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Angesichts der nunmehr normierten Fernwirkung des Insolvenzgeheimnisses bekommt die Frage nach dessen inhaltlicher Reichweite im Einzelnen erhebliche Bedeutung. Insbesondere stellt sich die Frage, in welchen Fällen eine „Auskunft des Schuldners“ vorliegt. Dieser Begriff bezieht sich sowohl auf Angaben des Schuldners im Insolvenzverfahren als auch auf Angaben im Insolvenzeröffnungsverfahren nach §§ 20, 22 Abs. 3 InsO, da letztere Vorschriften auf §§ 97, 98 InsO Bezug nehmen. Nicht geschützt sind allerdings Angaben des Insolvenzverwalters, der Gläubiger, der Sachverständigen und sonstiger Dritter im Insolvenzverfahren oder auch außerhalb dieses Verfahrens, soweit sie nicht auf Auskünften des Schuldners beruhen. Tatsachen, die der Insolvenzverwalter selbst festgestellt hat, unterliegen deshalb nicht § 97 InsO. Bei Berichten des Insolvenzverwalters im Insolvenzverfahren oder gegenüber den Strafverfolgungsbehörden ist danach zu differenzieren, ob darin geschützte Angaben des Schuldners, die dieser im Insolvenzverfahren gemacht hat, mitgeteilt werden. Angaben des Schuldners außerhalb des Insolvenz- bzw. Insolvenzeröffnungsverfahrens, insbesondere solche gegenüber Gläubigern direkt, sowie Wiedergaben des Insolvenzverwalters über Schuldnerangaben vom Hörensagen sind nicht geschützt.[110]
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Besonderheiten ergeben sich, wenn ein Rechtsanwalt vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Mandat des späteren Insolvenzschuldners übernommen hat. Zunächst besteht kein Anspruch auf Auskunft gegenüber einem mit der Vertretung des Schuldners oder seiner organschaftlichen Vertretung betrauten Rechtsbeistand.[111] Zwar kann der Rechtsanwalt im Innenverhältnis zur Auskunft über den Schuldner verpflichtet sein, im Außenverhältnis zu den Auskunftsberechtigten ist jedoch stets der Schuldner persönlich verpflichtet. Davon sind im Einzelfall die insolvenzrechtliche Auskunftspflicht des Rechtsanwalts sowie seine Verpflichtung auf Grund des Anwaltsvertrags zu unterscheiden. Auch wenn das Mandatsverhältnis gem. den §§ 116 S. 1, 115 InsO durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet wird, fallen die daraus entstandenen Ansprüche des Schuldners künftig in die Insolvenzmasse und damit in die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters. Gemäß § 675 BGB finden die §§ 666, 667 BGB auf den Anwaltsdienstvertrag Anwendung, so dass der Rechtsanwalt die Handakten, den Schriftverkehr sowie sonstige Unterlagen aus dem Mandat des Schuldners an den Insolvenzverwalter herausgeben muss. Die Auskunfts- und Rechenschaftspflicht des Rechtsanwalts besteht selbst dann, wenn der eigentliche Herausgabeanspruch des Mandanten gem. § 667 BGB i. V. m. § 50 Abs. 3 S. 2 BRAO durch Erfüllung bereits erloschen ist. Eine Möglichkeit des Rechtsanwalts, sich auf seine Schweigepflicht zu berufen, kann nicht bejaht werden, da das Interesse des Insolvenzverwalters an einer optimalen Verwertung der Masse gem. § 97 Abs. 1 InsO das Geheimhaltungsinteresse des Schuldners überwiegt. Etwas anderes gilt für die Schweigepflicht des Notars, welche gem. § 18 Abs. 1 S. 2 1. Hs. BNotO erst entfällt, wenn alle Beteiligten den Notar seiner Schweigepflicht entheben.[112] Der Liquidator einer in der Abwicklung befindlichen Gesellschaft ist dagegen vollumfänglich auskunftspflichtig.
