Doch was ist eigentlich „Beihilfe zum Selbstmord“ im Sinne des Urteils des Verfassungsgerichtshofes? Ein konkretes Beispiel soll dies veranschaulichen: Ein Dritter durfte jetzt und früher nicht selbst Hand anlegen, um eine tödliche Spritze zu verabreichen. Er darf künftig aber eine tödliche Spritze vorbereiten. Die Spritze muss sich der Sterbewillige aber selber geben, die Tötung muss er selbst vollziehen. Der Dritte darf auch eine tödliche Tablette besorgen. Aber die Tablette einnehmen muss der Sterbewillige selbst.
Im Rahmen der Sterbehilfe gibt es vier unterschiedliche Ausgangsfälle:
a. Aktive Sterbehilfe: Das ist die absichtliche Herbeiführung oder Beschleunigung des Todes durch den Begleiter. Beispiel: Der Begleiter verabreicht dem Sterbewilligen eine tödliche Spritze. Also der Begleiter tötet. Das bleibt nach wie vor strafbar. Daran ändert auch das Urteil des Verfassungsgerichtshofs nichts.
b. Sterbehilfe als Beihilfe zum Selbstmord: Der Begleiter leistet Hilfe zur Selbsttötung. Beispiel: Bereitstellung des tödlichen Medikaments in einem Glas Wasser. Der Sterbewillige trinkt selbst und bewusst das tödliche Wasser. Ausschließlich solche Fälle wurden durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs ab 1. Jänner 2022 straffrei gestellt.
c. Indirekte Sterbehilfe: Der Arzt oder der Begleiter verabreicht schmerzlindernde Mittel unter Inkaufnahme der Lebensverkürzung. Beispiel: Verabreichung von Morphium zur Schmerzlinderung oder Schmerzunterdrückung. Das Leben kann dadurch auch verkürzt werden.
d. Passive Sterbehilfe: Diese geschieht durch Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen. Beispiel: Verzicht auf künstliche Ernährung, Verzicht auf künstliche Beatmung, Verzicht auf einen Herzschrittmacher. Wenn der Sterbewillige diesen Verzicht will, sind sowohl der Arzt als auch der Begleiter des Sterbewilligen daran gebunden. Diese Wünsche werden oft durch eine Patientenverfügung des Sterbewilligen nachgewiesen und sind unbedingt zu erfüllen.
Das Erkenntnis des VfGH bezieht sich nur auf die Beihilfe zum Selbstmord (Punkt b). Alle anderen Punkte (a, c und d) bleiben davon unberührt.
Ausschließlich die Strafe für die Hilfeleistung beim Selbstmord wurde beseitigt. Eine Verleitung zum Selbstmord im Sinne des § 78 des Strafgesetzbuches bleibt jedoch weiterhin strafbar. Denn die Entscheidung, sich selbst zu töten, genießt nur dann Grundrechtsschutz, wenn diese Entscheidung auf einer freien und unbeeinflussten Entscheidung fußt. Diese Voraussetzung ist bei einer Verleitung zum Selbstmord nicht gegeben. Ebenso bleibt § 77 StGB („Tötung auf Verlangen“) von der Entscheidung des VfGH unbeeinflusst und damit weiterhin strafbar. In seinem Erkenntnis (den gesamten Text der Entscheidung finden Sie im Anhang des Buches) geht der österreichische Verfassungsgerichtshof unter den Ziffern II und III ausführlich darauf ein, warum die Tatbestände „Verleitung zum Selbstmord“ und der „Tötung auf Verlangen“ weiter strafbar bleiben sollen.
Eine Klarstellung: In diesem Buch bedeuten die Worte Selbstmord, Suizid und Selbsttötung alle dasselbe. Auch die Bezeichnungen Sterbehilfe, assistierter Selbstmord, assistierter Suizid und assistierte Selbsttötung bedeuten dasselbe. Und auch Beihilfe, Mithilfe und Mitwirkung bedeuten dasselbe.
