert worden (vgl. z.B. vom Hau 2017), allerdings ist die wissenschaftliche Debatte um Autorität keinesfalls abgeschlossen. Erkenntnisse zur Bedeutung polizeilicher Autorität für die polizeiliche Arbeit gehen weit zurück: Seit den 1960er Jahren liegen durch empirische Us-amerikanischen Polizeiforschungen (z.B. Skolnick 1966, Reis 1970, Sykes & Brent 1983) Erkenntnisse vor, dass es Personen vor Verhaftungen schützt, wenn sie im Kontakt mit der Polizei der polizeilichen Autorität Ehrerbietung erweisen. Ebenso zeigen weitere Studien, dass Polizisten erlebte Autoritätsverluste mit Gewalt kompensieren (vgl. z.B. Hunold 2012). Dies verweist darauf, dass Wahrnehmung und Ausübung polizeilicher Autorität folgenreich sein kann: Sie hängt mit Gewalt, Machtausübung, Eskalation und Deeskalation sowie mit Beziehungsgestaltung zwischen Polizisten und Personen der Zivilgesellschaft zusammen. Diese Ausgabe von „Polizei. Wissen“ setzt vor diesem Hintergrund an eine wissenschaftliche Debatte um polizeiliche Autorität und diesbezüglichen Fragen an. Darüber hinaus wird nicht nur polizeiliche Autorität aus einer polizeiwissenschaftlichen Perspektive thematisiert, sondern es wird auch ein sozialwissenschaftlicher Diskurs um Autorität im Allgemeinen lanciert, der über eine bloße polizeiwissenschaftliche Perspektive hinausgeht.
Autorität ist nicht nur für die Polizei relevant, sondern taucht schon in der Beziehungsgestaltung zwischen Eltern und Kindern, in Kindergarten und Schule, sowie am Arbeitsplatz auf. Autorität mag man als anthropologische Konstante bezeichnen, aber genauso sozial konstruiert und veränderbar ist sie, wenn man untersucht, wie gesellschaftlicher Wandel, kulturelle Normen und Werte, Organisationsstrukturen und- kulturen, sowie Variablen auf der Mikroebene dazu beitragen, Autorität entstehen und zerfallen zu lassen. Autorität kann soziale Ordnung und Kontrolle herstellen und kann Akteuren ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Auf der anderen Seite kann Autorität Angst, Verachtung und Misstrauen auslösen und Konflikte massiv eskalieren lassen.
Um Autorität in ihrer Komplexität zu beleuchten, macht es daher Sinn, sich ein umfassendes Bild von Autorität zu machen, und dazu Autorität auch in anderen Disziplinen, wie in der Pädagogik zu betrachten, oder aber wie Autorität sich gesellschaftlich entwickelt. Zu Klärung dieser Fragen werden verschiedene fachwissenschaftliche Perspektiven zusammengetragen, die sich mit Autorität befassen. Insofern folgt auch diese Ausgabe dem Ziel des Heftes diverse Perspektiven bzgl eines Themas zusammenzubringen.
Das Heft ist in zwei Teile aufgebaut. Der erste Teil befasst sich mit Autorität in der Polizei, der zweite Teil