2. Abschnitt: Strafrechtsgeschichte › § 5 Geschichte des europäischen Strafrechts bis zum Reformationszeitalter
Georg Steinberg
§ 5 Geschichte des europäischen Strafrechts
bis zum Reformationszeitalter[1]
A.„Geschichte des europäischen Strafrechts“1
B.Antike2 – 10
I.Griechenlands „klassische Zeit“ (500–300 v.Chr.)2 – 5
II.Rom: Zeit der Republik und „klassische“ Kaiserzeit (500 v.Chr.–300 n.Chr.)6 – 10
C.Die Völkerwanderungszeit und das frühe Mittelalter (300–1000 n.Chr.)11 – 17
D.Hoch- und Spätmittelalter (1000–1500)18 – 28
I.Das deutsche König- und Kaiserreich, die Kirche, die Städte18 – 21
II.Scholastik und Strafrecht der Kirche22 – 24
III.Entstehung eines weltlichen öffentlichen Strafanspruchs25 – 28
E.Das Reformationszeitalter (1500–1650)29 – 39
I.Renaissance, Humanismus und gelehrtes Recht29, 30
II.Reichsreformen, Reformation und Dreißigjähriger Krieg31 – 33
III.Die Constitutio Criminalis Carolina34, 35
IV.Die Praxis des Gemeinen Strafrechts36 – 39
2. Abschnitt: Strafrechtsgeschichte › § 5 Geschichte des europäischen Strafrechts bis zum Reformationszeitalter › A. „Geschichte des europäischen Strafrechts“
A. „Geschichte des europäischen Strafrechts“
1
Eine „Geschichte des europäischen Strafrechts“ zu skizzieren impliziert keinen Eurozentrismus,[2] solange man sie als eine unter vielen Strafrechtsgeschichten der Welt begreift – die teils wesentlich älter sind und von denen die vorderorientalischen an der Wiege der europäischen stehen.[3] Wenn das „Abendland“, wie Hattenhauer formuliert, „seine Entstehung der Begegnung der archaischen Kulturen des Nordens mit den antik-christlichen des Mittelmeerraumes“ verdankt,[4] so gilt es, dieses Geschehen in Konzentration auf die strafrechtsgeschichtlichen Verhältnisse und Ereignisse nachzuzeichnen, wonach die Darstellung bei der griechischen und römischen Antike ihren Anfang zu nehmen hat und sich mit dem Entstehen des Frankenreiches geografisch nach Norden verlagert; die Fokussierung auf das Gebiet des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, beginnend mit dem Eintritt in das zweite nachchristliche Jahrtausend, soll die Geschlossenheit des Textes erhöhen. Geschichtstheoretisch sei dem – historisch auf die Aufklärungszeit zurückgehenden – auch in modernen rechtsgeschichtlichen Texten mitunter noch auffindbaren Fortschrittsdenken explizit entgegengetreten:[5] Darzustellen sind vielmehr die strafrechtlichen Gegebenheiten im jeweiligen historischen, philosophischen, politischen, rechtlichen und sozialen Kontext. Vor dem Hintergrund, dass die Schulbildung sich seit einigen Jahrzehnten auf anderes konzentriert und sich der Verbreitungsgrad der Kenntnis des Lateinischen, vom Altgriechischen zu schweigen, sukzessive verringert, wird der Versuch unternommen, eine auch ohne historische Vorkenntnisse verständliche Darstellung zu geben. Dass es sich dabei angesichts des Textumfangs um kaum mehr als um Hinweise auf bestimmte Phänomene und Zusammenhänge handeln kann, versteht sich von selbst.
2. Abschnitt: Strafrechtsgeschichte › § 5 Geschichte des europäischen Strafrechts bis zum Reformationszeitalter › B. Antike
I. Griechenlands „klassische Zeit“ (500–300 v.Chr.)
2
Nach einer ersten Einwanderungswelle um 2000 v.Chr. kommen um 1200 v.Chr. mit der Dorischen Wanderung wiederum Griechen aus Kleinasien (der heutigen Türkei) in das Gebiet des heutigen Griechenland und bilden im Lauf der Zeit selbstständige Stadtstaaten. Die sogenannte „klassische Zeit“ beginnt um 500 v.Chr. mit dem Ionischen Aufstand, dem Aufstand der ionischen (kleinasischen) Griechen gegen die Perser, die im Vorderen Orient die Vorherrschaft innehaben; die Siege der griechischen Allianz unter der Führung Athens leiten eine Zeit politischer Unabhängigkeit ein. Im Peloponnesischen Krieg (431–404 v.Chr.) um die Vorherrschaft innerhalb Griechenlands unterliegt Athen am Ende Sparta. Die Eigenständigkeit der griechischen Stadtstaaten endet zu Beginn des 4. Jahrhunderts; zuerst wird Griechenland von Theben beherrscht, dann von Makedonien unter dessen König Philipp II. (reg. 359–336 v.Chr.) und seinem Sohn Alexander (reg. 336–323 v.Chr.), dessen bis Indien und Ägypten reichendes Riesenreich nach seinem Tod allmählich zerfällt. Um 200 v.Chr. erobern die Römer Griechenland.[6]
3
Die „klassische Zeit“ ist eine kulturelle Blütezeit mit Blick auf Architektur, bildende Kunst, Musik, Literatur – und Philosophie. Die Vorsokratiker (d.h. die dem Sokrates vorausgehenden Philosophen, genannt seien Thales, um 624–546 v.Chr.; Pythagoras, um 572–480 v.Chr.; Heraklit, geb. um 540 v.Chr.; Parmenides, geb. um 540 v.Chr.) formulieren erste Positionen im Bereich der Naturphilosophie und Kosmologie, der Religionsphilosophie, Ontologie, Ethik und politischen Philosophie.[7] Sokrates (um 470–399 v.Chr.), der angesichts erkannter eigener Unwissenheit den Gesprächspartner durch bohrendes Fragen zum Überdenken bisheriger und zur Erlangung neuer Wertvorstellungen bewegen will, gilt als Vor- und Urbild abendländischer Philosophie. Mit Platon (428–348 v.Chr.) und Aristoteles (384–323 v.Chr.) erreicht die klassische griechische Philosophie ihren Gipfel. Die Akademie, die Platon in Athen gründet, wird zum internationalen Zentrum der Wissenschaft und Philosophie. Platons dialogisch strukturierte Schriften