Reaktionen auf das Urteil
Persönlich habe ich große Bedenken bei der Beseitigung der Strafbarkeit an der Hilfeleistung am Selbstmord. Dies vor allem wegen der vielfältigen Möglichkeiten des Missbrauchs. Der Missbrauch ist eines der wesentlichsten Argumente für jene, die die straflose Beihilfe ablehnen. Viele befürchten auch, dass der Weg vom „freiwilligen“ Suizidentschluss zur organisierten Tötung nur ein kurzer ist, der kaum kontrolliert werden kann. Wegen dieser Unsicherheit hätten sich viele die Beibehaltung der Bestimmung über die Strafbarkeit der Beihilfe gewünscht.
Zudem wurde durch diese Entscheidung ein Tabu beseitigt, wonach kein Mensch über das Leben eines anderen entscheiden darf. Es wird jetzt wesentlich von den zu erwartenden Gesetzen abhängen, ob der von vielen befürchtete Missbrauch bei der Beihilfe ausgeschlossen werden kann.
Was für das Urteil spricht
Es gibt durchaus Punkte, die für eine erlaubte Hilfe beim Selbstmord sprechen. Es geht dabei um Situationen, in denen der Wunsch zu sterben, und zwar meist möglichst schnell zu sterben, verständlich ist:
•Wenn das Leben nur mehr auf eine hoffnungslose Verlängerung des Sterbevorganges hinausläuft,
•wenn die Angst wächst, sich selbst nicht mehr töten zu können und auf Dritte angewiesen zu sein,
•wenn der körperliche oder psychische Schmerz so groß ist, dass er nicht mehr bewältigbar scheint, wenn als einziger Ausweg nur mehr der Tod gesehen wird.
Viele, die sich für den Tod auf Verlangen einsetzen, sind von bestem Willen und besten Absichten getragen. Sie können das eigene schmerzvolle Leben oder das eines Angehörigen nicht mehr ertragen und wünschen ihm einen schnellen erlösenden Tod, unabhängig davon, ob der Angehörige das tatsächlich will.
Besonders erfreut über das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs sind naturgemäß alle, die dazu eine Beschwerde eingebracht hatten. Ebenso erfreut waren die, die sich bei den Meinungsumfragen für eine „Liberalisierung“ des Sterbens ausgesprochen hatten. Ich nehme an, dass den meisten zum Zeitpunkt der Befragung die Möglichkeiten des Missbrauchs kaum bewusst waren. Im Vordergrund stand in der öffentlichen Diskussion meist die Möglichkeit, sich für einen schnellen und schmerzlosen Tod zu entscheiden und diesen sodann nach eigenen Wünschen abzuwickeln.
Ablehnende Stimmen
Sehr enttäuscht äußerten sich etliche Vertreter von Glaubensgemeinschaften. Von christlichen Kirchen kamen zur neuen Gesetzeslage sehr kritische Stellungnahmen. Man befürchtete, dass die Zahl der Selbstmorde durch die Straflosigkeit der Beihilfe ansteigen wird. Ob und wieweit diese Befürchtungen gerechtfertigt sind, wird sich nach Veröffentlichung der nun zu beschließenden Gesetze zeigen.
Abgelehnt wurde die Liberalisierung des assistierten Suizids beispielsweise von Kardinal Christoph Schönborn. Katholische Stimmen sprachen gar von einem „Kulturbruch“ und warnten vor einer Abkehr vom prägenden Bild Kardinal Königs, wonach Menschen „an der Hand und nicht durch die Hand“ eines anderen Menschen sterben sollten.
Ausführlich reagierte der Innsbrucker Diözesanbischof Hermann Glettler im Live-Chat der Tiroler Tageszeitung, nach dessen Meinung der Wunsch, sterben zu wollen, meist aus einer Ausweglosigkeit und Verzweiflung heraus entstehe. In einem solchen Moment brauche es menschlichen Beistand und nicht Hilfestellung zur Selbsttötung. Zudem hätten drastisch geschilderte Extremsituationen die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs nahezu erzwungen. „Wir dürfen den konkreten Menschen nicht aufgeben, auch wenn er sich selbst aufgegeben hat.“2
In einem Gastkommentar in der Tiroler Tageszeitung führte er näher aus:
„Ziemlich beste Freunde. Es ist ein Film, der an Humor und sozialer Anstiftung zum Guten kaum zu überbieten ist. Der querschnittgelähmte Philippe Pozzo di Borgo, auf den sich der Film bezieht, äußerte sich nun in der aktuellen Euthanasie-Debatte: ‚Nach meinem Unfall, als ich keinen Sinn im Leiden sah, hätte