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Die Erteilung einer falschen Auskunft kann eine Strafbarkeit nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB mit sich bringen. Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer bei Überschuldung oder bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit[113] Bestandteile seines Vermögens, die im Insolvenzfall mit Eröffnung des Verfahrens zur Insolvenzmasse im Sinne von § 35 InsO gehören würden, verheimlicht.[114] Erfasst wird jedes Verhalten, das einen Bestandteil der Insolvenzmasse der Kenntnis des Insolvenzverwalters oder der Gläubiger entzieht.[115] Dies kann unabhängig von etwaigen (erfolgreichen) Nachforschungen durch den Insolvenzverwalter sowohl durch positive Erteilung falscher Auskünfte als auch durch pflichtwidriges Unterlassen verwirklicht werden.[116] Ein Verheimlichen kann etwa in unrichtigen Angaben liegen, die einen geringeren Vermögensbestand als den tatsächlichen vortäuschen sollen. Bloßes Verschweigen reicht bereits dann aus, wenn eine entsprechende Aufklärungspflicht[117] besteht.[118] Die Schutzwirkung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO bezieht sich jedoch nicht auf die dem Schuldner gem. § 97 Abs. 2 InsO auferlegten aktiven Mitwirkungspflichten.
b) Mitwirkungspflichten des Schuldners
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Gemäß § 97 Abs. 2 InsO trifft den Schuldner sowohl im Eröffnungsverfahren[119] als auch im eröffneten Verfahren die generelle und vom Gesetzgeber bewusst weit formulierte Pflicht[120], den Insolvenzverwalter bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen. Diese Pflicht kann über § 98 InsO erzwungen werden. Der Schuldner ist dabei allerdings nicht zur ständigen Mitarbeit verpflichtet. Ihn trifft lediglich eine Pflicht zur punktuellen Mitwirkung bei einzelnen Abwicklungsmaßnahmen. Nur diese ist ihm als Nachwirkung zur früheren geschäftlichen Tätigkeit ohne Vergütung zuzumuten.[121] Von § 97 Abs. 2 InsO wird nur die allgemeine Mitwirkungspflicht[122] des Schuldners erfasst. Diese trifft auch sämtliche organschaftlichen Vertreter einer Insolvenzgesellschaft sowie alle vertretungsberechtigten persönlich haftenden Gesellschafter. Darauf, ob es sich lediglich um einen technischen Geschäftsführer oder um einen kaufmännischen Vorstand einer Gesellschaft handelt, kommt es nicht an.[123] Im Einzelfall können die Mitwirkungspflichten sehr weit gehen und auch die Erteilung einer Vollmacht für die Verwertung von im Ausland gelegenem Vermögen des Schuldnerunternehmens zum Gegenstand haben.[124]
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Problematisch ist die Honorierung der Mitwirkungspflicht[125], da der Schuldner wie sein Vertreter grds. dazu verpflichtet ist, dieser Verpflichtung auch ohne besondere Vergütung oder Ersatzansprüche hinsichtlich ihrer Auslagen nachzukommen.[126] Bei der Eigenverwaltung wird diese Mitwirkungspflicht jedoch zu einer echten Mitarbeitspflicht. Dort übernimmt der Insolvenzschuldner Aufgaben aus dem Kreis des Insolvenzverwalters und erhält nach § 278 Abs. 1 InsO das Recht, zur Lebensführung erforderliche Mittel aus der Insolvenzmasse zu entnehmen. In diesen Fällen ist mit dem Schuldner ein entsprechender Dienstvertrag abzuschließen und ihm eine angemessene Vergütung aus der Insolvenzmasse zu bezahlen. Schließlich hat seine Mitwirkungspflicht in einem solchen Regelinsolvenzverfahren bei der Verfahrensabwicklung das Ausmaß einer ständigen Mitarbeit erreicht, wodurch ihm eine anderweitige berufliche Vollzeittätigkeit nicht mehr möglich ist.
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Von der verfahrensrechtlichen Mitwirkungspflicht unterscheiden sich die Fälle, in denen der Schuldner als freiberuflich Tätiger[127] ein Interesse daran hat, seine Schulden im eröffneten Insolvenzverfahren abzuarbeiten und die Restschuldbefreiung zu erlangen. Der Insolvenzverwalter kann von sich aus eine freiberufliche Praxis des Schuldners meist nicht weiterführen. Im Einzelfall kann dem Schuldner allerdings die Möglichkeit eröffnet werden, seine Praxis trotz eröffneten Insolvenzverfahrens fortzuführen und an den Treuhänder Zahlungen zu leisten.[128] In diesen Fällen obliegt es gem. § 295 Abs. 2 InsO dem eine selbstständige Tätigkeit ausübenden Schuldner, durch Zahlungen an den Treuhänder den Insolvenzgläubiger so zu stellen, wie er stünde, wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre.
c) Sonstige Pflichten des Schuldners
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Im Einzelfall muss zwischen erzwingbaren verfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten und solchen Verpflichtungen unterschieden werden, die nur verfahrensrechtliche